Gut, dass wir den verfluchten Orban haben

Er ist der Einzige im  EU-Establishment, der sich sichtbar für den Frieden einsetzt. Und den Mut hat, für diejenigen zu stehen, die eine andere Politik des Westens fordern.

Der Extrakt aus dem widerständigen Politikverständnis: Es muss endlich Schluss sein mit den Opfern an den ukrainischen Fronten, es muss Schluss sein mit den Zwangsaushebungen bei Menschen, die nicht in den Krieg, die nicht erschossen werden wollen. Ungerechter Krieg hin, gerechter Krieg her! Der Mensch hat nur ein Leben.

Zurück zu Orban. Er wird von den EU-Großkopferten fast nur gescholten. Vor allem, weil er das Flüchtlingschaos nicht mittragen will, weil er die Waffenlieferungen in die Ukraine boykottiert und noch immer Gas/Öl aus Russland bezieht. Niemand kann von hier aus beurteilen, ob die gegen ihn erhobenen Korruptionsvorwürfe, ob sein Vorgehen gegen die demokratischen Prinzipien in Ungarn stichhaltig und gravierend sind oder eben nur banale Anklage, weil das besser ins bestehende Bild der EU-Kommission passt. Man darf nicht vergessen, dass Orban in den zurückliegenden schweren Jahres einiges für die ungarische Bevölkerung getan hat: Preisdeckel für Lebensmittel und  Kraftstoffe.

Orban wurde Ratpräsident, und er hat Kraft seines neuen Amtes  die Blockadehaltung der Brüsseler „Eliten“ kräftig konterkariert. Er ist einfach losgefahren, und er hat in richtiger Reihenfolge zuerst den von ihm wenig oder gar nicht geliebten Selenskij und dann erst den Aggressor Putin aufgesucht. Einen Tag später sitzt er mit Xi Jinping am Tisch, wobei der chinesische  Staatschef einmal mehr deutlich macht, dass der Krieg in der Ukraine aufhören müsse und sich China darum auch ernsthaft bemühe. Jetzt ist Orban unterwegs in die USA. Und man munkelt, dass er dort mit Trump zusammenkommen könnte https://www.sueddeutsche.de/politik/orban-friedensmission-china-lux.M4QEV1jW4217wqMFD8mTKv. Der widerum hat in der Vergangenheit mehrmals verlauten lassen, dass er den Ukrainekrieg beenden werde. Gewiss, das Ganze rückt schwer in die autoritäre und z. T.  rechte Ecke. Doch wenn mit Hilfe der besuchten Partner ein Ende des Konflikts erreicht werden kann, wäre das die froheste Botschaft seit mehr als zwei Jahren.

Der „böse“ Orban setzt Zeichen – ob nun legitimiert oder nicht. Und er wird – so man seinen  Bekentnissen glauben darf – diesem Zeichen, weitere folgen lassen.  Zumindest dürfte es jetzt auch öffentliche Debatten zum Thema Frieden geben – etwas, das viele Bürger seit langem erwarten.

Dass man Orbans Aktion jetzt auch mit dem Verweis auf AfD und  BSW, mit dem Verweis auf chinesische Investitionen in Ungarn verunglimpfen möchte, ja, dass man dem unbescholtenen Bürger einfach eintrichtern möchte, das etwas, das AfD und BSW gleichermaßen gut heißen, a priori mies sein muss … genau das gehört zu den bewusst üblen Infomanipulationen von Politik und Medien. Als wenn denn nicht die Masse der deutschen Bürger an dieser Stelle ganz genauso fühlte.

Der Krieg muss weg, auch wenn das jetzt ukrainisches (fast ausschließlich von russlandfreundlichen Menschen bewohntes) Territorium kostet. Der Waffenstillstand muss die Nummer 1, eine gerechte völkerrechtliche Lösung in Verbindung mit einer europäische Sicherheitsordnung unter Einbeziehung Russlands die Nummer 2 sein. Der Krieg ist von beiden Seiten nicht zu gewinnen. Auch ein Gleichgewicht der Kräfte – etwas, das die Ukraine zur Voraussetzung für Friedensverhandlungen erklärt – ist  nicht erreichbar. Selbst dann nicht,  wenn die westliche Unterstützung weiterhin so anhielte.  Denn a) dürfte derzeit fast genauso viel westliche Militärtechnik (einschließlich der Patriot-Systeme ) vernichtet werden wie jemals geliefert wurde; denn b) wird eine optimale militärische Ausstattung und Ausbildung  aufgrund der vielfältigen inkompatiblen technischen Systeme, wegen der Know-how-Restriktionen und der Anwendungsbeschränkungen bei modernster Technik und wegen der fehlenden Vorort-Unterstützung  niemals erreicht werden können; denn c) sind und bleiben die technischen und personellen Ressourcen Russlands ungleich größer als die der Ukraine (man siehe die krampfhaften Bemühungen um die Rekrutierung weiterer unkrainischer Soldaten.  Man vergesse die Legende von den unterlegenen russischen Waffen – die nahezu unaufhaltbaren russische Hyperschallwaffen zerstören quasi beliebig große Teile der Infrastruktur … und das fast täglich).

