Nach wie vor brandgefährlich

Im Konfliktgebiet Ukraine ist nicht einfacher geworden. Im Gegenteil: Die Russen kündigen weitere Manöver an, die Amis wollen zusätzliche 3.000 Soldaten nach Osteuropa schicken https://www.tagesschau.de/ausland/us-truppen-deutschland-ukraine-krise-103.html. Niemand weiß derzeit, ob die Konfrontation endlich zu klaren Vereinbarungen oder aber doch nur zur Festschreibung eines „vereisten“ Staus quo führt. Mir scheint, dass viele Beobachter die Situation vor Ort verkennen und falsch beurteilen. Spaziergänge von Baerbock & Co. im Grenzgebiet jedenfalls klären da gar nichts https://www.zdf.de/nachrichten/heute-in-europa/deutsche-aussenministerin-besucht-die-ukraine-100.html. Die Ukraine ist seit jeher in sich zerrissen (der westliche Teil ist prowestlich, der östliche prorussisch orientiert, die Mitte gibt sich gemischt) und wirtschaftlich am Boden (seit 1990 praktisch kein Zuwachs am Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt). Staatspräsident Selenskyj vertritt diejenigen Kräfte im Lande, die den Beitritt  des Landes zur Nato befürworten und damit Putin zur Weißglut bringen. Selenskyj hat die russlandfreundlichen Ukrainer – vor allem nach den Aufständen in Donezk und Luchansk – stark zurückgedrängt, drei ihrer Radiostationen stillgesetzt, prorussische Politiker mundtot gemacht und per Gesetz einschneidende Restriktionen für die russische Sprache verwirklicht. Von ausländischen Berichterstatern wird oft übersehen, dass Putin in der Ukraine kein Land erobern oder gar putschen, sondern allenfalls die Rechte der prorussischen Bevölkerungsmehrheit sichern wollte. Dennoch wird ihm eine böse Aggressionswut unterstellt, die m. E. aber ausschließlich auf das Bestreben des Westens, die Ukraine mittels Nato gegen Russland zu instrumentalisieren, zurückgeht. Die in den letzten Jahrzehnten praktizierte Einkreisung Russland habe ich des öfteren kommentiert, u.a. in  https://www.stoerfall-zukunft.de/ist-der-freitag-nun-im-mainstream-agekommen/ sowie https://www.stoerfall-zukunft.de/3949-2/. Putin verweist nach wie vor darauf, dass der Westen schon in den Neunziger Jahren versprochen  habe, auf die Ausdehnung der Nato in Richtung der ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten zu verzichten. Dafür gibt es nach meinen letzten Recherchen keinen Anhaltpunkt. Gleichwohl ist weder 1990 (Einigungsvertrag) noch 1997 (Grundakte über gegenseitige Beziehungen …) von einer solchen Erweiterung die Rede gewesen. Besagten Staaten war es aber freigestellt, sich so zu verhalten, wie es ihnen beliebte. Das Ergebnis ist bekannt. Was ich erst mit der Berliner Zeitung vom 30. Januar 2022 erfuhr, ist die Mutmaßung, dass die Durchsetzung von Zielen des NormandieFormates  –  Verhandlungen der ukrainischen Regierung mit den Aufständischen sowie Schaffung von Grundlagen für die Autonomie von Donezk und Luchansk – schnell zur Destabilisierung der Ukraine (mit der sofortigen Entthronung von Selenskyj) führen könne https://www.berliner-zeitung.de/wochenende/die-wochenendausgabe-der-berliner-zeitung-vom-29-januar-2022-li.208771?pid=true*. Wie genau diese Einschätzung die tatsächliche Lage spiegelt, ist unklar. Man kann nur hoffen, dass sie die Risiken überzeichnet. Ich für meinen Teil wüsste nicht, wie das UkraineProblem ohne ein gesetzlich geregeltes Nebeneinander von russlandfreundlichen und prowestlichen Bürgern gelöst werden könnte. In der Verfassung der selbständig gewordenen Ukraine war zunächst verankert worden, dass das Land neutral bleiben sollte. 2019 verabschiedete das Parlament eine Resolution, die diesen Vorsatz quasi austilgte. Ihr Titel: „über vorrangige Schritte zur Gewährleistung der euro-atlantischen Integration der Ukraine und zum Erwerb der Nato-Vollmitgliedschaft“. Die NATO antwortete mit der Vergabe des Status eines Enhanced Opportunities Partners, der bereits vor dem NATOBeitritt engste gegenseitige Kontakte auf nachrichtendienstlichem und militärischen Gebiet ermöglicht. Auch diese Botschaft war für Russland ein rotes Tuch.  Inzwischen ist die Welt voll von interessengesteuerten Zustandsbeschreibungen, Schuldzuweisungen und „Säbelgerassel“. Vor allem die westlichen MainstreamMedien sind sich einig im Putin-Bashing, die taz stößt ins selbe Horn https://taz.de/Treffen-zum-Ukrainekonflikt/!5827560/. Yale-Professor Snyder, der im Westen als ausgewiesener Ukraine/Russlandkenner gilt, schlägt in der Washington Post besonders aggressive Töne an. Für ihn ist Russland ein Teufel, der der Ukraine jede Staatlichkeit aberkennen und sie als kleinen, folgsamen Puffer gegen den Westen benutzen möchte.  Snyder serviert altbekannte Klischees und zeigt wenig Neigung, Historie und Gesamtsituation angemessen zu bewerten https://www.stoerfall-zukunft.de/ukraine-man-kann-es-auch-so-sehen/. Damit liegt er hinter den instruktiven Beiträgen der Berliner Zeitung und des Freitag weit zurück.

Viel gefährlicher sind indes Rufe, die Ukraine mit deutschen DefensivWaffen zu versorgen. Sowohl Gabriel (ein devoter Unterstützer der AtlantikBrücke) als auch Heusgen, der künftige  Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, aber auch der CDU-Außenpolitiker Kiesewetter plädieren dafür (Baerbock und Habeck, die früher auch in diese Richtung votierten, haben von Scholz den zeitweiligen Maulkorb verpasst bekommen). Angesichts des ukrainischen Faschismus im 2. Weltkrieg, angesichts auch der heutigen NaziUmtriebe im Lande, angesichts des in Deutschland geltenden Verbots, Waffen in Spannungsgebiete zu liefern, machen derartige Bestrebungen einfach fassungslos https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/christoph-heusgen-fuer-lieferung-von-defensivwaffen-an-kiew-17772391.html  sowie  https://www.rnd.de/politik/ukraine-konflikt-cdu-politiker-kiesewetter-fuer-deutsche-waffenlieferungen-QTFLDZ3QBW4BZKKR4FTXJCZ6NE.html. Bleibt zu hoffen, dass der Kanzler Haltung bewahrt und die zahlreichen Anfeindungen, die ihn tägllich erreichen, strikt zurückweist. Wer glaubt, dass eine aggressive Einheitsfront des Westens die Probleme mit Putin klärt, ist auf dem Holzweg. Und gleichzeitig dafür verantwortlich, dass Russland in die Arme der Chinesen getrieben wird (FAS vom 30. Januar 2022; https://www.tagesschau.de/ausland/asien/russland-china-nato-101.html ).