Es ist total interessant. Immer wieder beobachte ich bei der Rheinischen Post, dass Beiträge, die um eine vollständige Information zu Sachverhalten bemüht sind, Tage später aus dem Internetuniversum verschwinden, bzw. durch neue relativierende, abgeschwächte oder vollkommen „vergurkte“ Texte ersetzt werden. Hier ein anschauliches Beispiel: Im Bild steht der Kommentar von Thomas Seibert vom 6. Oktober 2024, den ich für allumfassend und gut erachte. Sucht man den Text heute am 15. Oktober im Netz, findet sich unter der gleichen Überschrift zum gleichen Thema etwas anderes https://rp-online.de/politik/ausland/nahostkonflikt/nahostkonflikt-analyse-ein-jahr-krieg-und-nur-verlierer_aid-119694909
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Zwar bleibt der Autor der gleiche. Doch man hat den Eindruck, dass Seibert abgebürstet wurde/resp. etwas auf den Deckel bekommen hat. Weil der Autor ganz offensichtlich von der regierungsamtlich konservativen Deutung des Gaza-Konfliktes schwer abgewichen war.
Mir ist klar, dass es Menschen gibt, die alles daransetzen, Begriffe wie FRIEDEN und DIPLOMATIE zu verunglimpfen, ja zu Unwörtern des Jahres 2024 zu erklären. Die Zeiten sind danach und nichts scheint derzeit mehr diskreditiert als die löbliche Absicht, die Zukunft der Menschheit als freundliches, gedeihliches Win Win zu gestalten.
Ich weiß noch genau, wie ich vor etwa 20 Jahren vor den Toren der Firma Rheinmetall gegen deren Rüstungspläne und später ganz allgemein gegen die Steigerung von Waffenexporten demonstrierte. Damals fanden wir dieses Tun fortschrittlich, und die Lieferung von Waffen in Spannungsgebiete galt als absolutes NO GO. Heute ist von bedingungsloser Unterstützung in Spannungsgebieten (Ukraine, Israel) und mehr Wehrtüchtigkeit, von mehr als 2% des BIP für die Rüstung die Rede. Als ob es nicht mit radikaler Entbürokratisierung/Stellenstreichung und sinnvollerem Mitteleinsatz getan wäre.
Journalisten treibt es in die Werkhallen der Todbringerkonzerne. Man sieht Videos von Granaten drehenden Fabrikarbeitern, die blöde in die Optik glotzen und nichts dabei finden, wenn neue Ingenieurleistungen noch effektiver tötende Produkte hervorbringen.
Wer heute für Frieden ohne Vorbehalt plädiert, wird als Naivling bloßgestellt, verspottet oder tätlich angegriffen.Dabei weiß jeder denkende Mensch inzwischen, dass der Krieg zwar die Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln, aber keineswegs tauglich ist, Dinge zum Guten zu wenden. Der von Waffen begleitete politische Prozess hat spätestens mit dem Ende des zweiten Weltkriegs seine Glaubwürdigkeit verloren. Unzählige militärische Aktionen – vor allem der USA – haben das längst bewiesen. Nichtsdestotrotz wird diese Erkenntnis, werden die Botschaften von Barbara Tuchmann („Die Torheit der Regierenden“) und Naomi Klein („Die Schockstrategie“) verdrängt bis totgeschwiegen. In den barbarischen Kriegen, die derzeit in der Ukraine und im Nahen Osten toben, sterben täglich unzählige Menschen, denen niemand erklären kann, warum sie denn stürben. Denn substanzielle Erfolge, solche, die der Menschheit demokratisch voran helfen könnten, werden weder für Kiew, noch in Gaza jemals erreicht werden. Die Ukraine wird Teile ihres Territoriums verlieren, und im Nahen Osten erzeugt der Hass spätestens in fünf Jahren die gleichen Strukturen wie vor dem 7. Oktober 2023.
Trotz dieser einfachen Logik, trotz der historischen Erfahrungen wird weiter gekämpft – weil die Kontrahenten glauben, Siege einbringen zu müssen. Weil ein Netanjahu den Machtverlust fürchtet, der ihm zehn oder mehr Jahre Gefängnis bescheren könnte.
Dass die Friedensbewegung in Deutschland so schwach ist, hat nicht etwa damit zu tun, dass ein gewachsener Wohlstand, dass die IT- und Plattformhysterie Faulheit, Desinteresse und schwindende Motorik erzeugen, sondern mit dem politischen Umfeld der Kriege. Die Ukraine führt einen gerechten Krieg gegen den Aggressor Putin, und ein vom 7. Oktober traumatisiertes Israel holt fortwährend zu immer neuen, völlig unverhältnismäßigen Schlägen gegen Hamas und Konsorten aus.
