Kaisersturz, Räterepublik und Rosa Luxemburg

Noch ist 2018, noch können wir über die NovemberRevolution referieren, vor allem aber gerade rücken, was der zumeist reaktionä- re Historikerbetrieb so absondert.

Wir alle, wir, die wir den AUSknopf verfehlt haben, mussten Ende Oktober den ZDF-Schmarren „Kaisersturz“ über uns ergehen las- sen.1 Eine Schmierentragödie, die sich mit der Abdankung von Wilhelm I. beschäftigte. Eine SturzStory, die weder die kriegs- auslösenden Momente, noch die Kriegsschuld selbst themati- sierte. Ganz zu schweigen von Revolution und Kommunismus, die man kurzerhand ausblendete.

Soviel Halbbild geht gar nicht. Denn ganz gleich, ob man die Ideen des Sozialismus und Kommunismus ablehnt oder von ihnen begeistert ist, ganz gleich, ob man sie als Utopien abtut oder als Ideenspender, ja Kraftquelle für die Veränderung der bestehenden Gesellschaft empfindet, sie existieren einfach und mit ihnen die Ereignisse und Persönlichkeiten. In „Kaisersturz“ gab es den geknickten Kaiser, den unfähigen Max von Baden und die MehrheitsSozialdemokratie (MSPD) unter Ebert – allesamt Protagonisten mit Machtambitionen. Die einen kolaborierten, die anderen kolabierten, wieder andere griffen die Gelegenheit beim Schopfe oder gaben auf. Letztendlich stürzte der Kaiser und Ebert obsiegte.

Völlig klar, dass das deutsche Kaiserreich nicht nahtlos in Sozialis- mus oder Kommunismus aufgehen konnte. Aber es gab neben den bürgerlichen Republikanern die Revolution und mit ihr Menschen,die den Umbruch sehr viel weiter – nämlich bis zur gesamtdeut- schen Räterepublik – führen wollten und diese Absicht auch kraft- voll umzusetzen begannen. Und genau das hätte – ebenso wie die Auseinandersetzung zwischen Monarchie und Repräsenta- tivsystem – Gegenstand besagter Szenerie sein müssen. Doch die Produzenten des handwerklich gut gemachten, inhaltlich aber total vergeigten Spektakels waren offenbar auf History a la Guido Knopp aus. Auch da fehlt es immer bei links.

Um genau zu sein: Im Umfeld des „Kaisersturzes“ gab es neben der degenerierten Monarchie und den teils kooperierenden, teils ausbrechenden Mehrheitssozialisten (MSPD) um Fried- rich Ebert Menschen wie Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Franz Mehring, Wilhelm Pieck und Leo Jogiches – Menschen, die kraftvolle, zum Teil aber auch sehr unterschiedliche Signa- le in die Gesellschaft aussandten.2 Dazu kam Lenin, der die kom- munistischen Verbündeten in Deutschland anlässlich der interna- tionalen Konferenzen von Zimmerwald (1915) und Kiental (1916) massiv unter Druck setzte. Er forderte sie auf, sich umgehend und vollständig von den alten, für den Krieg verantwortlichen Parteien zu lösen.

