Wolfgang Thierse, Gesine Schwan – sie leben hoch!

Es ist mehr als empörend, wie derzeit mit so verdienstvollen Leuten wie Wolfgang Thierse und Gesine Schwan umgegangen wird. Der übersteigerte Kampf um Identitäten hat diejenigen, die um Minderheitenschutz bemüht haben, längst diskreditiert. Sie haben der Gesellschaft einen Bärendienst erwiesen und linkes Gedankengut weiter abgehängt.

Um die Diskussion noch einmal ins Blickfeld zu ziehen, rekapituliere ich kurz: Da gab es zunächst die Thierse-Interview mit der FAZ. Ich kommentierte es kurz  https://www.stoerfall-zukunft.de/bleibt-auf-dem-teppich-mit-eurem-identitaetsgetoese/

Dann folgten überaus hitzige Debatten:

https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/queerspiegel/esken-und-kuehnert-beschaemt-spd-debattiert-umgang-mit-queeren-menschen/26966828.html?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

https://www.tagesspiegel.de/politik/thierse-und-der-streit-ueber-identitaetspolitik-so-schafft-die-sozialdemokratie-sich-selbst-ab/26969166.html

https://www.tagesspiegel.de/politik/klima-des-hasses-wolfgang-thierse-rechnet-mit-der-spd-ab/25297614.html

 

Man glaubt es nicht. Aber im SPIEGEL Nr. 10/21, S. 24 sortiert sich das Ganze zu einem SPD-internen GenerationenKonflikt:

Duell der Generationen

Ältere Genossinnen und Genossen wie Wolfgang Thierse setzen auf traditionelle Kernthemen der SPD, jüngere um Parteichefin Saskia Esken engagieren sich in sozialen Medien für Minderheiten wie die Queer-Community. Nun kracht es ordentlich.

Wolfgang Thierse hat dieser

Tage eine Mail bekommen.

»Tja, selbst schuld. Wer schwulenfeindliche,

reaktionäre, hinterwäldlerische,

faschistoide Dreckscheiße

von sich gibt, muss mit so einer Reaktion

rechnen. Treten Sie zu den Religions –

faschisten von der Union über und werden

Sie dort glücklich. Ein verärgerter schwuler

Genosse.«

Der Sozialdemokrat und ehemalige

Bundestagspräsident Thierse sitzt in seiner

Berliner Wohnung, als er die Mail am

Telefon vorliest. In seiner langen politischen

Karriere stand er immer auf der Seite

der Progressiven. Er war im Widerstand

gegen das DDR-Regime. Später kämpfte

er wie kaum ein Zweiter gegen die Gefahren

des Rechtsextremismus. In seiner SPD

zählte er zum linken Flügel. Nun gilt er

plötzlich als reaktionär, als alter weißer

Mann von gestern, der angeblich den Anschluss

an die Gegenwart verpasst hat.

Die »faschistoide Dreckscheiße«, die

Thierse von sich gegeben hat, war ein Gastbeitrag

für die »FAZ«. Sprachlich geschliffen

hatte er darin sein Unbehagen an Auswüchsen

der sogenannten Identitätspolitik

geäußert. Thierse beschrieb seine Sorge

um eine Gesellschaft, die in Partikular –

interessen zerfalle. Er erlebe neue Bilderstürme,

heute heißt so was Cancel Cul ture.

Zitat: »Linke Identitätspolitik ist in der

Gefahr, die notwendigen Durchsetzungsund

Verständigungsprozesse zu verkürzen

und zu verengen«. Thierse beklagte auch

etwas, das viele Sozialdemokraten seit Jahren

umtreibt: »Themen kultureller Zugehörigkeit

scheinen jedenfalls unsere westlichen

Gesellschaften mittlerweile mehr

zu erregen und zu spalten als verteilungspolitische

Gerechtigkeitsthemen.«

Man muss nicht jede Sorge aus Thierses

Essay teilen. Aber die Entrüstung, die seine

Beobachtungen zum Debattenklima

des Landes zur Folge hatten, erstaunte

dann doch – insbesondere der Hass vonseiten

jüngerer Netzaktivisten. Vielleicht

ist es gut, dass Thierse, 77, viele der Beschimpfungen

gar nicht mitbekam, weil

sie über Twitter und Co. liefen. »Ich schau

nicht ins Netz«, sagt er. »Ich bin da nicht

angeschlossen und muss das in meinem

Alter auch nicht mehr sein.« Das mag auch

zu Entfremdung führen.