In einer solchen Situation für sofortigen Frieden zu plädieren – einen Frieden, der im erst genannten Fall eine maßlose Zerstörung von Leben und Material sowie Gebietsverluste und im zweiten Fall verbleibende Bataillone von islamistischen Terroristen festschreiben würde – ist höchst problematisch. Denn eine solche Forderung erzeugt augenblicklich massive Gegenkräfte, die sich – ebenso wie das auf Seiten der Friedensbeweger geschieht – in öffentlichen Demonstrationen artikulieren. Wer also den sofortigen Waffenstillstand fordert, ist eingeklemmt in Begriffe wie „gerechter VerteidigungsKrieg“, Souveränität“, „Freiheit“, Angriffskrieg, „Terrorismus“ etc.– ganz gleich ob diese Schlagworte zu Recht gebraucht oder interessengesteuert instrumentalisiert werden.
Die „gut gemeinte“ Bewegung, die das alles augenblicklich beenden möchte, zersplittert folglich, zerlegt sich in Teilen von selbst, erlebt Fragmentierung und Marginalisierung. Glashart gespiegelt wurde das anlässlich der beiden Demos – der „großen“ Friedensdemo und der kleineren Gegendemo – vom 3. Oktober. Sahra Wagenknecht, ja auch Stegner (der sich redlich bemühte, dafür aber ausgebuht wurde), bemühten sich einzufordern, was zweifellos der Mehrheit der Deutschen auf der Zunge liegt: den sofortigen Waffenstillstand. Ja, und die Wagenknecht sorgte ein für alle Mal auch für Klartext: Wer einen Krieg beginnt, formulierte sie, ist ein Verbrecher. Sie erteilte denen, die ihr ständig die Nähe zu Putin bescheinigen wollen, die vorerst letzte knallige Ohrfeige – was der Geschlossenheit der „Friedenskämpfer“ gut tat, aber auch nur einen Tropfen auf den heißen Stein markierte. Dass die Medien nicht in der Lage waren, die Zahl der Protestler auf beiden Seiten auch nur annähernd auszumachen, setzte dem Ganzen die Krone auf. Wie denn konnte es sein, dass für die Friedensdemo zwei derart weit auseinanderklaffende TeilnehmerZahlen genannt wurden (Polizei: 10.000 und Veranstalter: 40.000). Da mochten Diskrediteure wie Aufbauscher lustig am Werk gewesen sein, und niemand interessierte das ernsthaft.
Was wir möglichst bald brauchen, ist eine den UN-Normen entsprechende Sicherheitsarchitektur, die alle europäischen Staaten einschließlich Russlands einbindet, ein festes Vertragswerk, das durch die „Aufsicht“/durch Garantien des UN-Sicherheitsrates, resp. der USA, Chinas, Indiens, Brasiliens, Südafrikas etc. stabilisiert wird.
Zum anderen geht es um Frieden schaffende Maßnahmen im Nahen Osten – um einen existenzfähigen, gleichberechtigten Staat für die Palästinenser. Beides erscheint gegenwärtig mehr als illusionär – aber andere stabile Lösungen gibt es nicht. Und es dürfte Jahrzehnte dauern, bis die durch die Kriege entstandenen neuen Verwerfungen, bis Wut und Hass ausgetilgt werden. Jahrzehnte, in denen aber bereits andere Konflikte – beispielsweise der um Taiwan – heranreifen.
In meinem Buch „Die Zukunft sieht anders aus“ schlussfolgere ich, dass die Menschheit den Kapitalismus lediglich etwas entschärfen, aber nie loswerden wird. Dass dieser KAP aber – weil er an unendliches Wachstum und Wettbewerb gebunden ist – die Ressourcen unseres Planeten in zunehmendem Tempo aufzehrt. Was zwangsläufig zu immer heftigeren Rangeleien um diese Ressourcen, zu blutigen Konflikten und Kriegen führt.
Bleibt die Frage, welche Chancen sich für „Frieden an sich“ angesichts solcher Erkenntnisse überhaupt auftun. Ob die Vorstellungen zu arbeitsteiliger Existenz, zu einem friedlichen Miteinander der Menschen, ob Konstrukte, die auf Kooperation und Menschlichkeit basieren, über ein „verträumtes“ Denken hinaus überhaupt realisierbar wären. Bleibt die Frage, ob eine Macht habende Elite das jemals hergeben könnte/würde. Wohlmeinende Konstrukte wie die UNO, deren Aufgabe es eigentlich ist, den Weltfrieden herzustellen und zu bewahren, werden die beschriebenen Verhältnisse nur so weit beeinflussen können, wie das die maßgeblichen Protagonisten (und Finanzierer) zulassen.
Die permanente Schwächung der UNO, die in Kriegszeiten wie den jetzigen offen zu Tage tritt (die Uno kann bei beiden Konflikten nicht eingreifen; Guterres, der Israel öffentlich verurteilt, darf Israel nicht betreten), beweist diese These täglich und eindrücklich. Großmäulige Gesten, etwa die Ansage von Trump, dass er den UkraineKrieg in einem Tag beenden könnte, ändern daran auch nichts. Zumal der Republikaner andererseits zur Bombardierung der iranischen Atomanlagen auffordert.