Zweifellos bricht Putin fortwährend das Völkerrecht, zweifellos ist Putin ein brutaler Agressor, dem Menschenleben egal sind. Wenn es aber darum geht, Tausenden und Abertausenden Menschen das Leben zu retten, dann muss auch mit dem Teufel verhandelt werden. Zweifellos nehmen Demokratie und Freiheit beim Nachgeben der Ukraine schweren Schaden. Das ist übel – doch wo in der Welt bleibt alles sauber und unverletzt? Wurden/werden diese Werte nicht ebenso im Irakkrieg oder im Gazastreifen brutal missachtet?

Man sollte immer auch die andere Seite: den Gewinn betrachten. Für die Ukraine ergibt sich mit der künftigen Mitgliedschaft in der EU ein großartige Perspektive – wachsenden Wohlstand und eine Gesellschaft ohne Korruption und Oligarchen.  Putin dürfte sich auf so eine Entwicklung einlassen, sie quasi als Tauschobjekt akzeptieren.

Das Grundanliegen: Die Ukrainer könnten  und sollten in einer geteilten Ukraine selbst entscheiden, wo sie leben möchten. Dieser Vorschlag wäre ein Gegenentwurf zum ehemals angestrebten Ukrainegefüge mit Autonomiestatus für die russlandfreundliche Bevölkerung. Zweifellos die schlechtere Lösung, aber angesichts der strikten Ablehnung für Variante 1 das einzig Mögliche.

Unterdrückte Minderheiten sollte  es nicht geben, heißt es in den viel bemühten Ethikformeln der EU und ich konkretisiere: unterdrückte Russen/unterdrückte russlandfreundliche Einwohner außerhalb Russlands auch nicht.  Dass es dennoch möglich war, eine erklärt russophobe Person (Kaja Kallas) für die Position der EU-Außenbeauftragten zu nominieren, dass eben diese Dame, die russischen Ehrenmale in Estland schleifen und den Russischunterricht im Lande verbieten ließ, demnächst in Sachen Ostpolitik das Sagen haben soll, ist unglaublich. Leider geschieht in der Ukraine direk Vergleichbares. Ja man geht sogar soweit, russische Künstler zu diskreditieren und  Straßenschilder – so sie denn die Namen von Tchaikovski, Glinka usw. tragen – abzumontieren. Kaum etwas davon wird im Westen registriert, geschweige denn verurteilt. Die Heuchelei ist offenbar. Ja mehr noch: Hier geht es nicht nur gegen den Verbrecher Putin, sondern gegen Russland in seiner Gesamtheit. Und genau da liegt der Krebsschaden.

Leider sucht Orban die Nähe der rechten Kräfte in Europa – so auch des französischen Rassemblement National. Er plant im Europaparlament im Rahmen der erzkonservativen EKR eine eigene Fraktion: die „Patrioten für Europa“  – gemeinsam mit der österreichischen FPÖ, Politikern aus Tschechien (Babis), Belgien und Dänemark (zwei weitere Partner fehlen offenbar noch). Ich wünsche mir alles andere als die Stärkung der rechten Kräfte in Europa (in Frankreich hat das Gottseidank nicht geklappt!). Und muss doch zugestehen: Wenn sich wichtige Konflikte nur mit Hilfe konservativer Kräfte lösen lassen, dann bitte! Tatsächlich scheint Orbans Vorhaben nur bedingt ärgerlich, weil extreme Rechte – so die deutsche AfD – außen vor bleiben. Orbans Stategie dürfte auch aus der Tatsache resultieren, dass seine Politik von maßgeblichen EU-Größen jahrelang beargwöhnt, ausgegrenzt und „niedergebrüllt“ wurde.