Ja, nun ist es überstanden, sagen die einen. Jetzt sind wir Weltmeister, sagen die anderen. Ganz richtig, diesmal sind wir nicht Papst, wir sind Weltmeister. Ich hab das alles minutiös verfolgt – fast alle Spiele gesehen und die nicht enden wollenden Kommentare über mich ergehen lassen. Die deutschen Profis sind – mit viel Können und etwas Glück – in den Besitz der großen Trophäe gelangt. Mercedes und Coca-Cola haben märchenhafte Gewinne eingestrichen, Helene Fischer hat ihre Karriere um eine Potenz gesteigert, und alles dröhnte nur: Tage wie diese …
Keine Frage, der Profi-Fußball bindet weltweit mehr Menschen aneinander als jede andere Sportart in jeder anderen Konstruktion. Das hat nicht nur mit dem Spiel an sich, das hat mit Identifikation, dem Wunsch nach Gemeinsamkeit, aber auch mit Nationalismus und Frustabbau zu tun. Die Menschen können für Tage und Wochen aus ihrer oft mühseligen Welt entkommen und erleben gemeinschaftlich, was ein Team gemeinschaftlich zustande bringt. Jeder von uns möchte dann glauben, dass alles so war wie verkündet und es in diesem Sinne … auch weiter geht. Dass die Arbeitswoche nach der Fanmeile ähnlich locker vom Hocker kommt wie die Urlaubswoche, die man gefesselt, lachend und saufend vor der Glotze verbracht hat.
Wo es an politischen Schwergewichten, wo es an Kreativität und Gestaltungswillen mangelt, sucht das Volk neue Helden. Sie heißen Schweinsteiger, Lahm, Müller, Götze & Co., und sie ruhen ab heute dicht neben den Göttern. Dass ihnen das nicht zukommt, begreifen sie vielleicht. Doch wie schon sollten sie gegen ein System aufbegehren, dass sie so drapiert. Da sind die Veranstalter, da ist das austragende Land, da sind die Fans, die nur eines verlangen: den Sieg. Gelingt der, dann glaubt auch der Spieler, die Krone zu Recht zu tragen, dann ist er korrumpiert, eingelullt vom Establishment, dass ihn gesucht, gepeppelt und gemeinsam mit seinen Mitspielern ausgequetscht hat. Nun nach quälerischer Ausbeutung sieht das nicht aus, den jeder von den Jungmillionären wird in Kürze mehr Kohle einheimsen als ein Hartz IVer während seines Arbeitslebens. Keine Frage: Wenn gesiegt wird, ist jeder Akteur bestens zufrieden gestellt. Nur Mercedes, Cola, FIFA & Co. (ekelhaft die überbordende Werbung!) verdienen immer. Sie haben auch diesmal ihr Monopol durchgesetzt. Der Ehrgeiz der Spieleausrichter hat das möglich gemacht. Keine Ahnung, warum sich Präsidentin Dilma Rousseff diesen Bleifuß angetan hat. Vor der WM gab es berechtigte/geharnischte Proteste wegen der z. T. unsinnigen Geldausgaben. Jetzt dürfte sich das brutal fortsetzen – befördert durch die beschämende Niederlage der eigenen Kicker. Wieder wird es um viel Geld gehen – wieder wird es für die blanke Existenzsicherung, für Gesundheit und Bildung an allen Ecken fehlen. Südafrika war bereits ein finanzielles Fiasko, Rio wird das gleiche Schicksal erleiden. Wer den FIFA-Vertrag unterschreibt, wer es zulässt, dass FIFA-Gefolgsleute die Betreiber einheimischer Würstchen- und Getränkebuden aus dem Stadienumfeld verjagen, der muss hinnehmen, dass sich Wut aufbaut. Aber auch, dass die Kassen klamm bleiben. Keine Ahnung wie Rousseff einspielen will, was die öffentliche Hand mehr emotional als vernunftgesteuert verausgabt hat. Eines der Stadien wird nun wohl den Rinderzüchtern überlassen. Die anderen dürften (rinderlos) um ihre Auslastung bangen. Das alles geht uns nichts an, das alles ist deren Sache, tönt so mancher Befragte, und zweifellos hat er Recht. Denn uns Deutsche droht weder ein finanzielles, noch ein emotionales Desaster. Unsere Geldrückflüsse scheinen auf allen Ebenen gesichert. Wir profitieren von der Gesamtlaune, der DFB kann sich seiner Sponsoren, jeder Fußballstar der Fortführung/Aufstockung seines Werbevertrages sicher sein. Und selbst der Straßenkehrer kann noch tagelang verträumt auf seine Devotionalien glotzen.
Kein Zweifel: Sicher ist Fußball in erster Linie eine Geldmaschine, dann aber – bereits an zweiter Stelle – ein Ort/ein Quell großer Gefühle. Da wird freigesetzt, was monatelang verhakt vor sich hindrückte, da wird gestöhnt, gelacht und getobt bis das Adrenalin ausbleibt. Das ist Karnevall in Rund, das ist mehr als Otto Normal so verkraften kann.
Mein Freund Jürgen und diejenigen, die 35-Millionen-Endspiel-Einschaltquote so mir nichts dir nichts ignorieren, sehen das zweifellos anders. Sie fliehen, ja verachten die Verrücktheit des Spektakels, zeigen den Mitmachern/Mitläufern (natürlich nur virtuell) den Vogel und klagen, dass zu viele deutsche fahnen, zu viele mit dem verdammten Adler und überhaupt zu viel Scheißzeug mit schwarz-rot-gold besudelt wurde. Leuten, die neben mir aufsprangen und im Entree die Nationalhymne mitsangen, hätten sie vermutlich das Fell abgezogen, wenn sie es denn zu einer Art Mut, zu dieser personellen Mehrheit gebracht hätten, die sie so verachten. Klar: Gäbe es keine Nationalstaaten, hätten wir weniger Probleme. Wir müssten nicht brustgeschwellt herumtoben, hätten keine Nationalhymne und müssten nicht stolz auf Deutschland sein. Da die Leute in anderen Ländern aber nicht anders gestrickt sind, bleibt den meisten von uns (zumindest vorerst) keine andere Wahl – vor allem, wenn gesiegt wurde.
