20 Jahre deutsche Zwei-Heit

Es ist wahrlich kein Wunder, dass heute – zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung – das Gros der Westdeutschen dieses Ereignis befeiert, während Zehn-, ja vielleicht Hunderttausende im Ostteil unseres Landes hinter die Mauer zurück wollen. Der Rest mag realistischer denken und die deutsche Einheit als Mix von punktuellem Erfolg und massenhafter Bauchlandung empfinden – für die Ostdeutschen wohlgemerkt.
„War nicht besser möglich“, höre ich dann, „keine Erfahrungen mit der Transformation und … die sollten sich freuen … bei den Wahnsinns-Transferzahlungen. Nun, die reichlich 1 Billion Euro für den Aufbau Ost haben alle erbracht – auch die Ossis. In den Genuss des Geldsegens indes kamen vor allem Konzerne – eben die, die die neue Struktur östlich der Elbe gestalteten/verunstalteten. Für den Bürger selbst ist manche „Errungenschaft“ zweitrangig – ganz gleich, ob sie der öffentlichen Hand oder der Privatwirtschaft entsprang. Die extreme Radfahrweg-Dichte, überdimensionierte Erlebnisbäder und Kläranlagen, ja selbst die hochwertigsten Straßen der Welt werden mit Kopfschütteln quittiert, wenn man die Existenz- und Lebensbedingungen der Wendeverlierer dagegen hält. Und die Konsumpaläste geben nur denen etwas, die darin nicht traumtänzeln, sondern auch kaufen können. Hier aber klemmt es, seit der Osten den Großteil seiner Betriebe und Einrichtungen in der Landwirtschaft verloren hat. Auch nach zwanzig Jahren ist die Arbeitslosigkeit im Osten doppelt so hoch wie im Westen und zahllose Jobs werden noch immer schlechter bezahlt als im „Kernland“.
„Pech gehabt“, tönen die Gazetten. Die DDR-Mädels und -Jungs haben zwar 735 Milliarden Ostmark Reparationen an die Sowjets gezahlt (der BRD blieben solche Opfer – die Israelhilfe ausgenommen – erspart) und mäßig bis tapfer im Käfig geackert. Dass ihnen heute dennoch das Stigma des Mittelmäßigen, des Maroden oder kurz gesagt: der Verlierer anhaftet, sei hausgemacht. Wo alles nur knapp war, blieb wenig zum Wundern. Schließlich habe man dem Einigungsvertrag mit der „Anschluss-Klausel“ zugestimmt. Ob da ein Lothar de Maiziere um die Würde des Osten rang, ein Schäuble seine Mitspieler süffisant übertölpelte oder ein Krause alles zur Flotte gab („DIE ZEIT“, 30. September 2010), tue hier nichts zur Sache. Man habe sich in die westdeutsche Verfassung/in das westdeutsche Grundgesetz einzugewöhnen, und damit … basta!
Genau hier begannen die Desinformationskampagnen, die unliebsame Wahrheiten mit permanenten Debatten über Unrechtsstaat, Stasi, Mauer und Wirtschaftschaos zu löschen suchten. Natürlich war die DDR ein Unrechtsstaat – wenn man die Gesetze und das Rechtsverständnis der Bundesrepublik West zu Grunde legt. Und natürlich liegt es mir fern, die Machenschaften des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) durch Kritik an westlichen Geheimdiensten zu relativieren. Menschenverachtung und Menschenrechtsverletzungen bleiben was sie sind – ganz gleich, auf welchem Nährboden sie gedeihen.
