Sorry, dass ich gegen die Totenruhe verstoße

Natürlich muss man Zeit haben für stilles Gedenken. Ich hab sie mir genommen. Glaube aber, dass ich jetzt – 20 Stunden nach den Pariser Geschehnissen – dringend nachdenken muss. Denn es gilt die Stille zu nutzen, um der im Werden begriffenen Kampagne der Meanstraem-Medien zuvor zu kommen.

 

In der abendlichen TAGESSCHAU-Sendung, die sich ausführlich über die Geschehnisse in Paris und die weltweiten Reaktionen ausließ, gab es nur einen 20 Sekunden währenden Satz, der die Dinge hätte zurechtrücken können – wenn man das gewollt hätte. Dieser eine Satz betonte die Mitschuld Frankreich am gestrigen Massaker, und er wurde bezeichnender Weise aus dem Mund des syrischen Präsidenten Assad zitiert. Womit ja nur gemeint sein konnte, dass die Auffassungen eines Verbrechers nichts wert seien. So werden in Deutschland Nachrichten gemacht, und ähnlich wie bei Charlie Hebdo wird alles in Bewegung gesetzt, um den Hass gegen die Islamisten, pauschal gegen den IS und natürlich auch gegen die unbeteiligten Muslime zu schüren.

Den Kopfabschneidern dürften jetzt die Attentäter von Paris zur Seite gestellt werden. Und noch immer dürften die meisten Europäer nichts über die komplette Substanz des IS und die unter ihm leidenden Menschen erfahren haben. Das ist ebenso gewollt wie die Verkürzung Assads auf seine verbrecherischen Fassbomben.

 

Ich habe noch am Abend des 13. November auf eine Stellungnahme der Nahostexperten Peter Scholl-Latour, Michael Lüders oder Jürgen Todenhöfer gewartet. Scholl-Latour ist tot – ein herber Verlust. Aber Jürgen Todenhöfer meldete sich. In einem Beitrag bei ARD/ttt hat er mit der schiefen Berichterstattung der öffentlichen Medien aufgeräumt – und die Gesamtzusammenhänge klar gestellt. Natürlich trifft Frankreich eine Mitschuld an den Attentaten. In keinem anderen Land sind die Vorbehalte gegenüber Muslimen so ausgeprägt wie in Frankreich, und nirgendwo anders wird so wenig für für die Integration der Fremden getan http://www.sueddeutsche.de/politik/migration-die-botschaft-der-banlieue-1.2715426. Die brutalen Militäreinsätze in Syrien und in Afrika tun ein Übriges http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/sendung/sendung-vom-15112015-104.html   
und http://www.rp-online.de/panorama/ausland/paris-und-der-terror-warum-wieder-frankreich-aid-1.5562055

 

Jetzt fürchte ich die falsche Antwort auf die Anschläge in Paris. Der IS hat sich ganz offensichtlich für die Bombardierungen im arabischen Raum gerächt – mit der Bombe im russischen Passagierflugzeug ebenso wie mit seinen Pariser Attentaten. Das ist durch nichst, durch gar nichts zu rechtfertigen. Denn derartige Aktionen gegen friedliche, wehrlose Menschen sind nicht nur unmenschlich. Sie lösen auch automatisch eine neue Spirale der Gewalt aus.
Eines hat der gestrige Abend deutlich gemacht: Der hölzerne, von seinen Militärs und Marie le Pen beherrschte Hollande ist unfähig, Frankreich zu schützen und er bleibt das auch. Er hat seine Bomber immer „reingehalten“, wenn das aus seiner einfallslosen Perspektive, aus der Sicht der waffenproduzierenden Einflüsterer nützlich schien. Den Einsatz von Bodentruppen hat er feige vermieden. So geschehen in Libyen, so geschehen und immer noch akut in Syrien. Wo quasi täglich Zivilisten sterben, über die hier zu Lande niemand nachdenkt – für die kein Europäer, Amerikaner oder Russe Lichter und Kränze bereit hält. Paris allein – eine SchiefSicht ohnegleichen!

 
Ich fürchte, dass sich die Bundesregierung jetzt auch militärisch engagieren könnte. Es gibt in Deutschland genug Scharfmacher, die nur darauf warten, ihre neuesten Waffen zu testen und die sich aufstauenden Munitionsbestände in fremde Bäuche zu jagen. Dabei wäre es dringend geboten, auf militärische Aktionen zu verzichten, um endlich mit dem Teufel am Tisch zu verhandeln. Auch Jürgen Todenhöfer fordert eine diplomatische Lösung . Den Sunniten im Irak und in Syrien müssen endlich menschenwürdige Perspektiven, vor allem Gleichberechtigung und faire Beteiligung an der Macht eröffnet werden. Selbst mit der Ausgrenzung ehemaliger Saddam-Anhänger und BaathPartei-Funktionäre muss Schluss sein. Zum IS-Gebiet gehören heute etwa 5 Millionen, zumeist unschuldige Bürger, Menschen, die man nicht einfach im Bombenhagel untergehen lassen darf. Das alles heißt nicht, dass man sich dem IS hingeben darf. Im Gegenteil. Sollte er nach dem Aufbau der zu erwartenden Drohkulisse nicht aufgeben, sondern seine Aktivitäten verstärken, dann müssten ihm radikal alle Geld- und Rohstoffzuflüsse abgeschnitten werden. Was vornehmlich heißt, die heimlichen Unterstützer und Abnehmer festzunageln.

 

So schwer es fällt: Wir brauchen eine neue Staatenreglung, zumindest aber von der UNO bestätigte Autonomie- bzw. Minderheitenrechte im Mittleren Osten – eine Struktur, an der alle Gruppierungen, und ich sage bewusst ALLE, beteiligt werden müssen. Nur so können neue Attentaten, neue militärische Antworten darauf und neue Flüchtlingsströme verhindert werden.

 

Dennoch: Eine diplomatische Lösung kann angesichts von Wut und Trauer kaum in Fahrt gebracht werden. Das weiß ich. Aber die Hinnahme des Attentats könnte einen Schlusspunkt setzen – für das Ende der Gewalt. Ich meine, dazu gibt es keine Alternative.
Was ich leider für viel wahrscheinlicher halte, ist die Verstärkung der Truppenpräsens im Mittleren Osten, die Verständigung von Europäern, Amerikanern, Kurden und Russen auf eine Intervention – auch mit Bodentruppen. Wodurch – ganz ohne Zweifel – eines der brutalsten Massaker in Syrien und im Irak ausgelöst würde. Im schlimmsten Fall käme ein solcher Einsatz ohne UN-Mandat zustande – gegen fanatisch kämpfende Irre, denen nichts (also auch kein Zivilist, kein Kind) heilig wäre. Das Ergebnis eines solchen Krieges wäre (sieht man von der Unzahl an Toten ab) völlig offen – so man denn zu Vor-IS-TagesOrdnung zurückkehrte. Denn Syrien blutete weiter – mit dem Zusatz, dass nun auch die unter dem IS lebenden Zivilisten nach Europa flüchteten.