 

Was Thierse jedoch erreichte, war die

Reaktion seiner Parteivorsitzenden Saskia

Esken, die sich der Queer-Community und

anderen Minderheiten eng verbunden

fühlt und viele Stunden am Tag auf Twitter

verbringt. Um ihre Solidarität zum Ausdruck

zu bringen, wollte Esken einzelne

LGBTQI-Vertreterinnen und Vertreter zu

einem Gespräch einladen. Die Worte, die

sie dann in der gemeinsamen Einladung

von ihr und Parteivize Kevin Kühnert

wählte, hatten es in sich: Man sei »beschämt

« über die »Aussagen einzelner Vertreter*

innen der SPD«, die ein »rückwärtsgewandtes

Bild der SPD« zeichneten, hieß

es darin. Dass Kühnert Eskens Textentwurf

noch entschärft und anonymisiert

hatte, machte es kaum besser. Es war trotzdem

zu erkennen, wer mit »SPD-Vertreter*

innen« gemeint war.

Thierse reagierte umgehend. In einem

Brief an Esken bat er darum, ihm öffentlich

mitzuteilen, ob sein »Bleiben in der

gemeinsamen Partei weiterhin wünschenswert

oder eher schädlich« sei. Er habe

»Zweifel, wenn sich zwei Mitglieder der

Parteiführung von mir distanzieren«.

Damit eskalierte die Lage. Esken, die

sich bis dahin geweigert hatte, persön –

lichen Kontakt zu Thierse aufzunehmen,

ersuchte plötzlich um ein Telefonat. Generalsekretär

Lars Klingbeil und Ex-Parteichef

Martin Schulz wurden ins Krisenmanagement

eingebunden und redeten

auf Thierse ein, das Gesprächsangebot

doch bitte anzunehmen. Am Mittwochnachmittag

telefonierten Esken und Thierse

tatsächlich miteinander. Doch danach

hatte zumindest Thierse nicht den Eindruck,

dass die Angelegenheit geklärt sei.

In der kommenden Woche soll es ein weiteres

Gespräch geben, diesmal auch mit

Kühnert.

Handelt es sich hier um den Streit dreier

Sturköpfe, die sich schon seit Jahren in

chronischer Abneigung verbunden sind?

Oder offenbart sich vielmehr ein Kulturkampf

zwischen Vertretern der jüngeren

und der älteren Generation? Zwischen

einer vermeintlichen Ignoranz gegenüber

dem Schicksal von Minderheiten und einer

ausgeprägten Sensibilität für deren Lebenslage?

Für Letzteres spricht auch das Beispiel

von Gesine Schwan, der Vorsitzenden der

SPD-Grundwertekommission und früheren

Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin.

Auch sie war mit den Be –

griffen »beschämend« und »rückwärts –

gewandt« gemeint. Schwan, 77, hatte nicht

nur Thierse in einem Gastbeitrag für die

»Süddeutsche Zeitung« verteidigt. Zuvor

hatte sie mit einer von ihr moderierten

Onlinediskussion der Grundwertekom –

mission den Unmut vieler Schwuler, Lesben

und nicht binärer Menschen auf sich

gezogen.

 

 

Alter Mann, was tun? 19 Versuche zu überwintern

Es ist nicht zu übersehen: Inmitten von CORONA ist ein neues Buch entstanden

„Alter Mann, was tun?“ packt die zurückliegenden 15 Monate, ist stückweise autobiographisch, dann aber auch aus der Fantasie heraus hochgerechnet, zugespitzt und satirisch verfremdet – wobei die aktuellen Bezüge durchaus Bodenhaftung behalten.