Bereits 1916 hatte sich um die von Luxemburg und Mehring ge- gründete Zeitung „Die Internationale“ eine Gruppe von Leuten ge- schart, die kurz darauf im sogenannten Spartakusbund aufgingen. 1917 scherten vor allem SPDler, denen die Kriegsanleihen, sprich: die finanzielle Unterstützungen des deutschen Militärs durch ihre Partei ein Dorn im Auge waren, sprich: Leute, die nicht mit Ebert marschieren wollten, aus dem alten Verband aus. Sie gründeten die USPD. Später, Mitte Dezember 1918, sammelten sich zudem die Internationalen Kommunisten Deutschlands (IKD). Der 1. Janu- ar 2019 schließlich brachte die Zusammenfassung der linken Kräfte. Er gilt als Gründungstag der KPD. Wichtig war im Grunde nur eine der politischen Botschaften. Sie wurde von Rosa Luxemburg formuliert. Einer Frau, die mit dem „Krawallkommunismus“ nichts, aber auch gar nichts am Hut hat- te. Sie nahm vielmehr eine realistische Haltung ein und erklärte, dass die Revolution nicht durch einen Handstreich gegen die politische Spitze vollendet werden könne. Durch Streiks in den Betrieben – so Luxemburg sinngemäß – müsse zunächst die ökonomische Basis des Kapitalismus untergraben werden. Bisher habe die Revolution erst die Industriezentren erfasst. Es wäre aber „ein Wahn, den Sozialismus ohne Landwirtschaft zu verwirkli- chen“. Hier seien das „landlose Proletariat und das Kleinbauern- tum“ zu mobilisieren. Die Schlusskrise des Kapitalismus sah Luxemburg für den Moment, in dem die Nationalstaaten sich die letzten Absatzgebiete für ihre Kapital- und Warenexporte unter- worfen hätten. Der Verteilungskampf im Weltkrieg und die auf ihn folgenden Umwälzungen seien nur eine Etappe auf diesem Weg, der sehr lang sein werde. Wer ihn durch einen einma- ligen Kraftakt abkürzen wolle, mache sich seinen Radikalis- mus zu leicht. In logischer Fortsetzung plädierte Luxemburg für eine Teilnahme an den Wahlen zur Nationalversammlung, auf deren Grundlage das erste parlamentarische Repräsentativsystem entstehen sollte (Luxemburg hat die erste repräsentative Demo- kratie zweifellos als ersten Erfolg auf dem langen Weg gedeutet). Ihre Haltung fand jedoch keine Mehrheit im Spartakusbund. Was schließlich zum Boykott des am 19. Januar 1919 durchgeführten Urnengangs führte.

Sicher wurden die von Luxemburg, Liebknecht, Jogiches und Levi vertretenen realistischen Auffassungen zur revolutionären Entwicklung sowohl von der radikalen Linken (die schnell und kategorisch auf eine Räterepublik aus war) als auch von der Mehrheitssozialdemokratie (die ihren Einfluss gefährdet sah) als echte Bedrohung empfunden. Entsprechend fielen die Reaktio- nen aus. Noske ließ die demonstrierenden Massen, die weitgehend führerlos zunächst in Kiel agierten, dann aber auch das Zeitungs- viertel in Berlin besetzt hatten, im November 1918 niederkartät- schen. Der Spartakusaufstand (5.-12. Januar 1919)  verschärfte die Lage zusätzlich. Luxemburg und Liebknecht fielen am 15. Januar einem heimtückischen Komplott reaktionärer Militärs und rechter SPDlern zum Opfer. Jogiches traf es wenig später– am 10. März 1919. Auch aus diesen Morden heraus erwuchs neuer Druck, der den „Sortierprozess“ im linken Lager be- schleunigte. Paul Levi, der neue Vorsitzende der KPD, setzte sich noch im gleichen Jahr gegen die bislang dominierenden Volunta- risten* durch und drängte sie aus der Partei. Der entstandene Ader- lass soll erst 1920, als sich die USPD spaltete, durch neue Anhän- gerschaften wettgemacht worden sein. Genau zu diesem Zeitpunkt – so heißt es – sei die KPD zu einer Massenorganisation avanciert. Wirkliche Macht ausüben konnte diese Partei allerdings nicht. Das hatteder Boykott vom 19. Januar 1919 nicht hergegeben. Links von der MSPD ging praktisch nichts. Und an ein Bündnis von KPD, USPD und MSPD war ebenfalls nicht zu denken. Stattdessen bekamen die rechten Führer der siegreichen MSPD/SPD, Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann, das Heft in die Hand (von da ab Reichspräsident bzw. Reichsministerpräsident) – wenngleich auch ihre Vollmachten im Rahmen der entstandenen Koalition mit BVP (Bayrische Volkspartei) und DDP (Deutsche Demokratische Partei) beschränkt blieben. Was auch durch den sofort einsetzendenWiderstand der Opposition, sprich: der reaktionären Kräfte im Lande begründet war.

 

* Voluntaristen sehen im Marxismus keineswegs eine Lehre der deterministi- schen, durch eindeutige Bedingungen festgelegte Entwicklung der Gesell- schaft. Vielmehr betonen sie den „subjektiven Faktor“, die Aktivität, den Willen zur Veränderung der Welt.

1 https://www.zdf.de/dokumentation/dokumentation-sonstige/kaisersturz-100.html

2 https://digital.freitag.de/5018