Der verdammte Zirkus wird noch lange nachschwingen. Er hat – das kann auch der ärgste Zweifler nicht in Abrede stellen – Menschen aller Bevölkerungsgruppen aufs Tiefste vereinnahmt, er hat Freude bereitet, endlos genervt und primitive Instinkte gefördert. Jawohl: Dieser Zirkus war ein emotionaler Hammer, er war Programm, Märchenstunde, das SPIELE von Brot & Spiele. Merkel und Gauck haben daran gesogen, sich in Mannschaftskabinen intim aufgedrängt, weil das COOL oder SUPERGEIL sein musste. Sie haben Sympathien gesammelt – und das ist das eigentlich Verheerende – ihre POLITISCHE Reputation aufgemöbelt. Denn wer Fußball mag, muss ein guter Mensch sein.
Die Welt ist voller Irrtümer. Fußball als gut gespieltes Spiel gehört nicht dazu. Auch ich habe mich nicht geirrt, auch ich habe die guten Spiele genossen – so wie man Dinge auslebt, die schön, interessant und geschickt einem Ziel zulaufen. Und ich habe die düsteren Hintergründe verdrängt – so wie das vermutlich alle taten, die dem Spielrausch verfielen. Es ist schön, dass es Fußball gibt, es ist schön, dass sich so viele Menschen an ihm erfreuen können. Und es ist ganz sicher, dass dieses Gesamtspektakel nur in dieser, der bestehenden Welt des gnadenlosen Wettbewerbs so möglich ist. Auch hier gilt die totale Kampfbereitschaft (nur wer topfit und nervenstark ist, hat eine Chance), das leistungsbezogene Honorar und der Markt, gelten Angebot und Nachfrage. Sie sind es, die dem Spiel die verderblichen Blüten verpassen – ohne die es aber das von vielen so geliebte Theater … nie geben würde.
Der Bürger will seine Fanmeile – und er sollte sie m. E. auch haben. Wenn es so ist, wie die Rheinische Post schrieb, dass viele, vor allem schwache Menschen ihr eigenes Schicksal mit dem der Nationalmannschaft verbinden, wenn viele dieses totale Abtauchen sehnlichst herbeiwünschen, um irgendwann glücklicher wieder aufzutauchen, dann sei ihnen der Sieg der deutschen Gladiatoren von Herzen gegönnt. Zuletzt – am Brandenburger Tor – waren alle ganz atemlos. Sie saßen, knieten und standen, und Millionen Handy ragten der Bühne entgegen. Manche hatten hier seit acht und mehr Stunden ausgeharrt. Wo sie abblieben, sich schließlich verpissten (sie waren wohl alle dehydriert oder gepampert) weiß jetzt kein Mensch mehr. Äußerst übel, dass die Organisatoren dieses blöde „So geh’n die Gauchos (brasilianisch gebückte Haltung), so geh’n die Deutschen“ (stramme aufrechte Haltung) durchließen und dass sich Leute aus der deutschen Mannschaft für dieses postkolonialen Machwerk hergaben. Hier und eigentlich nur hier … ist der sofortige Rausschmiss angesagt!
Helene Fischer aber dürfte das ganze Gegenteil beschieden sein. Sie wurde perfekt in den Trubel eingepasst, verschmolz und siegte gleichfalls. Leider singt sie nur Schlager, leider sang sie auch diesmal nur Schlager. Doch für all diejenigen, die damit glücklich sind, die damit leben wollen, war sie am „Laufsteg“ die Größte: Atemlos und … Wahnsinn.
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Fleischfresser beherrscht euch!
Die über Jahrhunderte währende Forderung der armen Bevölkerung nach einem ordentlichen Stück Schwein oder Rind im Mittagessen ist heute in eine maßlose Fleischfresserei ausgeartet. Der Ruf nach noch MEHR und BILLIG hat uns die abscheuliche, Antibiotika begleitete Massentierhaltung beschert http://www.peta.de/peta-ersucht-unterstuetzung-des-zentralrats-der-juden-zur-kampagne-holocaust-auf#.VfW2X5dKAtE . Gäbe es doch hier zu Lande einen für den Fleischverzehr zuständigen Diktator. Ich würde ihn anflehen, die wöchentlichen Fleischmalzeiten auf 300 Gramm pro Bürger zu beschränken, wobei der spezifische Preis durchaus auf ein vergleichbares Maß (zum heutigen Aufwand) steigen dürfte. Wir könnten Schweinen und Rindern ihren über Jahrhunderte zugestandenen freien Auslauf zurück geben und selber gesünder leben.
Bereits am 15. Mai 2013 hieß es:
Unter dem Titel „Schweinehalter: Tierschutz ruiniert uns“ hat die Rheinische Post eine Diskussion wieder belebt, die seit langem geführt wird http://www.rp-online.de/regionales/regionale-nachrichten/tierschutz-ruiniert-uns-1.3394939– wenn auch nicht in dem Tenor, den die RP bevorzugt. Es kann nicht darum gehen, einen Kompromiss zwischen Schweinequälerei und sogenannter „Bio-Haltung“ zu befördern. Vielmehr müssen alle Kräfte mobilisiert werden, die Boxenhaltung von Schweinen zu verbieten. Es ist ein Unding, dass diese Tiere auf derart engem Raum leben müssen. Derzeit sind es bei konventioneller Masthaltung nur 0,75 m2 bei 50-110 kg Lebendgewicht, was bei Erreichen der oberen Gewichtsgrenze nahezu Null Zwischenraum rund ums Schwein bedeutet. Schon der Gedanke, das Tier nahezu bewegungslos für die menschliche Fressgier aufwachsen zu lassen, ist perfide. Und um es deutlich zu sagen: Mich interessieren protestierende deutsche Viehhalter so gut wie gar nicht! Die sollten dafür sorgen, dass ihre Tiere artgerecht aufwachsen und dazu beitragen, dass die Fresswut und der unbedingte Drang nach billigem Fleisch nachlässt – und nicht neue Wege suchen, noch billiger (und natürlich auch schlechter) zu produzieren. Auch das Bestreben, die ausländische Konkurrenz das Fürchten zu lehren, ist mit Blick auf EU-Länder, die mangels Industrie sehr viel dringender auf Erträge aus der Tierhaltung angewiesen sind, nicht nur unsolidarisch, sondern völlig unnötig. Unter dem Strich geht es darum, die Schweinezucht auf ein normales, tiergerechtes Maß zurückzufahren. Ginge es nach mir, würde ich sie völlig aufgeben und den Bauern eine Alternative anbieten. Jeder weiß inzwischen, dass insbesondere Schweinefleisch der menschlichen Gesundheit eher abträglich ist. Ja, dass der Fleischkonsum mit Blick auf die Gesundheit auf maximal 2-3 Mahlzeiten pro Woche eingeschränkt werden sollte. Obwohl inzwischen viele Menschen diesem Trend folgen, setzen die Regierenden (im Verbund mit der Agrarlobby) alles daran, die Billigfleisch-Offensive weiter voranzutreiben. Das hat vor allem damit zu tun, dass auch prekär Beschäftigten (Leuten in Werkverträgen, Leiharbeitern und anderen Billig-Jobbern) und Hartz-IVern ein stabiler Zugang zu Fleisch eröffnet bzw. erhalten werden soll. Schon Jahrhunderte lang ist vor allem von armen Menschen das Fleisch in der Mahlzeit als Zeichen von Wohlstandes verstanden worden – nicht zu Unrecht, wie man weiß. Heute, da das Elend vergangener Zeiten fast überall überwunden ist, existiert das alte Empfinden weiterhin. Und man folgt ihm. Es gibt die stabile Nachfrage, und der Markt stellt sich darauf ein. Das alles scheint zunächst natürlich – ist es aber nicht. Denn es gibt eine politische/handelspolitische Komponente, die zunehmend an Bedeutung gewinnt. Deutschland ist im Zeichen der Globalisierung einem immer heftiger werdenden Wettbewerb ausgesetzt, den es selbst mit aller Energie anheizt. Schröder hat darauf mit der Einführung der Agenda 2010 reagiert, den verständlichen Applaus des politischen Gegners eingeheimst und eine Explosion bei Dumpinglöhnen und Billigarbeit ausgelöst. Das wiederum ermöglichte eine Reduzierung der Lohnstückkosten und damit wachsende Exportchancen.
