Es ist ein Schlag in das Gesicht der Jugend Großbritanniens. Geführt durch die Alten in der Gesellschaft. Und mitverschuldet durch die Jungen selbst, denen Politik und Parteien uncool erschienen und die deshalb ihre Uninteressiertheit/Ignoranz bitter bezahlen müssen. Wieder einmal haben die Alten, die Unentschlossenen, die Populisten und die manipulierten Dummen den Sieg davon getragen – flankiert von denen, die nicht zur Wahl gingen. In einer – wie es heißt – demokratischen Entscheidung. Dass ich nicht huste.
Das Gros der Sieger ist unfähig, die Folgen des Brexit abzuschätzen. Viele wachen erst jetzt auf, da das Malheur irreversibel scheint. Noch gibt es die irrwitzig geringe Chance, dass der Austritt Großbritanniens gegenüber der EU nie verkündet, dass eine Kampagne zur Wiederholung des Entscheids angeblasen wird. Aber machen wir uns nichts vor: die Kräfteverhältnisse dürften sich auch dann wenig ändern. Denn viele der Alten, aber auch die Mittelalten sind in altem Wahn. Sie, die bald das Zeitliche segnen, und diejenigen, die stets die Selbstherrlichkeit befeuerten, sie glauben ihr Land in glorreicher, in eigener Vergangenheit. Vermutlich in der irrigen Vorstellung, das Imperium existiere noch. Doch das Gegenteil ist der Fall. Großbritannien ist zum Zerreißen gespannt – vor allem, was die wirtschaftliche Entwicklung, die soziale Frage und die Integration betrifft. Und es begibt sich jetzt in die Isolation, die angesichts sich verändernder Weltmarktverhältnisse für ein einzelnes Land tödlich sein kann. Die britische Jugend, ja man kann sicher auch vermuten: die gebildeten Bürger Großbritanniens haben mehrheitlich für das Verbleiben in der EU gestimmt – vermutlich aber nicht energisch und konsequent genug. Denken wir nur an die Führer der Laborpartei.
Jetzt herrscht Katzenjammer. Doch die Entscheidung scheint unumstößlich. Noch hat die britische Regierung keine offizielles Ersuchen an die EU gestellt. Doch warum sollte es ausbleiben. Solange Volksentscheide – um welchen Preis und Gegenstand auch immer – als geheiligtes Gut und Zeichen der Demokratie gehandelt werden, sind Abstürze wie dieser letzte unvermeidlich. Das Letzterer als Idiotentest perfekt getimet war, wird durch das Abtauchen der Hauptakteure eindrucksvoll unterstrichen.
Ich persönlich befürworte Volksentscheide nur dort, wo auch der einfache, wenig gebildete Bürger zweifelsfrei für oder gegen eine eher unwichtige, resp. überschaubare Sache stimmen kann. Überall dort, wo es um komplizierte Zusammenhänge geht – und die Frage des Brexit ist höchst komplex und kompliziert – dürften m. E. nur diejenigen Bürger abstimmen, die in der Sache kundig sind. Geschieht das nicht, dann gewinnt der indoktrinierte, manipulierte Wähler ein Gewicht, das jede vernünftige/logische/ethisch vertretbare Lösung zunichte macht. Denken wir nur an Stuttgart 21, das jahrelange – erst durch Fukushima entschiedene – Tauziehen um die Atomkraft, das Fracking-Drama oder ganz einfach an die sogenannten Freien Wahlen. Gut möglich, dass wir eines Tages auch CETA und TTIP hier einreihen können.
Die Brexit-Befürworter sind durch Rechtsextreme aufgestachelt worden. Deren Argumentationen, Programme und Auftretensweisen unterscheiden sich durch nichts von ähnlichen Botschaften aus Holland, Frankreich, Deutschland etc. Aber die Quellen für das Erstarken des rechten Randes sind nicht allein Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Dummheit und schlichter Hass. Nein: Auch Ausgrenzung, Not und die Angst, im wirtschaftlichen Wettlauf auf der Strecke zu bleiben, treiben den Protest gegen den etablierten Staat. Aber nicht er allein ist das Ziel der Angriffe – im Fokus steht vor allem die Europäische Union. Die als bürokratisches Monster und oft auch als reine Geldmaschine für die Reichen sichtbar wird. Ganz sicher fördern Geburts- und Konstruktionsfehler des Bündnisses die allgemeine Abneigung gegen Brüssel. Eine Reform der EU ist längst überfällig. Zur Vermittlung dieser Erkenntnis aber brauchen wir keine rechte Partei, vielleicht aber den schmerzhaften Anstoß aus London. Die Bürger Europas müssen die Union als bloßes Tool des Geldadels und der Wirtschaft entmachten, um im Gegenzug wirkliche Werte länderübergreifend zu installieren. Es geht um mehr politische Beteiligung der Bürger (eine Stärkung des EU-Parlaments), um die Durchsetzung gemeinsamer Sozialstandards (Mindestlöhne, Krankenversicherungen, Arbeitsschutzrichtlinien etc.), um eine gemeinsame Energie-, Gesundheits-, Verkehrs- und Umweltpolitik (weg von der Braunkohle und von der Atomkraft) – und nicht – wie das Hardliner Schäuble formuliert – um engere Zusammenarbeit im Rüstungsbereich. Die Entscheidung der Briten dürfte diese Defizite, aber auch die Reformerfordernisse endlich ins Scheinwerferlicht rücken. Was allerdings nicht automatisch bedeutet, dass sich Grundlegendes ändert.
Ich wüsste beispielsweise nicht, wie das Flüchtlingsproblem auf EU-Ebene fair und nachhaltig gelöst werden könnte. Eher unwahrscheinlich ist zudem, dass die deutsche Politik auf ihr aggressives Lohndumping künftig verzichten würde. Immerhin sind daraus massive Wettbewerbsvorteile für die hiesige Wirtschaft erwachsen.