Die Situation ist nicht nur brenzlig, sie ist höllisch gefährlich. Das ist der psychologischen Kriegsführung, aber auch dem aktuellen Geschehen geschuldet. US-Außenminister Blinken zerrt – aufgehetzt durch absurde Recherchen der Geheimdienste – an sämtlichen roten Linien, die das Geschehen hergibt. Blinken wörtlich: „Wir befinden uns in einem Zeitfenster, in dem ein Einmarsch zu jedem Zeitpunkt beginnen könnte, und um es ganz deutlich zu machen: Das schließt die Zeit der Olympischen Spiele mit ein“, https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/usa-russland-nato-ukraine-101.html.
Ist dieser Mann noch bei sich? Ist das, was er sagt, nicht genau das falsche Zeichen – in einer Situation, die dringend des Innehaltens bedarf. Stattdessen werden die Russen bis aufs Blut gereizt – in der Hoffnung, dass sie doch irgendwann die Nerven verlieren*.
Die Russen werden sie nicht verlieren. Aber die deutsche Regierung ist dicht dabei. Wenn sie sich im Vorfeld von Scholz‘ Ukrainebesuch doch noch entschließen sollte, Waffen zu liefern, sind wir auf Dauer diskreditiert https://www.tagesschau.de/inland/ruestungshilfe-ukraine-101.html. weniger in den Augen derer, die uns ständig zum Bruch unserer Selbstverpflichtung überreden wollen – vielmehr vor uns selbst. Denn unser Tun wäre nicht nur angesichts unserer Vergangenheit schändlich, sondern auch, weil immer dann, wenn von Deutschland die Rede ist, üble Eigenschaften wie Wankelmütigkeit und Unterwürfigkeit assoziiert würden. Keine Waffen in Spannungsgebiete – jener edle und (bislang) eiserne Vorsatz – wäre dann erneut und diesmal sehr ernsthaft zur Worthülse verkommen. Deutschland würde zu einem Land, dem man nicht vertrauen kann.
Dass US-Außenminister Blinken den kommenden Mittwoch als möglichen Termin für den Beginn einer militärischen Aggression der Russen gegen die Ukraine benennt, ist einzigartig in der Geschichte der modernen Welt https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/krisen/id_91650602/drohender-krieg-russlands-praesident-putin-fuehrt-den-westen-vor.html. Es zeigt aber auch, wozu Politiker, die innenpolitisch unter Druck stehen, heute fähig sind.
Worauf soll die Ansage hinauslaufen? Soll sie der Aufforderung an alle Amerikaner, die Ukraine schleunigst zu verlassen, zusätzlichen Druck verleihen? Soll sie die Menschen diesseits und jenseits in Panik versetzen, sie zu Vorkehrungen animieren, die im Ernstfall notwendig sind? Oder soll sie die Menschen täuschen?
Immerhin wäre es möglich, dass auf die Russen gezeigt wird, während Ukrainer einen Angriff auf die Separatisten vorbereiten und dann lostreten. Letzteres wäre ein Schreckensszenario, denn die Lage würde zweifellos so dargestellt, dass auch hier die Russen schuld wären. Weil deren Agenten, perfekt getarnt, einen solchen Angriff steuerten. Die USA haben solch ein Szenario bereits beschworen und vorveranstaltet. Was also, wenn in jedem Fall Putin der Verbrecher wäre – und nicht die Amerikaner?
Jetzt wird gegen Gerhard Schröder blank gezogen – weil er die Nähe zu Putin nicht aufgibt, weil er für Frieden in der Ukraine plädiert und alle Provokationen an dieser Stelle verurteilt, weil er zur offiziellen Politik der Ampel quer steht und den Amis ihre Fracking-Gas-Träume (es handelt sich hier um ein höchst verachtenswertes Produkt**)verhagelt. Vorgeschoben werden seine materiellen/wirtschaftlichen Interessen, dass er NordStream II und damit das russische Gas für Deutschland um jeden Preis durchsetzen möchte, dass er mit seinen Aufsichtsrats-/Verwaltungsrats-Mandaten bei Gazprom&Co. reich und ein politischer Fürsprecher/ eine Galionsfigur der Russen werde.