Wer Niedriglöhne zum Konzept für mehr Wettbewerbsfähigkeit erklärt, muss Geringverdienern Billigpreise für den Grundbedarf anbieten – will er denn Konflikte mit den minderbemittelten Schichten des Volkes vermeiden. Hier nun schließt sich der Kreis. Nur wenn die Abwärtsspirale bei einfachen Lebensmitteln funktioniert, funktioniert auch die Abwärtsspirale bei den Löhnen. Beides ist mehr als kontraproduktiv – sowohl, was das notwendige Aufrücken schwacher EU-Partner als auch was die Schweine in Boxen, Kühe im permaneten Schwangerschaftsexzess, Hühner im gegenseitigen Verbiss und von Gentechnik bedrohten Getreide und Gemüse betrifft (man verzeihe mir die zu große Nähe der Begrifflichkeiten). Unsere Regierung schadet den europäischen Partnern mit den hohen deutschen Exportüberschüssen, sie zwängt Schweinezüchter, Milchbauern etc. in eine Existenz bedrohende, dekadente Wirtschaftsweise und glaubt in fataler Ignoranz/Dummheit, dass die Strategie von immer billigerer Arbeit …. im Wettbewerb mit Billiglohnländern wie China, Indien, Malaysia, Bangladesh etc. langfristig aufgeht. Eben das aber wird nicht geschehen. Europa wird bei Aufrechterhaltung der WTO-Regeln und des Freihandels immer tiefer in einen Sog gezogen, zumal auch viele mittelständische Betriebe durch konkurrierende Billigprodukte aus den o.a. Ländern ruiniert, sprich: Arbeitsplätze vernichtet werden. Wirksam gegensteuern ließe sich nur, wenn man den schrankenlosen Vergleich von Kosten, Preisen und Produkten – und damit auch das Lohndumping aufgäbe. Europa müsste zu einer neuen regional orientierten Wirtschafts- und Handelspolitik, einer neuen Arbeitsmarktpolitik sowie zu ethisch vertretbaren Normen für den Tierschutz und zu deutlichen Vorgaben für ein besseres Gesundheitsbewusstsein finden. Was wir langfristig bräuchten, wäre ein im Wesentlichen unabhängiges und eigenständiges Bündnis. Dessen Länder müssten sich darauf besinnen, den Binnenhandel auf seine bisherige Größe (wenn möglich sogar über 90%) zurückzuführen. Darüber hinaus sollten für ausländische Erzeugnisse, denen modernste europäische gegenüberstehen, Zölle erhoben, Kapitalverkehrskontrollen eingeführt und eine fairere innereuropäische Arbeitsteilung organisiert werden („Splendit Isolation“) – wie es auch Buchautor Gero Jenner in vielen seiner Publikationen fordert http://www.gerojenner.com/portal/gerojenner.com/Startseite.html. Nicht nur den Menschen, auch allen Tieren in der Union würde das gut tun.
Elende Demokratien oder … auf den Knien vor Big Brother
Das dumme Wort „anti-amerikanisch“ hat jetzt, da Snowden die Machenschaften des NSA enttarnt hat, erneut Konjunktur. Und die, die schon immer dagegen antraten – haben Atemprobleme. Dabei wurde die Formel bewusst geboren, um den Spieß umzudrehen, sprich: die Verächter ans Kreuz zu schlagen. Ich erinnere mich gut an die Frage, die Allensbach vor zwanzig Jahren in die Menge warf: „Lieben Sie die Amerikaner?“ So platt kann Meinungsforschung im Grunde nicht agieren, schon gar nicht mit Noelle-Neumann an der Spitze – etwas infam hintergründig aber schon. Denn welche Antwort erwartete man: Ja oder Nein. Und wer schon will ein ganzes Volk verdammen?
Auch heute hält man wenig von Differenzierung. Die Amerikaner sind mächtig, gewiss: ab und zu auch aggressiv und widerlich … im Spionieren. Doch was soll’s? Die Anklage bedient für einen Augenblick die vordergründige Schlagzeile, sorgt für Auflage und Quote. Dann herrscht meist Ruhe.
