Stoppt die Militäreinsätze im Ausland!

Unter dem Titel „Die neue deutsche Außenpolitik“ feiert die Rheinische Post sehr unverblümt die Entscheidung der Bundesregierung, Waffen in den Irak zu liefern. Unter erneuter Berufung auf die GAUCK-Brandrede, die den obersten deutschen Repräsentanten angeblich zu einem historisch bedeutsamen Bundespräsidenten gemacht hat (welch groteske Bewertung!), wird die Rolle Deutschlands als aufkommender Hilfspolizist der Amerikaner geradezu beschworen. Der deutsche Michel – vor Jahren für sein Beharrungsvermögen, sein konfliktscheues Heraushalten aus militärischen Abenteuern von den einen bewundert, von den anderen kritisiert – müsse sich in Bewegung setzen und tue das jetzt auch. Dass im Irak ein Genozid droht, dass ein Kriegreporter öffentlich geköpft wurde, passt genau ins Kalkül derer, die morgen entscheiden müssen. Zwei tragische Tatbestände, die von relevanter Seite wie irre befeiert werden dürften. Noch bis in die jüngste Zeit hatte Gabriel die Rüstungslobby und damit weite Teile von CDU/CSU, FDP und AfD wegen der von ihm angekündigten Restriktionen beim Waffenexport erzürnt. Jetzt entspannt sich das. Gabriel hat die Exporte nun mit genehmigt und muss sich über seine Inkonsequenz keine Gedanken machen. Die Nothilfe-Wehrethik rechtfertigt unpopuläre Entscheidungen, auch wenn 67% der deutschen Bevölkerung die Überschreitung der roten Linie strikt missbilligen. Denn was heute als Einzelfall aufschlägt, impliziert natürlich das Einfallstor für die totale Entgleisung. Künftig wird es auch in weniger bedenklichen Situationen möglich sein, Waffen in Spannungsgebiete zu liefern.

Die Feststellung, dass Deutschland dabei ist, eine neue Außenpolitik zu betreiben, treibt mir die Wut in die Schläfen, trifft aber dennoch genau den Kern. Ganz klar: Auch in der Rüstungsbranche ist jetzt der Druck aus der Hose. Manager und Betriebsräte (!) der Waffenschmieden müssen nun nicht wie zuvor auf neue, „entspannte“ Kriege drängen, nein: ihnen dürften künftig auch weniger saubere Konfliktschauplätze quasi durch die salonfähige Hintertür serviert werden. Die Regierung muss nicht einmal den Bundestag befragen. Alles spielt sich im Bundessicherheitsrat und damit im Geheimen ab. Dass die Kanzlerin nach der Entscheidung jetzt ein erklärendes Statement vor dem Bundestag abgeben wird, ist nur grotesk, weil bedeutungslos. Schlimm genug, dass die Abgeordneten eine solche Farce auch noch einfordern statt auf einer Kontrollfunktion zu bestehen. Dass sogar Gysi die geplanten Waffenlieferungen billigt http://nuzzel.com/story/08112014/taz/gregor_gysi_fr_deutsche_waffenexporte_greres_unheil_verhindern_2, hat mich schwer enttäuscht. Gerade er müsste doch wissen, dass leicht handhabbare Waffen allzu oft dort landen, wo sie nicht hingehören. Seit mindestens hundert Jahren gehört es zur Tagesordnung, dass sich Gegner mit deutschen Waffen gegenüberstehen und jeweils in die Herkunftsorte funken, wie das so mit dem Abknallen klappt. Krupp hat im 1. Weltkrieg Munition ans deutsche Heer, aber ebenso an die Gegner geliefert. Eine durchaus vergleichbare Situation, die damals wie heute einfach weggewischt wird. Profitgier hat ihre Fratze, maskiert und mit immer neuer Färbung.

Jürgen Trittin hat in einem RP-Beitrag die Regierenden beschworen, von den geplanten Rüstungsexporten abzulassen http://www.rp-online.de/politik/deutschland/juergen-trittin-bloss-keine-waffen-in-den-irak-liefern-aid-1.4467289 – ohne jedoch für den anstehenden Ernstfall eine praktikable Lösung anzubieten. Wer bitte, soll den Genozid verhindern, wenn er denn tatsächlich droht (was niemand von uns mit Sicherheit erkennen kann, denn die weitgehend gleichgeschalteten Massenmedien erlauben keinen klaren Blick auf das Geschehen)? Wie akut war die Bedrohung wirklich? Durften die Amerikaner im Irak ohne UNO-Mandat dazwischen bomben – einfach, weil sie schon mal da waren? Natürlich nicht! Kein Völkerrecht deckt diese Aktionen ab. Letztlich spiegeln sie nichts anderes als den Versuch, begangenes Unrecht in moralische Handeln zu drehen. Immerhin sind ausschließlich die Amerikaner für das Chaos im Irak verantwortlich. Sie waren es, die die Machtverhältnisse umkehrten und die Unterdrückung der Sunniten einleiteten. Maliki – der heut so Geschmähte war ihr Sachwalter – von ihnen inthronisiert, von ihnen massiv unterstützt. Die Medien geben sich spärlich, wenn es um solche Analysen geht. Doch genau dieser Umstand – die Diskriminierung der sunnitischen Minderheit – hat nicht nur maßgeblich zur Bildung des IS (Islamischer Staat), sondern auch zu dessen extremer Radikalisierung geführt. Die Völkergemeinschaft hätte bereits vor 8-10 Jahren die Minderheitenrechte für Sunniten, Jesiden und Kurden sowie eine paritätisch zusammengesetzte Regierung einfordern müssen. Statt dessen duldete man die exemplarische Bestrafung einer ganzen Volksgruppe für das, was eine kleine Saddam-Hussein-hörige Clique verbrochen hatte. Von Seiten der UNO geschah fast nichts – aus Hilflosigkeit, aus Desinteresse oder einfach, weil niemand in der Lage war, die Ergebnisse des ungerechten und mörderischen Krieges aufzufangen.

