Scheiß Tourismus!

Das ist ja zum Kotzen, sagt Ida, da reist man einmal im Leben nach Garmisch und dann das hier. Schlangen über Schlangen auf dem Weg zur Zugspitze und wenn ich auf  Point 4 mal auf Felsen und Täler gucken will, sind auch da zwölf oder dreizehn vor mir, die auf Reihenfolge drängen.

Tatsächlich scheint längst abgemacht, dass nur zwei Dinge gehen: Entweder etwas sehen und dafür touristisch bluten oder zu Hause bleiben und die Mediatheken abklappern.

Nix ist so wie das Original, mault Ida und tatsächlich hat sie irgendwie Recht. Solange uns die virtuelle Realität, solange uns 3D-Fernseher mit Geruch vorenthalten werden, ist das Rumhängen auf Balkonien keine reizvolle Alternative.

Aber läuft das mit der lärmigen, abgasigen und aufdringlichen Liveversion wirklich netter? Und wenn ja: wie oft und wie lange noch?

Eines stellt sich schnell heraus: Nur in total unattraktiven Gegenden und zu grauslig kalten und nassen Zeiten sind Urlaube, nämlich die ruhigen, selbstbestimmten, noch möglich. Was die Frage aufwirft, ob es nicht besser sei, zu Hause zu bleiben. Man hat es dort in fast jeder Hinsicht besser, weil einem Kälte und Regen egal sein können, weil die Infrastruktur stimmt, weil die Dinge an Ort und Stelle sind, weil niemand stört oder rummeckert.

An einen attraktiven Ort zu fahren, wird seit Jahren immer unsinniger. Weil die Reiserei ein erschreckendes Ausmaß erreicht hat. Gewiss, man ist selbst mit dabei, wenn man auswärts urlaubt, und da muss es mich nicht wundern, wenn andere dasselbe ebenso blöd finden.

Es werden immer mehr. Immer mehr Menschen können sich Urlaube leisten und die Billiganbieter tun alles, um auch jenen, die kleine Brötchen backen, Meere und Landmassen zu erschließen.

Manche nehmen Urlaub für die Sauferei am Oktoberfest, kotzen und pissen in Flatrate auf Bänke und Gehsteige. Andere schießen bei Schützenfesten sämtliche Vögel ab oder ballern – wie in Neuss – irre auf Holzklötze. Wer es luxuriöser will, wer die nötige Knete hat und die auch im Urlaub arbeiten lässt, vergräbt sich in abgelegenen Villen, befielt Schlagbäumen und Securities dicht zu halten und hängt in Pools rum, die kein Wasser lassen. Solchen Leuten will und wird man nie begegnen, und so sind sie auch keines weg relevant für das, was ich sagen will.

Der normale Tourist muss sich durchschlagen. Er geht entweder voraus, folgt, reiht sich ein oder pöbelt und setzt Ellenbogen ein. Beide Typen haben kräftig gespart. Es ist ihnen wichtig, bei teuren Snacks und Kaffees mit dabei zu sein. Typ 2 klettert auf sämtliche Hänge, läuft mit bei den nächtlichen Trailrunnings durch fiese Geröllhalden und steht dann besser da als Typ 1, der auch zu Hause nichts geregelt kriegt.

Zur Urlaubskasse: Einen Unterschied gibt es schon – zwischen den kleinen Ansparern und denen, die genau das nicht müssen, letztlich aber auch schwach werden und rumprotzen. Zum Beispiel in den Alpen. Dort kann die Übernachtung auf halber Höhe – ohne Dusche und Klosett- schon mal 1000 Euro kosten. Und das auch, wenn man nachts kein Auge zukriegt. Immerhin sitzt man früh am Frühstückstisch und lässt sich feststellen. Ah, Herr Dr. Ungewohnt , auch hier dazwischengekommen?

Nur fünf Meter von diesem Tisch entfernt, schiebt sich alles, glotzt von draußen aufs Frühstück, selfiet und kommentiert – ganz gleich ob das Sinn macht, oder einfach wegbleiben kann.

Du musst es aushalten, sagt Ida, wenn du in der Schlange stehst. Du musst warten. Auch wenn du nur durch Glasstege in die Tiefe starren wills oder erschreckt geradeaus gucken musst.

Wie denn Glas, stöhnt Ida, haben die denn keine richtigen Baustoffe?

Leider ist Ida jetzt eingeklemmt, konnte im Grunde nichts sehen und … steht. Steht, bis alles wieder lostrampelt und dem Folgegipfel zuströmt.

Keine Ahnung, aber dort kulminiert das. Ida steht zwanzig Minuten zwischen zwei schwitzenden Kerlen bei Null Aussicht auf Berg und Veränderung.