Was ist diesmal passiert? Ein Mann, der vorgibt, sich bewusst eingeschleust zu haben, um aufzuklären, klärt auf. Er „entheimlicht“ den geheimsten der US-Geheimdienste und flieht dann. Zurück bleibt ein attraktives Trümmerfeld – ein Torso aus Erkundung und Impertinenz. Irische Banker werden entblößt, britische Geheimdienste als Oberschnüffler enttarnt und Deutschland aufs Netteste erniedrigt. Das, was die NSA aus Glasfasernetzen extrahierte oder einfach nur von kooperierenden IT-Firmen abforderte, scheint niederschmetternd. Da brandet für Momente Entsetzen auf. Da beginnt so etwas wie Hass, wenn sichtbar wird, dass auch EU-Institutionen und vor allem Deutschland im Fokus der Abschöpfung standen. Plötzlich glaubt man sich beraubt, weil der Datenklau natürlich auch das Kanzleramt, Finanzinstitute und Forschungseinrichtungen betreffen könnte, müsste, dürfte. Hier geht Wissen verloren, hier werden die Intrigen der Eurorettung observiert, hier hört man Banker verächtlich in den Äther husten. Nicht nur Amerika ist gegen uns, auch das weniger erfolgreiche Rest-Europa opponiert. Viel davon ist gespielt, manches macht hilflos – Heuchelei und Verdrängung bestimmen das Geschehen.
Haben wir nicht gewusst, dass die Amerikaner spionieren? Echelon gibt es sei mehr als 20 Jahren und Ami-Wanzen in deutschen Konzernen gehören zum Alltag. Ganz richtig: Eben das flackert immer mal auf, um ebenso schnell in Vergessenheit zu geraten. Es ist nun einmal so: Die amerikanische Regierung, die amerikanischen Geheimdienste machen, was sie wollen. Sie peitschen weltweit den Washington consensus (gezielter Freihandel + Protektionismus, Privatisierung und Austeritätspolitik) durch, betreiben die Abschöpfung von Informationen und Wissen (weil kostengünstiger als die Umsetzung eigener Kreativität), ballern Drohnen in fremde Länder, entziehen sich dem Internationalen Gerichtshof und nehmen politisch Einfluss – bei den wirtschaftlich Unterworfenen. Wenn Frau Merkel punktuell aufschreit, wenn EU-Beamte jetzt die Aufkündigung des gerade anverhandelten Freihandelsabkommens USA-EU androhen, dann geschieht das ausschließlich deshalb, weil die Bürger eine solche Reaktion erwarten, oder anders herum: weil das Ausbleiben einer solchen zu eklatanten Verlusten im Wahlkampf führen müsste. Inzwischen ist man dem sanften Druck der potentiellen Profiteure gewichen: Es bleibt beim Abkommen, flankiert von Datenschützern. Wer sich jetzt nicht totlacht, ist selber Schuld.
Doch das Ganze dreht sich noch weiter: Plötzlich wird der liebe BND NSA-ähnlicher Spionage bezichtigt. Auch er habe die Datenkabel fremder Botschaften angezapft – freilich nicht im US-amerikanischen Ausmaß und nur bei Onkel Karsai. Gleichwie: Die Relativierung der Ungeheuerlichkeit ist in vollem Gange. So wie man Echelon schluckte, soll man schon ab morgen auch die Lauschangriffe der NSA wegstecken. Denn was hilft es schon, wenn Deutschland und die EU die Proteste verschärfen, oder gar auf detaillierte Aufklärung drängen? Bekommt man dann die eigenen Intrigen und Schlafzimmergeschichten serviert, erfährt man dann Unliebsamkeiten, die man wiederum vor Lauschangriffen – vor neuen Wistleblowers, den Medien und damit der breiten Öffentlichkeit – verbergen muss?
Es ist lächerlich, und doch wird es aufgeführt. Man übt sich erneut im Kotau. Man schickt sich an, den Beteuerungen Obamas zu glauben. Er nämlich verspricht, es zu richten. Er verspricht, das neue Gleichgewicht herzustellen – das zwischen dem Anti-Terrorkampf und dem, was natürlich sein muss: der herkömmlicher Spionage. Welch ein Unsinn: Top-Terroristen bewegen sich außerhalb der Netze, und herkömmliche Spionage führt seit jeher ein Eigenleben. Wir sollten uns also straff darauf einstellen, dass die Schnüffelei weiter geht – künftig mit noch ausgefeilteren Techniken und Sicherheitsstandards. Daran werden auch Merkels Telefonate und Blitzbesuche im Weißen Haus nichts ändern. Gut, dass der Datenklau noch immer der Menschen bedarf, und es folglich Leute wie Snowden immer geben wird, Menschen, denen das Gewissen schlägt. Dieser Wettlauf zwischen Spionage und Enttarnung bleibt bis auf weiteres unsere Hoffnung. Was dennoch ausbleibt, ist die gelebte Solidarität – das bewusste Schützen derer, die uns aufklären. Dass viele von uns Snowden und Co. sofort Asyl gewähren würden, zählt nicht in dieser Welt. Hier entscheiden Regierungen – zumeist in gewohnter Feigheit, respektive: falscher „Aliiertheit“. So hat es nun auch die Bundesregierung abgelehnt, Snowden in Deutschland aufzunehmen – obwohl sie mehr als andere von den offen gelegten Daten profitiert hat. Man sagt NEIN und geht zum Tagesgeschäft über. Ob unser Protest daran etwas zu ändern vermag, steht in den Sternen.
Ähnlich reagieren bislang auch alle anderen Länder, bei denen Snowden um Asyl nachsuchte. Sie alle fürchten Verprellungen und Restriktionen – im und aus dem Land der Täter. Ein aus taktischer Sicht verständlicher Vorgang, könnte man meinen. Eine jämmerliche Schande, muss man schlussfolgern – vor allem für die sogenannten Demokratien. Diese Schande allerdings passt gut ins westliche Establishment, das Transparenz und arabische Frühlinge lautstark und fortwährend zu beheucheln vermag.
Was wird aus Aufklärern wie Julian Assange, Manning Bradley und Edward Snowden?
Jeder von uns sollte sich die Frage strikt stellen. Müssen wir hinnehmen, dass sie ein Leben lang vaterlandslos umherirren oder irgendwann gefasst, ausgeliefert, eingekerkert oder gar zum Tode verurteilt werden? Welche Reichweite hat unser Wille? Dürfen wir geschehen lassen, was nicht geschehen darf? Müssen wir nicht die große Petition, die Welt umfassende Freisprechung, wenn nicht gar die höchste Würdigung in Gang setzen? Sind nicht wir – die Bürger – in der Sache gefragt, wo doch die Politik so kläglich versagt?
