Ich möchte auf einen m. E. sehr wichtigen Beitrag von Oliver Schlaudt, Professor für Philosophie und Politische Ökonomie an der Koblenzer Hochschule für Gesellschaftsgestaltung, in der Wochenzeitung der Freitag hinweisen (s. Kasten unten…https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/politisch-links-und-trotzdem-fuer-den-krieg-wie-geht-das-zusammen). Schlaudt seziert darin wichtige Entwicklungen, die auch in unserer Gesellschaft stattfinden – ganz typisch auch das Charakterbild der Grünen, typisch für die Gruppierung der sogenannten Professional Managerial Class (PMC).
Ich frage mich, ob der Beitrag um einen Aspekt ergänzt werden müsste und richte folgenden Brief an den Autor:
Sehr geehrter Herr Professor Schlaudt, mit großem Interesse habe ich „Die Geburt der woken Falken“ im aktuellen Freitag gelesen. Eine sehr gelungene Analyse, die u.a. auch die weltweite Misere der LINKEN verständlich macht.
Der europaweite Rechtsruck mutet gefährlich an – aber die linken Kräfte auf dem Kontinent, die a priori „Elemente der Niederlage“ in sich tragen, sind kaum fähig, ihn zu bremsen. Weil Arme/Unterprivilegierte vom Gros der Gesellschaft eher abschätzig, sprich: als ungebildet, unflexibel, unfähig, einfallslos, unvernünftig, aufbrausend, vulgär, anders usw. empfunden werden – und dem nicht wirklich etwas entgegensetzen können. Hinzu kommt die von Ihnen geschilderte „Abwerbung“ von LGBTQ-Gruppierungen – eine offenbar gelungene Spaltung, die von konservativ bis rechts systematisch betrieben wird.
Bilden sich geduldige, gebildete und mutige „Anführer“/“Vorreiter“ in der Arbeiterklasse heraus, dann haben die oft Mühe, bei den Ausgebeuteten anerkannt zu werden. Immer schwebt da der Verdacht, dass sich eine elitäre Clique der Ruder bemächtigt, sprich: eine Formation herausbildet, die „doch nur an sich selbst denkt“ und in bloßen Betrachtungen zur reinen Lehre erstarrt (Die LINKE in der jüngeren Vergangenheit). Überhaupt gibt es unter den arbeitenden Menschen häufig eine geradezu schreiende Ablehnung gegenüber gutwilligen gebildeten Menschen, die sich anbieten/anmaßen, die Interessen der Arbeiterlasse zu vertreten. Würden die sich nicht in die soziale Situation ihrer möglichen Klientel begeben, würden die nicht bereit sein, in ein billiges Hochhaus neben zwei Ausländer-Familien zu ziehen, würden die nicht bei Heimspielen in der Fankurve und anschließend in der Kneipe sitzen (usw.), sie hätten ohnehin nie die Chance … beachtet, geschweige denn: geschätzt oder als „Lichtgestalten“ ihrer Klasse akzeptiert zu werden.
Dieses Gegenüber von Verachtung durch PMC und Misstrauen/Verdächtigung durch Vertreter der Arbeiterklasse ist wie ein Keil, der solidarische Lösungen oft oder überhaupt ausschließt. Darüber hinaus gibt es eine große Gruppe „sozial Abgestiegener“ (Langzeitarbeitslose, Kranke, Behinderte etc.), die zum großen Teil politisch indifferent, genauer gesagt: gar nicht reagieren und auch nicht wählen gehen. Auch deren Interessen müssen von den linken Kräften mitvertreten werden – was bei den PMC zu noch mehr Ablehnung führt. Denn die PMCer wollen nicht „beatmen“, sondern von je her … nach oben – zu tollem Wohlstand, den es nur im Lager des politischen Gegners (der AK) gibt.
Ich glaube, dass ihr Beitrag um diese Aspekte ergänzt werden müsste, oder?
Ich würde mich freuen, von Ihnen zu hören!
Dr. Ulrich Scharfenorth, Ratingen
Professor Schlaudt antwortet darauf wie folgt:
Lieber Herr Scharfenorth,
haben Sie vielen Dank für Ihre Zuschrift! Ich freue mich zu hören, dass Sie unseren Versuch, die Situation zu verstehen und irgendwie intellektuell zu durchdringen, hilfreich fanden – und dass Sie an einer wichtigen Stelle weiterdenken.
Was Sie über die Arbeiterklasse schreiben, klingt zumindest sehr plausibel. Für mich stellt sich nur das Problem, dass ich keine Möglichkeit habe, zu beurteilen, ob es auch stimmt. Die traurige Wahrheit ist ja, dass wir in unseren sozialen Blasen leben. Die Mittelschicht kenne ich von innen, die Arbeiterklasse sozusagen nur vom Hörensagen. Es ist ja geradezu erschreckend, wie wenig Berührungspunkte es gibt – nicht einmal ein Zufallsgespräch in der Bahn!
Als Ergänzung zu Ihren Überlegungen fällt mir ein Gedanke ein, den ich, wenn ich mich nicht irre, bei Emmanuel Todd aufgeschnappt habe. Für ihn ist die Misere der Arbeiterklasse das paradoxe Ergebnis einer erfolgreichen sozialdemokratischen Bildungspolitik. Durch das Bildungssystem gebe es eine Art brain-drain aus der Arbeiterklasse in die Mittelschicht und das Kleinbürgertum, in Frankreich typischerweise in den (nicht sehr gut bezahlten) Lehrerberuf. Im Endergebnis fehlen der Arbeiterklasse die Köpfe, die sie braucht, um sich aus eigener Kraft organisieren und ihre Interessen artikulieren zu können. – Ein deprimierendes Bild, aber als strukturelle Erklärung vielleicht plausibel?
Herzliche Grüße
Oliver Schlaudt
Sorry, das ist leider wieder alles schief …
Bitte in die Texte hineinlicken!
Quelle: der Freitag 9.1.2025