Hier ein paar typische Zeilen zum Buch, Statements, die ich in Briefen oder als Vorwort bzw. BackCover verwendet habe:

… Was ich Ihnen anbieten will, ist ein Buch, das von Stil und Botschaft her selten auf den Tisch kommt. Ich habe mich auf eher ungewöhnliche Weise mit dem Altern befasst und dabei alles, was zum Thema gehört, tabulos aufgeblättert. Nein, das ist keine bösartige Nabelschau! Wohl aber eine satirisch-kritische Analyse dessen, was wir alle erleben. Freilich aus Blickwinkeln und Perspektiven, die unüblich sind. Denn Altern bedeutet 2020/2021 nicht einfach … alt werden. Es ist ein Vorgang in einer verkehrten Welt, in der sich Menschen alt wünschen und Alte ihre jüngeren Kinder überleben. In der die Kontroverse zwischen Jung und Alt, zwischen Leuten, die dem RKI, der STIKO und Christian Drosten unbesehen vertrauen und Coronaleugnern, Querdenkern und Impfgegnern (auf der anderen Seite) befremdliche Formen annimmt und … all das zu einem Mix aufkocht, aus dem jeder fliehen möchte … aber

nicht kann.

Vorwort zum Buch

Sie gehören zweifellos zu denen, die ich vorrangig ansprechen möchte. Oder vermuten Sie bei „Alter Mann, was tun?“ eine Nähe zu Fallada? Was Fallada angeht, muss ich Sie leider enttäuschen – Bezüge zu ihm gibt es hier nicht. Dafür eine Erzählung, die zwischen ernsthaft und grotesk wilde Sprünge vollführt.

Wer allerdings ein AltenGejammer vermutet, ist auf dem Holzweg. Wo alte Menschen und Corona aufeinandertreffen, muss nicht zwanghaft Isolation herrschen. Im Gegenteil, es kann durchaus menschlich und freundlich zugehen. Immerhin bietet unser Altsein selbst heute viel Stoff, der zum Schmunzeln, Lächeln und Lachen Anlass gibt.

Lesber, der Protagonist, liebt das Leben und seine Freunde. Zugleich ist er ein kritischer Geist, der aufmerksam beobachtet, die Befindlichkeiten der Menschen abwägt und den Tritt ins Fettnäpfchen bewusst riskiert. Er ist empört über das Verhalten vieler Leute und lässt doch spüren, dass das Gegenstück – der veritable Gutmensch –  eben auch nur Illusion ist.

Alter Mann, was tun? ist Reflexion, Selbstreflexion und ein Stück Wegweisung. Hier gibt es Widerstand, wo Menschen selektieren und Viren unser Leben strapazieren wollen. Hier soll Bestand haben, was gut ist und sich gut anfühlt – auch das Humorvolle.

Gönnen Sie sich diese Sichtweise! Folgen Sie den täglichen Unpässlichkeiten, trotzen Sie dem Schlagabtausch zwischen Jung und Alt und suchen Sie die unvermeidliche Begegnung –  mit denen, die gegen die Pandemie aufbegehren, vor ihr flüchten oder sich vor der Nadel bäumen …

BackCover

Lesber ist neunundsiebzig. Er muss entscheiden, ob er den Beschwerlichkeiten des Alterns, den pandemischen Gespenstern, mit Angst, Vorsicht, gespielter Lockerness oder Realitätssinn begegnet. 14 Monate lang lebt er ein eher unwirkliches Leben, das nicht nur die eigene Befindlichkeit spiegelt, sondern auch das Gegeneinander von Jung und Alt sowie den gesamtgesellschaftlichen Umbruch. Im Spannungsfeld zwischen Egoismus und Mitmenschlichkeit gelingt es ihm, sich neu zu begreifen.