Die USA werden eine Zeit lang am NSA-Gate zu knacken haben. Wirklich gefährden wird sie auch das nicht. Denn der Skandal löst – wie jede Krise – neue wirtschaftsrelevante Entwicklungen aus, und die Ablehnung von Seiten der Belauschten wird auch künftig nicht weh tun. Denn man bleibt (zumindest vorerst) Sieger, solange man Netz, Wirtschaftsimperien und Finanzmärkte am eigenen Ufer weiß. Die EU aber wird immer stärker physisch und mental verletzt werden. Hinzu kommt die Furcht, dass US-amerikanische Rating-Agenturen gezielte Infos der NSA nutzen, um Europa weiter gen Hörigkeit oder Abgrund zu treiben. Was bei Fiskalpakt und ESM im Geheimen lief, dürfte als Weggeber offen liegen.
Irgendwie passt es nicht hierher. Und doch ist es Teil des Gesamtspiels. Obama ist derzeit bemüht, das ramponierte Image der USA irgendwie aufzupolieren. Ein Besuch in Südafrika schien geeignet. Befördert durch die emotional bestimmte „Hautfarbe-Identität“ geisterte der amerikanische Präsident durch die Gefängniszellen von Robben Island. Ein Glück für ihn, mehr aber noch für den todkranken Mandela, dass sich beide verfehlten – und die zwanghafte Heuchelei ausblieb. Obama nämlich – der schamlose Image-Absauger – hat bei Mandela nichts, und auch gar nichts zu suchen. US-Präsidenten haben das Apartheidregime stets toleriert – sie täten es heute erneut. Nur Erzfeind Castro hat den ANC gegen Botha und Co. unterstützt – mit Menschenopfern und Waffen.
Auf meiner Wandtafel hängt ein Bild. Es zeigt Mandela und Castro. Sie gehen auf einander zu, breiten ihre Arme aus, um sich … in den Armen zu liegen. Mandela ruft: Fidel, Fidel, Fidel …!
Ein Toast auf die Whistleblower!
Solange es Bürger gibt, die Steuersünder aufspüren, solange mutige Aktivisten wie Julian Assange http://www.zeit.de/2013/18/julian-assange-alexandre-lacroix, Manning Bradley http://www.taz.de/!117242/ oder Edward Snowden http://www.taz.de/US-Debatte-ueber-NSA-Enthuellung/!117937/ für Transparenz und demokratische Kontrolle streiten, ist diese Welt noch nicht verloren.
Nachtrag vom 23. Juni 2013: Hongkong hat sich von den USA nicht erpressen lassen. Edward Snowden, der die Überwachungspraktiken des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA enttarnte und dabei u. a. auch die Machenschaften des britischen Geheimdienstes offenlegte http://www.sz-online.de/nachrichten/schlimmer-als-die-us-kollegen-2601566.html , durfte ausreisen. Wohin es ihn verschlagen wird, ist unklar. Auf jeden Fall ist er den US-Behörden, die ihn – für meine Begriffe völlig absurd – der Spionage gegen die USA bezichtig haben, entwischt http://www.tagesschau.de/ausland/snowden-nsa-peking102.html. Snowden hat, wenn er denn spioniert haben sollte, für die gesamte Menschheit spioniert – völlig zu Recht! Gratulation!
MONSANTO – das ist der Tod!
Man muss nur einmal gegen MONSANTO auf die Straße gehen, schon findet man eine Vielzahl von Leuten, die genau wissen, wie es um unsere Lebensmittel bestellt ist. Ein Thema: genmanipulierte Futter- und Nahrungsmittel/GVO. Wer genau hinschaut, weiß inzwischen, dass die Amerikaner seit gut 10 Jahren Lebensmittel konsumieren, die auf gentechnisch veränderte Vorprodukte zurück gehen. Gefragt hat sie dazu niemand. Dabei ist unbekannt, was die Gentechnik langfristig anrichtet. Man hat ihn einfach gestartet – den großen Menschenversuch. Genauso treibt man es heute mit Nanopartikeln in Körperpflegemitteln und Kosmetika – aber das ist ein anders Thema.
Selbst hier zu Lande, wo man mehrheitlich glaubt, vor GVOs sicher zu sein, sickern sie langsam ein – über die Futtermittel. Zwar ist es in Deutschland vorgeschrieben, auf Beimengungen dieser Art hinzuweisen (meist im Kleingedruckten) – doch bis zur durchgängigen großen Aufschrift OHNE GENTECHNIK wird es offenbar nie kommen. Denn geht es gegen die Interessen der mächtigen Agrarindustrien (USA, Kanada, Argentinien etc.), sind oft Hilflosigkeit und Korruption angesagt.
Derzeit gilt hier zu Lande Fleisch als gentechnikfrei, wenn das betreffende Tier x Wochen vor der Schlachtung kein „kontaminiertes“ Futter gefressen hat – eine bodenlose Heuchelei … als ob die Wirkung der GVO – pardon – ausgeschissen würde.
Auf dem Graf-Adolf-Platz in Düsseldorf erfuhr ich, wie beharrlich die Menschen für den Erhalt der natürlichen Lebensweise (und damit auch der natürlichen Ernährung) einzutreten vermögen. Naturkundler besangen die biologische Vielfalt, Bio-Bauern warben für ihre nachhaltige Landwirtschaft, Kinder liefen mit Obst und Pflanztöpfen umher und Aktivisten aller Couleur beschworen Geschmackserlebnisse, die uns abhanden kommen. Über all diese Themen hatte ich selbst auch schon geschrieben. Beeindruckt hat mich schließlich ein Mann der Agrargruppe von Attac Wuppertal. Er war mit einer Liste unterwegs. Auf der war vermerkt, wer welches Produkt in welchen Supermarkt delegiert. Später erfuhr ich, dass Greenpeace mit solchen Daten schon lange Politik macht. Als ich in deren Datenblatt herumstöberte, wurde mir schnell klar, dass es echt easy ist, Supermärkte, Firmen und Produkte zu meiden, die „GVO-verseucht oder –verdächtig“ sind. Ähnlich einfach ist es, die Guten im Spiel auszumachen. Wer sich also fürs erste ein paar gängige Produkte merken kann, ist ein ganzes Stück weiter. Ich vermeide ab sofort „Bärenmarke“, Abkömmlinge von Müllermilch, Sprehe und Weihenstephan und greife dafür nach „Landliebe“, „Rotkäppchen“, „tegut“, „Bauer“ und „Zott“. So einfach ist das. Und wer etwas für den Erhalt unseres Saatgutes tun möchte, der kann sich hier engagieren http://www.trueten.de/permalink/Saatgutvielfalt-in-Gefahr-gegen-eine-EU-Saatgutverordnung-zum-Nutzen-der-Saatgut-Industrie.html.