Was sagt die UNO heute zu all diesen Vorgängen? Ist sie jetzt total gelähmt, wiederum unfähig, zu reagieren. Scheut sie nach wie vor die Antworten auf Srebrenica, Ruanda und jetzt Sindschar? Überlässt Ban Ki Moon den vom Westen dominierten Sicherheitsrat sämtliche Vollmachten – auch die, still zu halten? Ich habe einmal mehr den Eindruck, dass der UNO, der Repräsentantin der Völker-Gemeinschaft, bewusst und stets erneut der Stempel der Unbeweglichkeit und Degeneration aufgedrückt wird. Befreiung daraus scheint nicht möglich. Auch, weil die schnelle Einigung auf wichtige Beschlüsse durch unsinnige Festlegungen im Regelwerk (Prinzip der Einstimmigkeit, Machtlosigkeit der Vollversammlung) behindert/verhindert wird. An Konfliktherde wie den jetzigen gehören ausschließlich UNO-Truppen und zwar solche, die sich aus Kontingenten muslimisch geprägter Länder rekrutieren. Diese Truppen muss es in jeweils spezifischer Färbung für alle Konfliktherde unseres Planeten geben. Es gibt sie nicht, weil die möglichen, sprich: zur Unterstützung fähigen Geldgeber eine solche Strategie ablehnen. Sie wünschen die UNO als Feigenblatt, möchten im Ernstfall aber alles selber regeln – und zwar nach ihren Wünschen und (wirtschaftlichen) Interessen. Ja nicht einmal der Sicherheitsrat wird aktiv.

Völlig klar: Solange es nicht zu einer grundlegenden Reform der UNO-Strukturen kommt, werden ohne Mandat Bomben geworfen, Bomben, die die US-Amerikaner in ihren Sinne platzieren. Ebenso werden durch die EU Völkerstämme aufgerüstet, von denen man nie weiß, wie sie übermorgen unterwegs sind. Zusätzlich versuchen die miteinander konkurrierenden Waffenschmieden einander die Aufträge abzujagen – in der Hoffnung, dass der eine oder andere – aus welchen Gründen auch immer – das Handtuch wirft. Am 19. August sprach die ARD von 100.000 Beschäftigten in der Rüstungsbranche. Ein Tag später waren es in der Rheinischen Post bereits 200.000. Hier wird – heftiger als an jeder anderen Front – mit zweifelhaften/falschen Fakten Stimmung gemacht für Vollbeschäftigung. Dabei müsste es, genau wie in der Atomwirtschaft, ein Umstrukturierungsprogramm  WEG VON DER WAFFENPRODUKTION   geben. Gerade Deutschland, das überall Welt-Spitzenplätze bei technischem Know-how belegt, könnte es sich leisten, auf die Wehrtechnik völlig zu verzichten. Gäbe es da nicht die böse Fratze des Militarismus und mit ihr die auferstandene Paarung von deutschem Größenwahn und Wesen, mit dem ekelhaften …

Genesen.

ÜBRIGENS: Konstantin Wecker sieht das alles sehr ähnlich

Nachtrag vom 1. September 2014: Auch im ARD-Magazin „Fakt“ werden Waffenlieferungen an die Kurden für mehr als gefährlich gehalten. Denn niemand wisse, ob Gewehre, Pistolen und panzerbrechende Waffen nicht irgendwann bei der PKK landeten. Deren Kampfverbände seien von denen der Peschmerga nicht mehr zu unterscheiden. Gut möglich, dass der PKK Waffen überlassen würden, weil sie ganz entscheidend an der Zurückschlagung der Verbände des Islamischen Staates (IS) beteiligt waren http://www.mdr.de/fakt/fakt_waffenlieferung_kurden_irak100.html

Nachtrag vom 6. September 2014: Inzwischen ist klar, dass deutsche Waffen gerade an die Kurden-Gruppierung (Peschmerga) verschickt werden, die die Jesiden beim Kampf gegen den IS im Stich gelassen hatten. Recherchen ergaben, dass PKK-Aktivisten und in Syrien agierende Kurden-Milizen (YPG) den Jesiden einen Schutzkorridor frei gekämpft hatte ( dazu die Quelle 1 und Quelle 2). Die Verteidiger werden folglich ohne militärische Unterstützung bleiben, zumal vor allem die PKK in Deutschland als Terror-Organisation geführt wird. Die Vertreter der autonomen Region Kurdistan erhalten die Waffen nur aus einem Grund: Sie sollen den Einfluss der Muslime im Irak dauerhaft zurückdrängen/Suniten und Schiiten schwächen und als Puffer dienen (Puffer).

Vorurteile zurecht gerückt der missbrauchte Islam

24. September 2014: Nahostexperte Dr. Michael Lüders erklärt die komplizierte Situation im Nahen Osten auf WDR 5