Ich habe Schröder nie besonders leiden können – vor allem deshalb nicht, weil er sich gnadenlos für die Wirtschaft und zu wenig für die Unterprivilegierten in unserem Land einsetzte. Er erlaubte deutschen Banken den Handel mit toxischen Papieren, er ließ Hartz IV lostreten, reduzierte die Steuerlast von Unternehmen und hievte das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre. Außerdem lobbyierte er für die russische Gasindustrie – kaum, dass er 2005 sein Amt als Kanzler loswurde. Witzig ist, dass ihm die CDU für sein Wirken nach wie vor dankbar ist, während ihn die eigene Partei mehrheitlich verteufelt.
Auf der anderen Seite hat Schröder – vor allem außenpolitisch – Mut bewiesen. Er hat sich von den Amis nicht in den Irakkrieg hineinziehen lassen, die Sicherheitspartnerschaft zwischen der NATO und Russland unterstützt und damit auch den Geist der Brandtschen Ostpolitik weiter getragen. Und das gegen den erklärten Widerstand der amerikahörigen, russlandfeindlichen Kräfte, die heute das Sagen haben.
Schröder war und ist ein dynamischer Politiker – er wusste, was er tat und bewies im Amt ein starkes Durchsetzungsvermögen, etwas, dass heutigen Politikern zumeist abgeht.
Jetzt, da er alt ist, wagt man, auf ihm rumzuhacken, spricht von Verweisen gegen ihn, will ihn sogar aus der Partei ausschließen.
Dass russisches Gas nur dann fließt, wenn zwischen Deutschland und Russland Frieden herrscht, ist klar. Schröder zu unterstellen, dass er ausschließlich deshalb für Frieden plädiert, wäre mehr als bösartig. Schröder pflegt seine Freundschaft mit Putin. Das allein reicht schon, um ihn anzuprangern – als ob Freundschaften und gute Beziehungen nichts wert wären. Klar, die USA wollen ihre Vorherrschaft auf den Weltmärkten nicht nur befestigen, sondern weiter ausbauen. Das bedeutet auch, Konkurrenten – wo immer möglich – zu schwächen/ niederzurüsten. Eine Politik gegen Russland und China ist damit ebenso vorprogrammiert wie der Hass auf all diejenigen, die mit Russland oder China kooperieren möchten. Vor allem letzteres bestimmt die politische Situation der Gegenwart. Wer aus Russland die Hauptmenge seines wichtigsten Energieträgers (Gas) bezieht und eine Substitution durch US-FrackingGas vom Grundsatz her ablehnt, verstößt ganz ausdrücklich gegen amerikanische Interessen, geriert zum Bremser, zum unsicheren Kantonisten. Diese Diskussion ließe sich endlos fortsetzen und trefflich um Befindlichkeiten der umgangenen Nachbarländer, um Gas als Brückentechnologie, um die Fragwürdigkeit von Partnerschaften und die Europa betreffenden Spaltungsbemühungen der USA ergänzen.
Hier soll es aber ausschließlich um Naheliegendes gehen, darum, dass sich die USA erfrechen, in deutsche Wirtschaftsprojekte einzugreifen, sprich: einen Boykott gegen alle am Bau beteiligten Firmen auszusprechen. Dass es sich dabei um einen einzigartigen feindlichen Vorgang handelt, wird hier zu Lande so gut wie nicht thematisiert. Um die Fertigstellung und Finanzierung sicherzustellen, müssen sich die mit dem Pipelinebau beteiligten Firmen quasi abducken und eine staatliche Stiftung um Unterstützung bemühen. Weil staatliche Unternehmen von US-Boykott ausgenommen sind. Wo leben wir denn, wo kriechen wir denn. Unsere Souveränität ist auch hier wieder einmal total am Boden. Und wenn Biden bereits verspricht, dass er NordStream II stillegen will, dann sieht das nach kompletter, nicht nur nach Schröders, sondern nach Deutschlands Niederlage aus. Keiner weiß heute, wie er im Konfliktfall russisches Gas ersetzen könnte. Das amerikanische FrackingGas reichte hinten und vorn nicht (man wäre auch gar nicht in der Lage, kurzfristig die dazugehörige Infrastruktur zu schaffen) und anderweitig beschafftes Gas würde die schon jetzt rasanten Preise weiter ins Uferlose katapultieren. Sprich: die Wirtschaft müsste gigantische Zusatzkosten schlucken. Sie würde ihre Konkurrenzfähigkeit auf den Weltmärkten gefährden – sie geriet in Schockstarre.