Die widerliche Aura des Militarismus (2)
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Bleibt Venezuela rot?
Ich hätte mir ein deutlicheres Ergebnis gewünscht. Was Nicólas Madura am Sonntag hingelegt hat, war und ist katastrophenverdächtig. Er hat gegenüber seinem Vorgänger Chaves fast 5% der Stimmen verloren http://www.taz.de/Praesidentenwahl-in-Venezuela-/!114536/. Und dennoch freut mich dieser knappe Sieg. Immerhin hängt vom Wahlausgang ab, ob Venezuela dem westlichen Wirtschaftsmodel oder aber dem neuen Model sozialistischer Prägung folgt. Die Unterschiede zwischen beiden Optionen sind groß, in wichtigen Bereichen aber durchaus überbrückbar. Allerdings können die Einnahmen des Staates (u. a. die Erlöse aus den Erdöleinnahmen) nicht zweimal verteilt werden. Woraus folgt, dass die Reichen im Lande auf bisherige Pfründe (Steuerleichterungen, bessere Bildungschancen, Gesundheitsversorgung etc.) zumindest teilweise verzichten mussten und weiterhin müssen. Insider wissen, dass der Gini-Koeffizient – er beschreibt die Einkommensunterschiede im Lande – in Latein- und Südamerika weltweit am höchsten ist und nicht nur in Venezuela der Korrektur bedurfte/bedarf. Hugo Chaves hatte 2001 über einen 30 Millionen-US-$-Fond dreißig sogenannte „bolivarische Missionen“ gestartet, die große Teile der Bevölkerung aus dem Elend befreiten sowie Bildung, Gesundheitsfürsorge, Umweltschutz etc. vermittelten – meist gegen den Widerstand der bestehenden Institutionen, die er erst 2003 in die Knie zwang. Kurz nach Chaves’ Amtsantritt lebten nach Angaben der UN-Wirtschaftskommission knapp 50 % der Bevölkerung Venezuelas in Armut. Im Jahr 2006 war diese Quote auf 30 % gesunken. Der Gini-Koeffizient sank von 0,5 auf 0,44. Dies ist unter anderem den eben erwähnten Missionen zu verdanken. So haben die Armen kostenlosen Zugang zu zahlreichen Medikamenten, darunter retroviralen Cocktails gegen AIDS. 15 Millionen Menschen werden durch die Mercal-Supermärkte mit verbilligten Lebensmitteln versorgt. Die Lebenserwartung stieg von 72,18 Jahre (1999) auf 73,18 Jahre (2004); die Kindersterblichkeit konnte von 18,5 Promille auf 16,8 Promille im Jahr 2004 gesenkt werden. Die Arbeitslosigkeit reduzierte sich von 16,6 % (1999) auf 11,5 % (2005) – vor allem, weil die Regierung (z. B. im Rahmen der Misión Vuelvan Caras) die Gründung von Kooperativen anregte und deren Produkte bevorzugt aufkauft. Die Analphabetenquote wurde nach Angaben des Bildungsministeriums in wenigen Jahren von 6,12 auf 1 % gesenkt http://de.wikipedia.org/wiki/Bolivarianische_Missionen. Im Gesundheits- und Bildungswesen waren es vor allem kubanische Ärzte und Lehrer, die großzügige Unterstützung gewährten – vor allem dort, wo sich venezolanische Experten weigerten, in Elendsquartieren Hilfe zu leisten.
Eine neue Regierung unter dem Oppositionsführer Henrique Capriles Radonski würde zweifellos viele der von Chaves durchgeführten Reformen annulieren, die Reprivatisierung von Ölförderanlagen und Raffinerien beschließen und die auf Eis liegenden Verbindungen zu den USA wieder aufnehmen. Ja, mehr noch: Capriles könnte die Mitgliedschaft in den von linken Regierungen dominierten Bündnissen ALBA und CELAC aufkündigen http://amerika21.de/audio/48752/alba-celac. Was das bedeutet hätte, kann sich jeder, der Grundkenntnisse über Lateinamerika besitzt, schnell ausmalen. Venezuela ist als erdölreiches Land der Dreh- und Angelpunkt für die wirtschaftliche Entwicklung auch der Nachbarn. Vor allem Kuba, Ecuador und Bolivien profitieren von der großzügigen Unterstützung, aber auch arme Familien in den USA, denen Maduros Vorgänger immer mal Heizöl für den Winter herüberschipperte. Das unter Chaves sichtlich erstarkte Bündnis zwischen Venezuela, Ecuador, Bolivien und Kuba hat auch in den anderen latein- und südamerikanischen Ländern Spuren hinterlassen. Argentinien, Brasilien, Peru, El Salvador und Nikaragua sympathisieren offen mit dem neuen sozialen Experiment, andere Staaten scheuen zumindest jede Konfrontation. Auch der Wirtschaftsverbund Mercosur, dem Argentinien, Brasilien, Paraguy und Uruguay angehören, hat sich inhaltlich gewandelt. In den Augen von USA-Experten gilt er inzwischen als amerikafeindlich. In der Tat: Konfiguration und Kräfteverhältnisse südlich der Vereinigten Staaten haben sich grundlegend verändert – was zweifellos mit der Jahrzehnte währenden ausbeuterischen Politik des großen Nachbarn zu tun hat. Was United Fruit & Co. nach dem 2. Weltkrieg nicht zerstören konnte, schlugen die Chikago-Boys und die von ihnen gesteuerten Diktatoren, Rauschgifthändler und Todesschwadronen platt . Che Guevara, Allende, Victor Jara und vielleicht auch Pablo Neruda sind darüber zu Tode gekommen http://www.otz.de/startseite/detail/-/specific/Leiche-von-Pablo-Neruda-wird-exhumiert-160029937. Wer diese Zusammenhänge kennt, weiß sehr schnell, wie wichtig Wahlergebnisse in Venezuela sind. Und er kann sich das Ausmaß westlicher Unterstützung für Capriles Radonski vorstellen. Nun, dieser Mann musste sich geschlagen geben, was jetzt wegen des knappen Ergebnisses für Zeter und Mordio sorgt. Dass Maduras Gegner über 49% der Stimmen holte, ist überaus ernst zu nehmen. Denn die Zahl vermittelt, dass in Venezuela ein Riss mitten durch die Gesellschaft geht, sprich: die Zahl der Gegner immens ist. Wenn Madura den Kurs von Chaves erfolgreich fortsetzen möchte, bedeute das nicht nur viel Arbeit und reformerisches Denken, sondern vor allem auch Konzessionen an seine Gegner. In einer ständigen Konfrontation nämlich kann nichts gedeihen. Hier gilt es, mit parteiübergreifenden Lösungen sehr viel mehr Menschen vom neuen Weg zu überzeugen bzw. abgefallene Wähler zurückzugewinnen. Andererseits müssen die „positiven Errungenschaften“ (Ergebnisse der Missionen etc.) konsequent geschützt werden – notfalls unter Einsatz des Militärs.