DER FLYER  zum Buch:

 

 

 

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AstraZeneca: So ein Chaos hätte ich in Deutschland nicht erwartet

AstraZeneca – die Firma, der Impfstoff was auch immer – diese Fläschchen der britisch-schwedischen Firma haben inzwischen traurige Berühmtheit erlangt. Ob berechtigt oder nicht, sei vorerst dahingestellt. Was wir wissen, ist, dass wir wenig wissen oder aber Wissen aufgedrängt bekommen, dass die Verwendung des Impfstoffes beschleunigen soll. Weil Impfdosenirgendwo unbenötigt zu Tausenden in den Impfzentren lagern und ihre Umverwendung nur schwerlich in Gang kommt. Tatsächlich hat Deutschland bei den Bestellungen schwerpunktmäßig auf Astraceneca und  AZD 1222 gesetzt und anderen Herstellern weniger zugetraut. Pech für die Besteller, die jüngst erfahren mussten, dass in die Studien 1-3 kaum ältere Menschen einbezogen waren. Sodass es zunächst hieß, dass nur Leute unter 65 Jahren für die Impfung in Frage kommen. Klar, dass solche Aussparung Bedenken schürte, zumal auch die Wirksamkeit weit unter der konkurrierender Wirkstoffe lag. Klar, dass so eine Situation dazu führte, dass Menschen lieber warten als sich dem offenbar schlechteren Vektorimpfstoff hingeben wollten. Nun ist offenbar bewiesen, dass der Impfstoff von Astrazeneca gegen schwere Covid-verläufe ebenso schützt wie Präparate von BioNTech/Pfizer, Johnson&Johnson, Moderna, Sputnik V und dergleichen. Wären da nicht plötzlich weiterere üble Nebengeschmäcke. Die britisch-schwedische Firma lieferte zu wenig und zu spät und nun auch noch ein Zeug, das starke Nebenwirkungen, ja sogar Blutgerinsel/Thrombosen, verursachen kann. Die Dänen und Norweger haben das Impfen inzwischen gestoppt, die Südafrikaner schon lange.

Da stößt es doppelt brutal auf, wenn die Impfkommission mitteilt, dass AstraZeneca auch älteren Menschen problemlos verabreicht werden könne. Nacheilende Studien hätten ergeben, dass eine solche Ausweitung der Anwendung nachgerade zu empfehlen sei. Das stinkt natürlich nach Lüge und Betrug, nach „das Zeug, das überall herumliegt muss endlich weg“, nach „man habe es schließlich teuer bezahlt. Und es helfe ja.“

Dass eine Europäische Arzneimittelagentur (EMA), die den russischen Impfstoff Sputnik V seit Wochen blockiert, hier vorschnell jede Dilatation absegnet, mag Otto N. nur verwundern. Mich aber regt das mächtig auf. Wie schließlich sollte es möglich sein, dass die Forschungsergebnisse für ältere Menschen innerhalb von zwei Wochen nachholt werden können, während man für die ursprüngliche Prozedur bis zur Freigabe (Phase 1 bis 3) ein halbes Jahr und mehr benötigte?

Hinzukommen zwischenstaatliche Unklarheiten und Geheimnistuereien, auf die man sich ebenso einen Reim machen könnte. Ich z.B. bin der festen Auffassung, dass es zwischen AstraZeneca und dem britischen Staat eine Geheimvereinbarung gibt, die zwei Dinge beinhaltet: 1) die vorrangige Belieferung Großbritanniens – unabhängig von jeglicher BestellReihenfolge und Qualität und 2) eine InfoSperre, was die zu erwartenden Nebenwirkungen angeht. Schließlich hört man aus Großbritannien nur, dass ausreichend Impfstoff vorhanden ist und superschnell verimpft wird. Von Nebenwirkungen ist nicht die Rede. Im meiner näheren Umgebung aber liegen Leute ein bis drei Tage im Bett, um die Folgen dieser einzigen problematischen Stecherei auszukurieren. Man darf wohl annehmen, dass Engländer genetisch ähnlich ticken wie Norweger, Dänen und Deutsche und deshalb an den Nebenwirkungen von AZD 1222 ebenso zu knacken haben wie Erstgenannte. Nur hört man nichts. Vermutlich weil ein selbstverordneter Patriotismus den Medien wie den Menschen ein lächerliches Schweigen auferlegt.