Mein Fazit ist eher ernüchternd – obwohl ich mir Positiveres von Herzen wünschte: Unter kapitalistischen Bedingungen werden jegliche Bemühungen zur Konfliktbewältigung allenfalls temporär und regional/punktuell Erfolg und nur so lange Bestand haben, wie ein Interessenausgleich vor Ort und zu gegebener Zeit möglich ist.
Was aber heißt das für uns, für heute und für die Zukunft?
Wir müssen diejenigen, die den Krieg in die Welt tragen – allen kriegslüsternen, auf Expansion und Unterdrückung gepolten Potentaten, Diktatoren und Autokraten auf Schritt und Tritt im Weg stehen. Aber auch diejenigen zur Ordnung rufen, die andere für westliche Werte – quasi chancenlos – in den Tod hetzen. Wir müssen alle Allianzen, die demokratisch und menschenrechtskonform gegen Kriegshetze und maßlose Aufrüstung auftreten, aber auch Deserteure aus allen Kriegsparteien massiv unterstützen. Nicht durch Waffenlieferungen und eigenes militärisches Eingreifen (das sei nur dann gestattet, wenn der Bündnisfall, also die unzweifelhafte Verteidigung der deutschen/europäischen Bevölkerung ansteht), sondern durch nationale und internationale Kooperation von Friedenswilligen, die wirtschaftlichen und politischen Druck, ja: die komplette Isolation des Aggressors möglich machen. Das mag zunächst weltfremd klingen. Denn bisher ist es nicht einmal möglich, die eigene Regierung für diplomatische Anstrengungen zu motivieren/zu zwingen. Das, was in Sachen Gazakrieg läuft, zählt ohnehin nicht. Für MEHR bräuchte es den zehnfachen Protest, dann eine schlüssige Reaktion der Regierenden – doch beides ist vorerst nicht zu haben. Es gilt die Vasallentreue gegenüber den USA (betrifft den Ukrainekonflikt) und die bedingungslose Unterstützung des Staates Israel – wobei es Letztere nicht um jeden Preis geben dürfte (Deutschland kann für das Existenzrecht des jüdischen Staates bedingungslos und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln eintreten – müsste aber andererseits völkerrechtswidrigen Handlungen der Netanjahu-Clique aufs Schärfste verurteilen). Wer glaubt, dass es nicht möglich ist, die laufenden Kriege zu stoppen, ist schwer im Irrtum. Die Nato und der geballte Westen wären zweifellos und sofort in der Lage, positive Zeichen zu setzen – so denn der Wille da wäre. Stattdessen setzt man weiter auf die Schwächung Russlands und folgt der israelischen Legende, dass der laufende Vernichtungskrieg Entspannung in der Region bringen wird.
Wir müssen die Friedenswilligen in Deutschland, all diejenigen, die für das sofortige AUS von Krieg eintreten, unterstützen – auch beim Ausbau internationaler Netzwerke. Das ist doppelt wichtig, wenn Konflikte aus „bösartigem“ Anliegen heraus zustande kommen und Lösungen (also „moralisch vertretbare Siege“) unmöglich sind. Im Ukraine-Konflikt, bei dem ein vom Westen in den gerechten Verteidigungskrieg gedrängter, militärisch „gepeppelter“, im Grunde aber völlig unterlegener Akteur allmählich ausblutet, muss aktiv gehandelt werden. Indem man aufklärt, die verbrecherische Haltung Putins ebenso anprangert wie das heuchlerische Gebaren des Westens, weil Letzterer die Ukraine weder ausreichend unterstützt (oft veraltete Waffen in problematischer Vielfalt, Mangel an moderner Luftabwehr, schleppende Lieferungen etc.), noch ausdrücklich auf die Bremse tritt – obwohl seit langem klar ist, dass keine Seite weder den Krieg noch eine außerordentlich vorteilhafte Position bei möglichen Verhandlungen gewinnen kann. Eine Analyse des 1. Weltkriegs (konkret: des Stellungskriegs an der Westfront 1914-1918) belegt deutlich, wohin man gerät, wenn der Irrsinn die Oberhand gewinnt. Damals starben allein aus dieser Patt-Situation heraus mehr als eine Million Soldaten.
Wir müssen dazu beitragen, dass FriedensDemos – wie die am vergangenen 3. Oktober – mächtiger und mächtiger werden. Und den Druck erzeugen, der Regierung und Parlament in Bewegung bringt, sprich: echte diplomatische Aktivitäten auslöst. Denn der benachbarte Ukrainekrieg kann schnell in einen Weltkrieg münden – vor allem dann, wenn Selenskij grünes Licht dafür bekommt, weitreichende Waffen auf strategische Ziele, ja auch nach Moskau zu schicken. Und Putin darauf mit Atomwaffen reagiert (ich bin sicher: da wird es keinesfalls bei Drohungen bleiben).
Den gelben, grünen, hellroten und schwarzen Kriegstreibern rufe ich zu: no pasaran – ihr kommt nicht durch!
Die Bemühungen von Sahra Wagenknecht & Co dagegen unterstütze ich ausdrücklich.