Dass die westlichen Medien die Verdienste von Chavez mehrheitlich ignorierten und heute zu immer neuen Rufmordkampagnen gegen Maduro antreten, ist das Ergebnis dieser Gemengelage. Was man den beiden vorwirft, ist beispiellos und doch nur ein Remake dessen, was auch Allende oder Castro erlebten/erleben: Durch die erbrachten Sozialleistungen sei die Wirtschaft des Landes geschädigt worden (Originalton ARD vom 14, April 2013). Man habe Oppositionelle mundtot gemacht und eingekerkert und der überbordenden Kriminalität im Lande wenig entgegengesetzt. Wahr ist, dass Chaves gegen all diejenigen Front machte, die ihn unmittelbar angriffen, für Kapitalverbrechen und andere feindliche Aktionen gegen Staat und Gesellschaft verantwortlich waren und Lügen verbreiteten. Tatsächlich sind neben vielen Kriminellen auch einige Oppositionelle festgesetzt worden. Wobei die meisten von ihnen später amnestiert wurden. Leider begreift man im Westen nicht, dass strukturelle Verbesserungen zu Gunsten der Unterprivilegierten auch administrative Härten und unverhältnismäßige Eingriffe mit sich bringen. Beides gibt es, wenn auch in umgekehrter Färbung, auch in unseren sogenannten Demokratien – täglich und immer wieder. Ärgerlich ist, dass sogenannte Menschenrechtsorganisationen, aber auch Amnesty International statt der Gesamtsituation nur einzelne Härtefälle im Auge haben und diese zuweilen aufbauschen. Bestes Beispiel: die im Hausarrest befindliche Richterin Maria Lourdes Afiuni . Chaves hatte sie wegen Korruption anklagen und (angeblich) zu 30 Jahren Gefängnis verurteilen lassen, weil sie zwei politische Gegner Chaves’ frei ließ. Jetzt wurde die Strafe in Hausarrest umgewandelt – was bei der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte auf die Schlagzeile „Hausarrest statt medizinischer Versorgung“ hinausläuft http://www.igfm.de/laender/lateinamerika/venezuela-hausarrest-statt-medizinischer-versorgung/. Die Diskreditierung der Wahlsieger ist also Programm. Natürlich muss sich jedes Land um die Einhaltung fundamentaler Menschenrechte nicht nur kümmern, sondern sie strikt einhalten. Das gilt auch in Venezuela und wird genauso wahrgenommen. Wenn allerdings aus Einzelschicksalen politische Kapital geschlagen wird, wenn schließlich die Gesamtsituation eines Landes an höchst untypischen Vorfällen festgemacht werden soll, ist Schluss mit lustig. Schließlich hilft jede verleumderische Attacke dem äußeren Feind, den US-Amerikanern, die ihren früheren Einfluss auf Latein- und Südamerika wieder herstellen wollen, den Europäern, die die ALBA- und CELAC-Länder in ihrem ausbeuterischen Freihandel zwingen möchten und den zahllosen Ölgesellschaften, die ihre Saugnäpfe bereits auf das venezolanische schwarze Gold programmiert haben.
Dass Venezuela über immense, ja vielleicht sogar über die größten Erdölvorräte der Erde verfügt, ist brisant. Folglich wird das Land auch in Zukunft von massivem Störfeuer all derer bedroht, die vor allem eines fürchten: dass sich der junge Sozialstaat auf Basis seines Bodenschatzes auf ewig etablieren und weitere Länder in die antiwestliche Allianz einbinden könnte.
Wenn Sie also künftig die Zeitung aufschlagen und Hasstiraden gegen Nicólas Maduro begegnen, dann bleiben Sie bitte ruhig. Das meiste davon ist übertrieben oder
… gelogen.
Nachtrag vom 21. April 2013: Die Wählerstimmen werden neu ausgezählt.
Steinbrück hat die Hyänen von der Leine gelassen
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Vergesst Obama!
Spätestens seit dem 2. Mai 2011 ist klar, dass ein Schwarzer – wollte er weiterhin Präsident der USA sein – ungleich straighter auftreten muss als weiße Schwachköpfe à la Bush jun. Und so wie Mr. Präsident da gemeinsam mit Hillary Clinton im Situations Room des Weißen Hauses – kamerafixiert und für die Weltöffentlichkeit sichtbar – dem Einsatz des von ihm befohlenen Killerkommandos folgte (http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,760622,00.html), ist er schon aus dem Schatten seiner Vorgänger herausgetreten. Spätestens seit dem 2. Mai ist klar, dass unser Bild von Obama genauso mutiert, wie ich das in „Störfall Zukunft“ vor 30 Monaten vorausgesagt hatte (S. 463 ff.). Dieser Mann, der im Wahlkampf zum Vorkämpfer für ein neues Amerika hochstilisiert wurde und dazu selbst kräftig beitrug, ist alles andere als ein Hoffnungsträger für diese Welt. In den USA mag man das anders sehen, weil die Ereignisse des 11. September 2001 einen direkten Pool aus Schmerz und unbefriedigten Rachegelüsten hinterließen. Doch es waren ganz augenscheinlich weniger die Angehörigen der Opfer, die den Tod Bin Ladens bejubelten, es war der von den Medien aufgeputschte Mob.