Ganz sicher konnten die Wirtschafts-„Strategien“ des Ostens denen des Westens nicht Paroli bieten. Was nicht heißt, dass alles, was die Ex-DDR hervorbrachte, Murx war und dem Schlendrian anheimfiel. Wenn ich Bekannten hier im Westen erzähle, dass es z. B. für die ostdeutsche Stahlindustrie über dreißig so genannte Kompensationsvorhaben (Barter-Geschäfte) gab, sind sie erstaunt. Vor allem darüber, dass die im Westen gekaufte Technik höchstes Niveau hatte und mit Produkten aus den zugehörigen Anlagen bezahlt wurde. Aber nicht nur diese Stahlwerke, Walzwerke und Bandbehandlungsanlagen repräsentierten Hightech. Auch die aus dem Westen importierten Werkzeugmaschinen in Europas größtem (!) Fertigungsbetrieb „Fritz Heckert“, Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz), die Ausrüstungen in der Möbelindustrie (z. B. Zeulenroda), in der Lebensmittelbranche etc. mussten den Vergleich mit westeuropäischen Produktionsstätten nicht scheuen. Bei Computern freilich konnte die DDR (Robotron) nicht mithalten. Die wurden aus dem Westen importiert, entsprachen aber nicht dem neuesten 16-bit-Standard (Embargo). Ich erinnere mich noch: Im Frühjahr 1987 war das Entree des Ministeriums für Erzbergbau, Metallurgie und Kali bis zur Decke mit westlichen Commodore-PCs zugestellt. Der „embargo-gestörte Rest“ wurde irgendwann „privat“ dazu gekauft. So dauerte es nur ein paar Monate, bis ein über Ost-Berlin hinaus reichendes, komplexes Rechnernetz existierte, das die Zentrale mit wichtigen Fertigungsbetrieben verband. Wichtigstes Ergebnis: Ein EDV-Embargo des Westens – diese Netze betreffend – war durchbrochen. Auch, weil die Spionage funktionierte und „geschäftstüchtige“ westliche Verkäufer ihren Reibach machen wollten.
Nun, am Ende des Endes hatte die DDR 20 Milliarden DM Schulden – eine Summe, die groß scheint, aber heute und in anderen Ländern wie Peanuts anmutet. Gleichwie, die Machthaber knickten, knickten ein oder wurden geknickt. Für mich sah das – bei allem Protest, bei allen Montags-Demos, bei aller Neutralität der Sowjettruppen – wie eine Übergabe aus. Längst geplant und dann umgesetzt – ohne dass ein Schuss fiel (!!!). Westliche Politik und Medien sind diesem Phänomen nie wirklich nachgegangen – obwohl ihnen die Mittel dafür sicher zur Verfügung standen/stehen. Ganz so als gäbe es Absprachen, die bis irgendwann geheim bleiben müssten.
Umso intensiver bemühten sich die westlichen Medien, die dominierenden technischen Dinosaurier abzulichten und den DDR-Bürger als Wesen von gestern, als faul und dumm ins Bewusstsein der Westbürger einzupflanzen. Ein Vorgehen mit Kalkül – denn wo man etwas als unmodern und hinterwäldlerisch stigmatisieren konnte, war es leicht, einfach abzuräumen. Und so schliff man mit Bedacht vor allem das, was zum Wettbewerb fähig schien. Die betroffenen Ostdeutschen waren schockiert. Es tat ihnen weh, auch Hochwertiges in den Schrottpressen verschwinden zu sehen. Aber letztlich mussten sie akzeptieren und hinnehmen.
So die Botschaft an diejenigen, die den Osten bis heute nicht besucht haben, aber trefflich über ihn Bescheid wissen.
In den Köpfen der Vereinigungsgewinner, aber auch vor Ort gab es die wahren Bilder. Hier wurde kurz nach dem Mauerfall ein blutiges Spiel in Gang gesetzt, das nur einen Gedanken zuließ. Nämlich den, die zulaufende Substanz optimal, sprich: zum maximalen Nutzen des Westens auszubeuten. Zwar musste den Ossis zumindest der Schein einer künftigen würdevollen Existenz vermittelt werden, doch dafür sollte und musste der Staat, sprich: der Steuerbürger herhalten. Vorrang hatte zweifellos der Aufbau einer neuen Finanz- und Wirtschaftsstruktur – mit veränderten Besitz- und Machtverhältnissen. Ursprünglich – kurz nach dem Mauerfall – hatte alles noch ganz anders ausgesehen. Die Teilnehmer des Runden Tisches – allen voran Wolfgang Ullmann – hatten dem zerrissenen Land einen „Dritten Weg“ jenseits der Plan- und Marktwirtschaft in Aussicht gestellt. Dabei sollte den Bürgern der ehemaligen DDR ein möglichst großer Anteil am ehemaligen Volkseigentum übereignet werden (http://www.bundestag.de/dasparlament/2010/11/Beilage/006.html)
Zur Regelung aller sich verändernden Vermögensverhältnisse hatte Hans Modrow, vorletzter Ministerpräsident der DDR, die Order erteilt, eine Treuhandanstalt zu schaffen. Das Schicksal wollte es allerdings, dass Modrow die kommende Wahl verlor. Ihm folgte der CDU-Mann Lothar de Maizière, der auf Druck westdeutscher Politiker all das umwarf und eine neue Devise herausgab: privatisieren und sanieren – wo eben sinnvoll und liquidieren, wo aussichtslos. 20 Jahre deutsche Zwei-Heit weiterlesen