 

Nachtrag vom 6.4.: Anfang April dann die nochmalige Korrektur – Astrazeneca soll nicht an Frauen vor der Menopause , dafür aber an Ältere zwischen 60 und 69 Jahre verimpft werden. Chaotischer geht’s nicht.

Soeben will ich mich als 79jähriger für einen  Impftermin anmelden. Da heißt es im AnmeldeFormular, dass ich im Impfzentrum Erkrath Astrazeneca bekäme. Obwohl ich an Hand von drei Zeitungen darauf hinweisen kann, dass 79jährige ab 6. April mit BioNTech geimpft werden. Das ImpfChaos geht also weiter und ich darf weiter warten.

AstraZeneca – ein einziger Skandal

AstraZeneca – die Firma, der Impfstoff was auch immer – diese Fläschchen der britisch-schwedischen Firma haben inzwischen traurige Berühmtheit erlangt. Ob berechtigt oder nicht, sei vorerst dahingestellt.

Was wir wissen, ist, dass wir wenig wissen oder aber Wissen aufgedrängt bekommen, dass die Verwendung des Impfstoffes beschleunigen soll. Weil Impfdosen irgendwo unbenötigt zu Tausenden in den Impfzentren lagern und ihre Umverwendung nur schwerlich in Gang kommt. Tatsächlich hat Deutschland bei den Bestellungen schwerpunktmäßig auf Astraceneca und  AZD 1222 gesetzt und anderen Herstellern weniger zugetraut. Pech für die Besteller, die jüngst erfahren mussten, dass in die Studien 1-3 kaum ältere Menschen einbezogen waren. Sodass es zunächst hieß, dass nur Leute unter 65 Jahren für die Impfung in Frage kommen. Klar, dass solche Aussparung Bedenken schürte, zumal auch die Wirksamkeit weit unter der konkurrierender Wirkstoffe lag. Auch klar, dass so eine Situation dazu führte, dass Menschen lieber warten als sich dem offenbar schlechteren Vektorimpfstoff hingeben wollten.

Nun ist offenbar bewiesen, dass der Impfstoff von Astrazeneca gegen schwere Covid-Verläufe ebenso schützt wie Präparate von BioNTech/Pfizer, Johnson&Johnson, Moderna, Sputnik V und dergleichen. Wären da nicht plötzlich weiterere üble Nebengeschmäcke. Die britisch-schwedische Firma lieferte zu wenig und zu spät und nun auch noch ein Zeug, das starke Nebenwirkungen, ja sogar Blutgerinsel/Thrombosen, verursachen kann. Die Dänen und Norweger haben das Impfen inzwischen gestoppt, die Südafrikaner schon lange.

Da stößt es doppelt brutal auf, wenn die Impfkommission und Minister Spahn mitteilen, dass AstraZeneca auch älteren Menschen problemlos verabreicht werden könne. Nacheilende Studien hätten ergeben, dass eine solche Ausweitung der Anwendung nachgerade zu empfehlen sei. Das stinkt natürlich nach Lüge und Betrug, nach „das Zeug, das überall herumliegt, muss endlich weg“, nach „man habe es schließlich teuer bezahlt. Und es helfe ja.“

Dass eine Europäische Arzneimittelagentur (EMA), die den russischen Impfstoff Sputnik V seit Wochen blockiert, hier vorschnell jede Dilatation absegnet, mag Otto N. nur verwundern. Mich aber regt das mächtig auf. Wie schließlich sollte es möglich sein, dass die Forschungsergebnisse für ältere Menschen innerhalb von zwei Wochen nachholt werden können, während man für die ursprüngliche Prozedur bis zur Freigabe (Studien 1-3) ein halbes Jahr und mehr benötigte?