Und … an diesem Punkt genau beginnt sie an Permafrost zu denken, daran, dass morgen alles einfach wegtauen könnte, dass die Felsen – ihres Kitts beraubt –  reihenweise zu Tal krachen.

Irgendwann – ich denke in etwa 20 Jahren – gibt es das nicht mehr – nicht die Seilbahnen, nicht die Berghütten und … Hotels auf voller Höhe schon gar nicht. All das liegt murenmäßig verschüttet und breiähnlich im Tal – das seinerseits von Brücken und Straßen entblößt ist. Weil dieser Starkregen dazukam.

Fragt sich, was Touristen tun, wenn sie solcher Dinge gewahr werden, fragt sich, wo es sie dann hinverschlägt. Sicher nicht mehr in die Berge, die sich allseits kleinmachen. Vielleicht ins Ausland.

Vielleicht nach Spanien, nach Barcelona, nach Mallorca oder auf die Kanarischen Inseln. Doch halt: An diesen Locationes wird gerade auf Notstand gemacht. Die Zahl der Touristen, so heißt es, übertreffe die Zahl der Einwohner um das Hundert- bis Tausendfache. Dort stellen sie bereits Schilder auf, Papptafeln mit dem freundlichen Tourist go home. Wieder andere drehen die Hinweisschilder ins Gegenteil – eben so, dass alles verquer läuft. Ja, die Einheimischen, die Überwältigten, die Niedergewalzten wehren sich. Nicht jeder von denen kassiert, nicht jeder hat ein Hotel, ein Restaurant, eine Eisdiele, nicht  jeder setzt sich angesichts der Gewinne über das hinweg, was an Lärm, Müll, Urin, Drogen oder Pöbel ins Bewusstsein dringt. Der einfache Bürger ist dem Mix aus allem ausgeliefert – ohne zu profitieren. Er muss es hinnehmen oder sich aus dem Staub machen – so er denn Staubloses in petto hat.

Letztes Jahr war ich in Venedig. Die Stadt schien dem Untergang geweiht. Heute kommt es mir vor wie gestern. Die Lagunenbrühe brodelte. Es stank zum Erbarmen. Zeitgleich mischten sich die Silhouetten der Kreuzfahrtschiffe mit heimischen Gemäuern. Ein 5stöckiges Haus schien zwischen Dogenpalast und Nationalbibliothek eingeklemmt. Neuerdings müssen die Pötte weiter draußen ankern. Die Leute, so heißt es, werden dann per Beiboot ausgeschifft. Was die Sache nicht einfacher macht, denn es bleibt bei der Zahl derer, die auf Land, auf den bootdichten CanaleGrande müssen – ganz einfach, weil sich die Vorstellung breit macht, dass die BeibootEnge dann aufhört. Selbiges ist natürlich nicht der Fall. Denn die Stadt, die man gerade betreten möchte, ist gleichfalls eng. Nicht baulich eng, aber eng, was die Bewegungsfreiheit angeht. Tausende schlängeln sich durch die engen Gassen, immer die Handys in Bereitschaft, weil Sehens- und SehensUnwertes unmittelbar gebannt werden müssen.

Sie trinken … diese Tausende, sie trinken aus mitgebrachten Flaschen, schaukeln mit Pizzen und Burgern durch die Gegend, lümmeln sich in Nischen und auf Steinsimsen und diskutieren über Urlaub, etwas, das den Jüngeren total cool, den Gesetzteren und Alten aber eher wie Irrtum vorkommt. Das alles tut sich, bis bei St. Marco die Abendglocken läuten, bis die Schatten der  Umgebung in Finsternis übergehen, bis die Riesenkähne das flaniermüde Publikum aufgesogen haben und die Sirenen der letzten Boote das Ende des Tagestourismus beschließen. Auf Straßen und in Kneipen kehrt Ruhe ein, Ruhe, die eigenartig anmutet. Denn man ahnt schon, wie das am nächsten Tag weitergeht. Vielleicht mit Typen, die fröhlich aus China einfallen, vielleicht mit den schnauzbärtigen Grönländern, die mal Eis essen statt frieren wollen.

Alle jedenfalls Fotos schießend, selbst bei Wind und Wetter gestikulierend und bereit, die verkorksten, weil verregneten Bilder über Bing Image Creator  aufzuhübschen. Ja, niemand ist künftig sicher vor fakepictures, vor den tausend SUVs, den Staus, den Touristenbusssen und Straßenrandpinklern, die monoton, täglich, ja stündlich, wiederkehren.

Man fragt sich natürlich, wie das weiter geht.