Barack Obama hat mit der Intensivierung des Afghanistankrieges, den ferngesteuerten, völkerrechtswidrigen Attacken von US-Drohnen gegen Pakistan (die Zahl der getöteten Zivilisten wurde per 5. Mai 2011 mit dreiundfünfzig sicher zu niedrig angegeben) und der Bombardierung Libyens eine neue Blutspur gezogen. Er hat die Signale der sogenannten arabischen Befreiungsbewegung undifferenziert verkannt und im Westjordanland den israelischen Siedlern das Feld überlassen. Man darf auch vermuten, dass von den Geheimdiensten weiter gefoltert wird – ohne ausdrückliche neue Befehle und … im Ausland (http://www.wdr.de/tv/monitor/sendungen/2011/0505/terror.php5). Guantanamo – wo mindestens 150 Gefangene unschuldig einsaßen und z. T. auch heute noch einsitzen – besteht weiter (http://www.taz.de/1/netz/netzpolitik/artikel/1/unschuldige-sassen-jahrelang-ein/). Dass die Opfer nur deshalb nicht freigelassen werden, weil sich niemand findet, der sie aufnimmt, ist grotesk.
Was also hat Obama – abseits einer halbherzigen, noch keineswegs gesicherten Gesundheitsreform und untauglicher Finanzmarktregeln – zu Stande gebracht?
Wo und wie ist er anders als bisherige US-Präsidenten?
Mir fällt da nichts ein.
Amerika bleibt – ob nun mit oder ohne Obama – ein Land mit Vormachtanspruch, ein Land, das mit Microsoft, Apple, Google etc. im Internet herrscht … das eine Vielzahl übermächtiger Global Player, die drei maßgeblichsten Rating-Agenturen der Welt, die fiesesten Rüstungsgüter, die weltgrößte Militärmaschinerie und das Abhörsystem Echelon etc. gegen die Restwelt ausschickt …,
das mit Schulden von gut 14 Billionen US-$ kurz vor dem Kollaps steht und damit eine reale Gefahr für die Finanz- und Realwirtschaft der gesamten Welt darstellt (http://www.abendblatt.de/wirtschaft/article1751239/Die-14-Billionen-Dollar-Frage-der-USA.html) …,
das seine Bevölkerung ungefragt mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln zuschüttet und 40 Millionen seiner Bürger dem radikalen Evangelismus ausliefert.
Dort, wo der Rauschgiftkonsum einsame Rekorde feiert, wo es jährlich mehrere tausend sexuelle Übergriffe gegen weibliche Militärangehörige gibt, wo mehr als 200 Millionen Waffen in privatem Besitz sind und pro Kopf der Bevölkerung achtmal so viele Leute eingelocht werden wie im europäischen Durchschnitt, wo Städte wie Maywood, Oakland, San Diego etc. einfach verkommen, wo deutsche Au Pairs immer mal gefragt werden, ob es in Germany auch Autos oder doch eher Regenwälder gebe, dort also … hat Obama gerade seine höchste Wertschätzung erfahren.
http://www.sueddeutsche.de/wissen/privater-waffenbesitz-mehr-schusswaffen-mehr-opfer-1.833490;
http://de.wikipedia.org/wiki/Gefangenenquote; http://www.wissen.de/wde/generator/wissen/services/nachrichten/ftd/PW/60047559.html;
„Rheinische Post“/Regionalteil Ratingen, 23. Juni 2011).
Nachtrag vom 24. Juni 2011: Am 13. Juni wurde in den USA ein streng gehütetes Staatsgeheimnis gelüftet: Der Vietnamkrieg war illegal. Er wurde unter falschen Voraussetzungen begonnen, mit Lügen fortgesetzt − und zu gewinnen, auch das wird jetzt offiziell bekannt gemacht, war er auch nicht. Ganz neu ist die Erkenntnis nicht: Vor genau vierzig Jahren stahl ein ehemaliger Elitesoldat, der Regierungsberater Daniel Elsberg, die hoch geheimen „Pentagonpapiere“, kopierte sie und trug sie zur New York Times, die sie nach einigem Zögern veröffentlichte. Präsident Nixon persönlich versuchte, die Zeitung zu verbieten. Elsberg wurde als Landesverräter verhaftet und wäre beinahe für Jahrzehnte im Gefängnis verschwunden. In Vietnam aber starben Millionen Vietnamesen und fast 60.000 Amerikaner.
Derzeit beschäftigt ein ähnlich gelagerter Fall die USA. Wieder ist ein Soldat, diesmal der Obergefreite Bradley Manning, auf erschreckende Missstände/Verbrechen gestoßen. Die diesmal nicht über die Presse, sondern über den inzwischen inhaftierten Julian Assange und Wikileaks an die Öffentlichkeit gelangten (http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,750257,00.html). Wir wissen, dass im betreffenden Dossier von fundamentalen Menschenrechtsverletzungen und anderen tödlichen Übergriffen der US-Army die Rede ist – in einem Krieg, der ähnlich wie der in Vietnam … unter falschen Voraussetzungen begann, mit Lügen fortgesetzt wurde und nicht zu gewinnen ist.
Obama nun tut nichts, um dem unter unwürdigen Umständen eingekerkerten Bradley Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen (http://www.sueddeutsche.de/politik/wikileaks-informant-bradley-manning-held-hinter-gittern-1.1107592). Im Gegenteil: Er billigt die laufende Prozedur. Und fährt dafür – ebenso wie für die Bin-Laden-Show – Pluspunkte ein. Der mittlerweile achtzigjährige Ellsberg missbilligt Obamas Verhalten ausdrücklich, ja er nennt es einen Verstoß gegen die amerikanische Verfassung („Süddeutsche Zeitung“, 11./12./13.Juni 2011).
Der US-amerikanische Philosoph Noam Chomsky ging vom 6. – 8. Juni 2011 in der Kölner Universität einen Schritt weiter. Wörtlich formulierte er: „Seit der Monroe Doktrin 1823 betrachteten die Vereinigten Staaten die Welt als politische und wirtschaftliche Verfügungsmasse, den eigenen Interessen untergeordnet oder noch unterzuordnen.“
Kersten Knipp, der Chomskys Vorlesungen beiwohnte, spürte einmal mehr dessen Grundannahme. Knipp wörtlich: „Die Außenpolitik der USA ist die Wurzel aller Übel weltweit. Ändert sich diese Politik, steht es auch um die Welt als Ganzes besser“ („Süddeutsche Zeitung“, 10 Juni 2011).
Auszug aus „abgebloggt“ , Heiner Labonde Verlag 2011, S. 368 ff.
Die widerliche Aura des Militarismus (1)
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