Hinzukommen zwischenstaatliche Unklarheiten und Geheimnistuereien, auf die man sich ebenso einen Reim machen könnte. Ich z.B. bin der festen Auffassung, dass es zwischen AstraZeneca und dem britischen Staat eine Geheimvereinbarung gibt, die zwei Dinge beinhaltet: 1) die vorrangige Belieferung Großbritanniens – unabhängig von jeglicher BestellReihenfolge und Qualität und 2) eine InfoSperre, was die zu erwartenden Nebenwirkungen angeht. Schließlich hört man aus Großbritannien nur, dass ausreichend Impfstoff vorhanden ist und superschnell verimpft wird. Von Nebenwirkungen ist nicht die Rede. Im meiner näheren Umgebung aber liegen Leute ein bis drei Tage im Bett, um die Folgen dieser einzigen problematischen Stecherei auszukurieren. Man darf wohl annehmen, dass Engländer genetisch ähnlich ticken wie Norweger, Dänen und Deutsche und deshalb an den Nebenwirkungen von AZD 1222 ebenso zu knacken haben wie Erstgenannte. Nur hört man nichts. Vermutlich weil ein selbstverordneter Patriotismus den Medien wie den Menschen ein lächerliches Schweigen auferlegt.

Bin diesmal des Lobes voll

Es ist wie zwischen Sauna und Eistümpel: mal gefällt mir der „Freitag“, mal möchte ich ihn am liebsten in die Tonne hauen. Für die  Ausgaben 7 und 8/21 gilt das nicht. Die waren ausgewogen, exzellent gestaltet und von hoher AussageKraft. Nicht, dass ich dort genau das erwartet habe, was ich selbst denke und empfinde. Nein: die Beiträge gingen weiter, waren umfassender und ließen offen. Nur an einer Stelle bin ich hängen geblieben: Irgendeine linke FeminismusVerrückte hat der bereits irrsinnig vergenderten Sprache ein weiteres Ungetüm aufgesetzt. Sie spricht von ArbeiterInnenklasse. Worauf mir nichts anderes als die Gegnerschaft einfällt: ArbeiterAußenklasseR oder doch eher Holzklasse? 

Deutschland liegt abgeschlagen zurück

Ich habe die Maßnahmen der Regierung in den zurückliegenden Monaten vorwiegend gebilligt und diejenigen zurückgewiesen, die immer nur auf den Verantwortlichen herumprügelten – ohne selbst etwas ausrichten zu können. Mittlerweile dreht sich meine Auffassung. Denn sowohl die Malaisen mit den Impfstoffen als auch die mit den Tests sind haarsträubend. Wir liegen, was die Impferei angeht (Geimpfte pro hundert Einwohner) weltweit auf dem 32. Platz, mit den Tests in Europa auf Platz 22. Solche Positionen sind untragbar. Sie zeugen davon, dass in Deutschland föderative Quatscherei, Nachgibigkeit, Unschlüssigkeit, Unfähigkeit, Ignoranz und Dummheit das Treiben bestimmen https://www.zeit.de/2021/10/foederalismus-bund-laender-corona-verantwortung-ministerpraesient. Verordnungen werden – weil alles in untauglichen Kompromissen siedelt – nur zögerlich, in der Regel zu spät und nicht tiefgreifend genug verabschiedet und Verstöße gegen sie nur unzureichend geahndet. Ein Großteil der Medien trägt dabei weniger zur Information als zur Hysterei bei, weil epidemieologische Fakten fälschlich verkürzt und medizinisch-soziale Abwägungen des Kicks wegen in Frage gestellt oder falsch gedeutet werden. Es fehlt hier zu Lande an Geschlossenheit, an wasserdichten Kriterien für Lockdown- und Öffnungsszenarien (gute Vorschläge gibt es, aber man ignoriert sie, weil man nicht selbst drauf kam, oder einfach aus Arroganz). Man hat sowohl die Sequenzierung der VirusVarianten (Vorbild: Großbritannien) als auch aussagefähige KohortenStudien mit Zufallsstichproben (mit ihrer Hilfe wäre man der Dunkelziffer auf die Schliche gekommen) verschlafen https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/corona-studien-101.html. Beides hätte die Beurteilbarkeit des Infektionsgeschehens signifikant verbessert.