Solange sich mit Tourismus Geld machen lässt, solange Leute raus wollen, wird es Angebote geben. Die dürften künftig moch spektakulärer ausfallen, immer neue, radikal erschlossene Refugien aufstoßen und indigenes Malheur – wie gehabt – mit Coca zukleistern. Da geht’s mutmaßlich ins Innere der Erde, da geht’s an Steilhänge, die Climbing suggerieren, dann aber auch reale Abstürze hergeben. Da geht’s gruppenweise in Western-Kulissen, wo man sich lustig mit Gummigeschossen beharkt. Da geht’s an Nester, wo große Greifvögel zuhacken, an Gelege und Haifischbecken, wo die Inhaber auf Besucherfleisch aus sind. Da wird zum Breitlatschen eingeladen – immer rauf auf das, was Bio- und Geologen noch gar nicht entdeckt haben.

Den Versuch, landestypische Kulturen zu erleben, kann sich Tourist 4.0  – sofern er  nicht gerade mit Studiosus 4.0 unterwegs bist –  sofort abschminken. Was da noch mal aufgepeppt wird, sind virtuelles Geklapper und Getanze vor gepolsterten Stühlen, ist federfarbige Schreierei, begleitet von Eisbeinen und Bouletten aus Germany. Alles adaptiert und … gut ist.

Das Typische, das eigentlich Vorzeigbare dürfte dort, wo die Massen einfallen, gänzlich wegrutschen. Weil, ja weil schiefe Mauern, finstere Pagoden und Tempel, weil Schlangen, Hunde, Quallen und die großen Tausendfüßler keineswegs Unwillen, geschweige denn Schrecken verursachen dürfen. Es sei denn, der Touri hat tatsächlich Schockurlaub gebucht. Aber auch dann wird man weglassen, umformen oder abschotten.

Der Massentourist möchte es leicht haben, nicht durch Unwissen auffallen und Neues leicht speichern können. Er will für 15 Euro zum Ballermann und dann … bitteschön ballern. Er will auf  die Sixtysix,  in der Wüste ein bisschen dursten oder auf die Tomatenhänge von Malaga.

Tomaten mit ein bisschen Pestizid oder Tomaten auf den Augen? Malaga soll eine schöne Altstadt haben. Vor allem aber hat es fahle Touri-Hochhäuser und dann hunderte Treibhäuser mit Abdeckplanen, Plastikscheiß, der ganze Gebirge verschlingt. Doch was solls? Nicht jeder Fels, sagt der Malagese, ist vorzeigbar und dort vor Ort …. man ahnt es bereits … schon gar nicht. Trotzdem gilt auch in Malaga: Teilnehmen oder ausgeschlossen sein. Wer die Altstadt wählt, könnte gerade noch Glück haben. In Hallstadt sähe das anders aus. Dort muss man in Kürze Tickets  kaufen, um überhaupt reinzukommen. Venedig scheint dem schon nachzueifern.

Ich gucke nicht gern auf Kreuzfahrschiffe, auf die Riesenpötte, die überall rumschippern, ihr Altöl verbrennen und am Liegeplatz Abgase ablassen. Gewiss, inzwischen gibt es Auflagen: kein Altöl und keine Plastikentsorgung ins Meer. Und Strom von den angesteuerten Häfen gibt es auch schon. Fragt sich, wer das kontrolliert. Einmal unbeobachtet und es rappelt es wieder. Die Kosten, die Kosten, schreien die Reeder und heulen sich ins Fäustchen. Die Kreuzfahrer, tönen sie, hätten es doch gerade bestens. All inclusiv – der Verbrauch an Umwelt, die Müllentsorgung in Kamerun und Malaysia, die Diebstähle von Korallen, Tieren und historischen Artefakten und die Fahndung danach, die Schlichtung von Saufkrawallen – alles sei derzeit noch eingepreist. Für morgen allerdings könne niemand mehr garantieren …

Wer Geld hat, macht alles Mögliche möglich. Da gibt es Leute, die 15 oder 20-tausend Dollar auf den Evest oder den K 2 rauf wollen. Und andere andere, die für Millionen ins scheiß  TauchBoot einzusteigen. Ida meint, das seien Verrückte, Leute, die ihr veritables Leben noch toppen wollten. Typen wie diese stünden Schlange an den Einlassstellen zum Gipfel oder vergäßen, dass sie zwischen Leuchtfischen und Stahlschrott verrotten könnten. Da herrschten Kicksucht, Zuversicht und Ignoranz, dass die Schwarte knackt. Da passierte es glatt, dass Menschen auf Nimmerwiedersehen verschwinden, dass Nebenmänner am Berg umgeschubst würden und Umgeschubste sich selbst überlassen bleiben.  Selbst Hassgesängen auf Hans Hass und Messmer würden daran nichts ändern. Weil niemand sie hörte, weil die Adventurebosse sehr viel lauter intonierten. Und Tiefsee wie Berge beherzt schwiegen.