Fragt sich natürlich, ob dass den USA nicht bestens ins Konzept passte. Sie würden ihr FrackingGas zu Vorzugspreisen in Deutschland loswerden, sie würden Deutschland mit Erfolg von Russland abkoppeln, sie würden im Baltikum, in Polen und in der Ukraine weiter Punkte sammeln und damit die Spaltung Europa – so auch dessen Schwächung – erfolgreich fortsetzen. Wenn es dann noch gelänge, einen Stellvertreterkrieg vom Zaun zu brechen, sprich: die ukrainischen Nationalisten – allen voran die faschistischen Swoboda-Brigaden – gegen die Aufständischen in Donezk und Luhansk in Stellung zu bringen, wäre der amerikanische Fischzug perfektioniert. Immerhin dürfte es leicht fallen, ein paar korrupte und waffengeile Provokateure zu finden, die den Konflikt morgen lostreten. Die neuen amerikanischen Waffen und Granaten würden dann auch getestet.
Was hat das alles mit Schröder zu tun?
Nun, Gerhard will den USA das einträgliche, höchst komplexe Geschäft vermasseln. Doch nicht nur das. Er setzt dem ständigen, im Grunde unerträglichen RusslandBashing mal eine Mahnung an die Ukraine entgegen (hört auf mit dem Säbelrasseln!). Etwas höchst Ungewolltes, eine Botschaft, die nach Auffassung der tonangebenden Politik zur Unzeit kommt, etwas, dass in den MainstramMedien total ausgespart wird. Klar, dass Olaf Scholz und sein Team da aufstöhnen. So kurz im Amt, so vordergründig auf Fortschritt gebürstet und schon in der alten Kniefälligkeit. Alles kuscht vor den USA, und auch Gabriel – einst so nett verbündet mit Schröder – fährt klaren BRÜCKE***-Kurs. Schon erstaunlich, dass das Volk völlig anders gepolt ist. Nach letzten Recherchen des SPIEGEL wünschen 46 % der Deutschen mehr Nähe zu Russland. Zu vermuten ist, dass sie in Sachen Frieden auch eher nichts gegen Gerhard Schröder haben. Dass diese Haltung völlig konträr zur weitgehend gleichgeschalteten Propaganda steht, ist grotesk. Da wird die mecklenburgische Ministerpräsidentin Schwesig als SchröderVersteherin und NordStream II- Trickserin verunglimpft, da wird verbreitet, dass Schröder bis auf ein paar ihm verpflichtete Typen keine Freunde und Fürsprecher habe (DER SPIEGEL Nr. 7/2022, S. 22 ff.: „Ein fatales Signal“ https://www.spiegel.de/politik/deutschland/gerhard-schroeder-wie-der-altkanzler-die-spd-mit-seinen-russland-jobs-quaelt-a-5cc8d3be-0fa0-4edb-adf6-7b60ecfa57a3), da wird letztlich die Panikmache von US-Außenministers Blinken (alle Amis sofort raus aus der Ukraine!) durch gleichlautende Aufrufe an deutsche Staatbürger befeuert.
Ich finde das alles zutiefst unfriedlich … und höchst gefährlich …
*Ich halte es für mutig, dass DER SPIEGEL in seiner Ausgabe vom 12. Februar 2022 umfangreiche Rechercheergebnisse zum Thema „NATO-Erweiterung“ preisgibt. Und dann feststellt,dass es bereits Anfang der Neunziger Jahre – nicht nur von den USA, sondern auch von Großbritannien und Frankreich – mündliche Versprechen gab, den Einflussbereich der NATO nicht weiter auszudehnen. Der Westen habe mit einer gegenteiligen Politik keine Verträge gebrochen (denn die gab es schriftlich nie), er habe aber sehr deutlich gegen den Geist der Absprachen verstoßen (Genscher in einem Interview) https://www.spiegel.de/panorama/nato-osterweiterung-was-hat-der-westen-1990-heimlich-dem-kreml-zugesagt-a-38b7dc85-ab4f-48db-837d-1b974c8ae95a
** https://www.stoerfall-zukunft.de/?s=Fracking
***gemeint ist die Atlantik-Brücke – lt. Wikipedia ein gemeinnütziger Verein, der mit dem Ziel gegründet wurde, eine wirtschafts-, finanz-, bildungs- und militärpolitische Brücke zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland zu schlagen.
Der US-Diplomat George F. Kennan hatte am 5. Februar 1997 eindringlich vor der Osterweiterung der Nato gewarnt – ist aber von Clinton nicht gehört worden https://www.infosperber.ch/politik/welt/so-kann-man-aus-der-geschichte-lernen/.
So kann man aus der Geschichte lernen