Auch nach zwölf Monaten – so viele Stimmen aus dem Off – sei man nicht in der Lage, die Priorotäten zu erkennen und konsequent zu handeln. Und von anderen Ländern lernen will man auch nicht. Man habe weder den strengen Lockdown der Israelis, Österreicher, Italiener, Briten, Franzosen etc., noch das temporeiche Impfen und Testen (Israel, USA etc.) zustande gebracht. Und sich – was den Schutz der Alten und Kranken anbelangt – den Interessen von privaten Trägern und deren Personal gebeugt (Stichwort: CARITAS). Hinzu komme der Druck aus der Öffentlichkeit, dem man ebenso wenig gewachsen sei wie den Erpressungen aus der Wirtschaft. Man habe in keiner Phase der Epidemie kurz und hart genug reagiert, Widerständler mit Samthandschuhen angefasst und die Polizei ausgebremst – und sei so bei fast 71.000 Toten in Deutschland gelandet – eine Schande.

Diese Kritik verschlägt mich nicht ins Lager von Querdenkern, Impfgegnern oder Verschwörungstheoretikern, denn alles, was mit der Seuchenprävention zu tun hat – Masken, Handhygiene, Abstandregeln etc. – halte ich nach wie vor für unverzichtbar.  Die Kritik soll vielmehr  deutlich machen, dass unserem System Grenzen gesetzt sind, dass große Koalitionen aus Regierung und Länderministerpräsidenten kaum zielführend, dafür aber zeitraubend sind und dass sowohl die Forderung nach schrankenlosen Persönlichkeitsrechten wie auch die nach bloßer Folgsamkeit gefährlich sind. Vor allem dann, wenn demokratisches Gebahren, ein falscher Freiheitsbegriff und Bürokratie brutal aufeinanderschlagen. Zu glauben, dass es eine anders gestrickte Regierung besser gepackt hätte, dass ein von den Medien gehypter Sascha Lobo in Regierungsverantwortung die Dinge sachgerechter und schneller erledigt hätte, ist närrisch.

In einer Demokratie wie der unseren war richtiges Tun in Sachen Corona schier unmöglich. Oder soll man glauben, dass die Regierenden komplett von Idioten umgeben waren? Hier wurde einfach nur dem kleinsten gemeinsamen Nenner (aus der Konfrontation: Epidemieologe gegen Epidemieologe, Epidemieologe gegen Virologe, Virologe gegen Sozialwissenschaftler und allesamt gegen Politiker usw. usw.) gehorcht und die  wissenschaftlich fundierte und sachlich abgewogene Empfehlung weggedrückt.  Die Aufzählung der verpassten und falschen Entscheidungen – das, was Sascha Lobo im SPIEGEL versucht hat https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/corona-staatsversagen-in-der-pandemie-saetze-zum-ausflippen-kolumne-a-7f9519ca-1994-48c5-81eb-607efce16cf5 – ist richtig – aber kein Wunderwerk. Etwas, dass jeder denkende Mensch ebenso zusammenbringt. Aus dem In- und Miteinander der Dinge, aus den komplexen Zusammenhängen heraus die richtigen Maßnahmen zu erkennen und umzusetzen, erfordert dann auch Fähigkeiten auf ganz anderer Ebene. Denn die Widerstände, die sich in der Demokratie, im föderalen System bei jeder ins Auge gefassten Handhabung auftun, sind zahllos und im Vorhinein kaum abzuchecken. Zu überraschend reagiert der gefragte Bürger, zu schrill brüllt die nirgendwo passfähige Software, zu brutal reagiert der KAP auf staatliche Eingriffe. Letztlich zerstört egoistisches, neoliberales Denken den Altruismus, wo immer er auftaucht. Impfstoff- und TesteHersteller sind nicht nur Retter, sie sind auch profitorientierte Player – Player, die sich kostbar machen, patentrechtlich bedeckt halten und selbst dann noch raffen, wenn ihnen großzügige Staatshilfe zukommt. Nur akute Notstände, gepaart mit einer harten staatliche Führung können die Spielregeln in Grenzen verändern (ich bin überzeugt davon, dass es in Großbritannien angesichts der VirusMutation eine geheime Übereinkunft zwischen Staat und Astrazena gegeben hat).