Der Witz ist, dass viele das gar nicht glauben, einfach ihrer Vorfreude nachhängen und meinen: Urlaub ist schön, der Rest wird schon. Man ist dann oft den Werbefilmen der Branche aufgesessen, den von Touristen befreiten Hochglanz-Videos, die eigentlich nichts sagen.  Und klar: Irgendwas wird schon.

Dabei ist es ziemlich einfach, die Webcams abzurufen:  MarkusPlatz, die spanische Treppe, der schiefe Pisa, Monterosso, Villa Rufolo,  Mont Saint Michelle  blah, blah blah….das alles liegt doch blank vor euch. Oder türmt sich das, was da rumrennt, -läuft oder –liegt, bis hoch ans Objektiv und … ihr seht nichts?

 

Zweite Frage: Gibt es die Ökodiktatur mit Windrädern vor schönen Aussichten?

Gibt es sanften Tourismus, der auf Filzlatschen daherkommt und uns vorgeigt, dass alles anders oder gar nicht so schlimm ist? Folgt das Ganze dem Alptraum Kapitalismus, der kein Ende, wohl aber das Ende der Menschheit anpeilt. Bleibt es bei den fußballfeldgroßen  Kisten, bei Aida, Carnival, Margret II und all den anderen. Bleibt es bei den Hafermann-, Gerstenmeier- und Weizen on Tour-Reisen oder treibt es die Reeder zu noch regideren Angeboten? Planen sie bereits 1000 und mehr Meter lange Schiffe, kilometerlange durchsichtige Glas- und Acryl-Plattformen auf Meeren und Gebirgen. Träumen sie von Plastikstrudeln, die man bevölkern kann?

Leute, vergesst, dass der Tourismus 8% der weltweiten Emissionen verursacht. Und lasst das Fremdschämen. Die Leute fliegen ja sowieso. Und es werden jährlich mehr …

Über Reisen ins All will ich eher schweigen. Zumal nur wenige, ich sage mal: wenige Hundert sich so etwas leisten werden. Bei all dem Schrott, der da umherfliegt, müsste man kräftig KI einsetzen. Doch wer hat schon Lust, ständig hin- und hergeworfen zu werden?

Ich fasse mich kurz, weil auch der Fahrstuhl ins All noch Zeit braucht und meine Fantasie nicht ausreicht, um künftiges Schlangestehen vor, im und hinter dem Orbit liebevoll zu beschreiben.

Schlimm wird es allerdings wenn dich morgen dein Sohn anruft und dich anfleht, ihm Geld zu schicken, weil er in Thailand bei zwei Nutten festsitzt, die bezahlt werden wollen. Ich meine, wenn dich morgen eine Stimme anmacht, die so klingt, als wäre sie die deines Sohnes, nicht aber die deines Sohnes ist.

Was das mit dem Reisen zu tun habe, fragt Ida. Nun ja, antworte ich, ähnliches  könne bei künftigen Reisen vorkommen. Denn so, wie dich jemand falsches mit gestohlener Stimme anrufen kann, kann dir auch Dein gefaktes Reisebürofräulein gefakte Billigtickets verkaufen – natürlich mit Vorkasse. Und solltest du tatsächlich dort hinkommen, wo du hinwolltest, könnten dir schnell mal Plagiate aus dem 3-D-Drucker, vergilbte Gaugins oder neue Bali-Romane begegnen. Machwerke, die es dir ermöglich, liebe Mitmenschen per KI millieugetreu einzubauen und auszugestalten. Bodo B., dein Intimfreund, würde dann Millionär unter Palmen und Klaus, den du nie leiden konntest, Pädophiler. Was das später mit dir zu Hause macht, verschweige ich mal. Aber es wird … machen …

Ja, ja, Reisen und Zukunft können schön sein. Ich schwöre, dass mir das dennoch an der Urne vorbeigeht.

Um noch kurz beim Hiersein zu bleiben: Ich werde nur noch die Leute kontaktieren, mit denen ich ein VorausPasswort verabredet  habe. Ob sie es dann sind, ob ich es dann bin. das wird sich zeigen. Reisen will ich jedenfalls durch Gespräche  Ich werde mich weder nach Thailand noch nach Bali einschiffen. Und schon gar nicht den blöden Fahrstuhl vorausdenken. Ja, ich werde nicht einmal im Stau stehen, keine noch so renommierte Stadt – und schon gar nicht

Garmisch – besuchen …