Wie auch immer. Die Kritiker sind fast ausnahmlos Schreiberlinge ohne Wirkungsmacht. Sie vergessen, in welchem System wir leben. Vielfach bemängeln sie, dass die Politiker vor einem Jahr nicht zielgerichteter im Nebel gestochert haben und schöpfen dabei aus Erkenntnissen, die ihnen, den Kritikern, gerade erst auf den Tisch kommen. Auch in den USA und in Israel, in Ländern, die uns jetzt beim Testen und Impfen meilenweit überholen, gab es immense Anlaufschwierigkeiten, kritische Infektionsphasen und letztendlich … sehr viele Tote.

Bei aller Misere. In einem sind sich die liberalen Demokratien einig. Wenn sie es schon nicht so richten können, wie es sein sollte, müssen sie den schwarzen Peter den Diktaturen zuschieben. Was in Sachen Corona alles andere als überzeugend wirkt. Immerhin hat eine Mehrheit der in der UNO vertretenen Länder längst auf die Wirkstoffe der Chinesen und Russen gesetzt (dazu gibt es naturgemäß keine oder nur wenige Informationen) – und die lästige Diskussion ums Gesellschaftssystem aus den Köpfen verbannt. Wer heute, wie die Rheinische Post, mit Schimpftiraden auf China  losgeht https://rp-online.de/panorama/wissen/wissensdrang/wert-der-freiheit-in-der-pandemie-das-oeffentliche-glueck-und-seine-feinde_aid-56550689 und den Preis für Leben – nämlich die Einschränkung der persönlichen Freiheit – als zu hoch bezeichnet, repräsentiert für mich allenfalls Verkommenheit (sorry, das mag zu kategorisch klingen, aber …). Immerhin kann man annehmen, dass im Reich der Mitte (1,3 Milliarden Einwohner!) Hunderttausende, ja vielleicht Millionen Menschen vor dem Tod bewahrt wurden, Menschen, die jetzt auf übliche Weise weiter leben müssen – ooch ja… leider!

Sanktionen wegen Nawalny – ein bizarrer Irrtum

Wenn ich noch einmal auf Nawalny zu sprechen komme, dann hat das damit zu tun, dass die EU auf dessen Verhaftung mit neuen Sanktionen gegen Russland reagiert. Ein geradezu närrisches Verhalten. Offenbar haben die betreffenden Staatschefs – und dazu gehört auch Angela Merkel –  noch immer nicht feststellen können, wer Nawalny wirklich ist.

Jetzt gibt’s NachhilfeUnterricht. Nicht von Putin, sondern von einem seiner schärfsten Gegner: Grigori Jawlinski https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/putin-weg-ist-keine-strategie. Seine Botschaft dürfte den Brüsseler Oberlehrern kalt über die Schulter laufen: „Das demokratische Russland, die Achtung des Individuums, ein Leben ohne Angst und ohne Repression sind unvereinbar mit Nawalnys Politik“.

Jawlinski weiter: Kritik an der Korruption allein bringe überhaupt nichts. Vielmehr sei es wichtig, Wege aufzuzeigen, wie man aus der Situation herauskomme, die durch eine kriminelle Privatisierung in den 90er Jahren entstanden sei. Waleria Nowodworskaja, eine Begleitfigur des Kritikers, hatte schon damals treffend geurteilt: Nawalny könne der Anführer eines gestörten Mobs, der Anführer eines neuen Untergangs werden.

Auch seien die Menschen, die Nawalny anspricht, nicht links oder rechts. Im Gegenteil: Er fordere geradezu regellos dazu auf, die Partei zu wählen, die Putins Machtpartei die meisten Stimmen abspenstig macht. Noch wesentlicher sei allerdings, dass Nawalny  bis heute an seinen nationalistischen, tendenziell faschistischen Auftritten festhalte.  Dafür sei er bereits 2011  aus der liberalen Jabloko-Partei ausgeschlossen worden.