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Vergesst Obama!

 

Spätestens seit dem  2. Mai 2011 ist klar, dass ein Schwarzer – wollte er weiterhin Präsident der USA sein – ungleich straighter auftreten muss als weiße Schwachköpfe à la Bush jun. Und so wie Mr. Präsident  da gemeinsam mit Hillary Clinton im Situations Room des Weißen Hauses – kamerafixiert und für die Weltöffentlichkeit sichtbar – dem Einsatz des von ihm befohlenen Killerkommandos folgte (http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,760622,00.html), ist er schon aus dem Schatten seiner Vorgänger herausgetreten. Spätestens seit dem 2. Mai ist klar, dass unser Bild von Obama  genauso mutiert, wie ich das in „Störfall Zukunft“ vor 30 Monaten vorausgesagt hatte (S. 463 ff.). Dieser Mann, der im Wahlkampf zum Vorkämpfer für ein neues Amerika hochstilisiert wurde und dazu selbst kräftig beitrug, ist alles andere als ein Hoffnungsträger für diese Welt. In den USA mag man das anders sehen, weil die Ereignisse des 11. September 2001 einen direkten Pool aus Schmerz und unbefriedigten Rachegelüsten hinterließen. Doch es waren ganz augenscheinlich weniger die Angehörigen der Opfer, die den Tod Bin Ladens bejubelten, es war der von den Medien aufgeputschte Mob.

Barack Obama hat mit der Intensivierung des Afghanistankrieges, den ferngesteuerten, völkerrechtswidrigen Attacken von US-Drohnen gegen Pakistan (die Zahl der getöteten Zivilisten wurde per 5. Mai 2011 mit dreiundfünfzig sicher zu niedrig angegeben) und der Bombardierung Libyens eine neue Blutspur gezogen. Er hat die Signale der sogenannten arabischen Befreiungsbewegung undifferenziert verkannt und im Westjordanland den israelischen Siedlern das Feld überlassen. Man darf auch vermuten, dass von den Geheimdiensten weiter gefoltert wird – ohne ausdrückliche neue Befehle und  … im Ausland (http://www.wdr.de/tv/monitor/sendungen/2011/0505/terror.php5).  Guantanamo –  wo mindestens 150 Gefangene unschuldig einsaßen und z. T. auch heute noch einsitzen – besteht weiter (http://www.taz.de/1/netz/netzpolitik/artikel/1/unschuldige-sassen-jahrelang-ein/). Dass die Opfer nur deshalb nicht freigelassen werden, weil sich niemand findet, der sie aufnimmt, ist grotesk.

Was also hat Obama – abseits einer halbherzigen, noch keineswegs gesicherten Gesundheitsreform und untauglicher Finanzmarktregeln – zu Stande gebracht?

Wo und wie ist er anders als bisherige US-Präsidenten?

Mir fällt da nichts ein.

Amerika bleibt – ob nun mit oder ohne Obama – ein Land mit Vormachtanspruch, ein Land, das mit Microsoft, Apple, Google etc. im Internet herrscht … das eine Vielzahl übermächtiger Global Player, die drei maßgeblichsten Rating-Agenturen der Welt, die fiesesten Rüstungsgüter, die weltgrößte Militärmaschinerie und das Abhörsystem Echelon etc. gegen die Restwelt ausschickt …,

das mit Schulden von gut 14 Billionen US-$ kurz vor dem Kollaps steht und damit eine reale Gefahr für die Finanz- und Realwirtschaft der gesamten Welt darstellt (http://www.abendblatt.de/wirtschaft/article1751239/Die-14-Billionen-Dollar-Frage-der-USA.html) …,

das seine Bevölkerung ungefragt mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln zuschüttet und  40 Millionen seiner Bürger dem radikalen Evangelismus ausliefert.

Dort, wo der Rauschgiftkonsum einsame Rekorde feiert, wo es jährlich mehrere tausend sexuelle Übergriffe gegen weibliche Militärangehörige gibt, wo mehr als 200 Millionen Waffen in privatem Besitz sind und pro Kopf der Bevölkerung achtmal so viele Leute eingelocht werden wie im europäischen Durchschnitt, wo Städte wie Maywood, Oakland, San Diego etc. einfach verkommen, wo deutsche Au Pairs immer mal gefragt werden, ob es in Germany auch Autos oder doch eher Regenwälder gebe, dort also … hat Obama gerade seine höchste Wertschätzung erfahren.

(http://www.sueddeutsche.de/digital/echelon-berunruhigt-das-europa-parlament-die-big-brother-hotline-1.622678)

http://programm.ard.de/TV/Programm/Jetzt-im-TV/weltbilder/eid_287216400135086?list=themenschwerpunkt&start=21;

http://www.sueddeutsche.de/wissen/privater-waffenbesitz-mehr-schusswaffen-mehr-opfer-1.833490;

http://de.wikipedia.org/wiki/Gefangenenquote;  http://www.wissen.de/wde/generator/wissen/services/nachrichten/ftd/PW/60047559.html;

„Rheinische Post“/Regionalteil Ratingen, 23. Juni 2011).

 

Nachtrag vom 24. Juni 2011: Am 13. Juni wurde in den USA ein streng gehütetes Staatsgeheimnis gelüftet: Der Vietnamkrieg war illegal. Er wurde unter falschen Voraussetzungen begonnen, mit Lügen fortgesetzt − und zu gewinnen, auch das wird jetzt offiziell bekannt gemacht, war er auch nicht. Ganz neu ist die Erkenntnis nicht: Vor genau vierzig Jahren stahl ein ehemaliger Elitesoldat, der Regierungsberater Daniel Elsberg, die hoch geheimen „Pentagonpapiere“, kopierte sie und trug sie zur New York Times, die sie nach einigem Zögern veröffentlichte. Präsident Nixon persönlich versuchte, die Zeitung zu verbieten. Elsberg wurde als Landesverräter verhaftet und wäre beinahe für Jahrzehnte im Gefängnis verschwunden. In Vietnam aber starben Millionen Vietnamesen und fast 60.000 Amerikaner.

Derzeit beschäftigt ein ähnlich gelagerter Fall die USA. Wieder ist ein Soldat, diesmal der Obergefreite Bradley Manning, auf erschreckende Missstände/Verbrechen gestoßen. Die diesmal nicht über die Presse, sondern über den inzwischen inhaftierten Julian Assange  und Wikileaks an die Öffentlichkeit gelangten (http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,750257,00.html). Wir wissen, dass im betreffenden Dossier von fundamentalen Menschenrechtsverletzungen und anderen tödlichen Übergriffen der US-Army die Rede ist – in einem Krieg, der ähnlich wie der in Vietnam … unter falschen Voraussetzungen begann, mit Lügen fortgesetzt wurde und nicht zu gewinnen ist.

Obama nun tut nichts, um dem unter unwürdigen Umständen eingekerkerten Bradley Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen (http://www.sueddeutsche.de/politik/wikileaks-informant-bradley-manning-held-hinter-gittern-1.1107592). Im Gegenteil: Er billigt die laufende Prozedur. Und fährt dafür – ebenso wie für die Bin-Laden-Show – Pluspunkte ein. Der mittlerweile achtzigjährige Ellsberg missbilligt Obamas Verhalten ausdrücklich, ja er nennt es einen Verstoß gegen die amerikanische Verfassung („Süddeutsche Zeitung“, 11./12./13.Juni 2011).

Der US-amerikanische Philosoph Noam Chomsky  ging vom 6. – 8. Juni 2011 in der Kölner Universität einen Schritt weiter. Wörtlich formulierte er: „Seit der Monroe Doktrin 1823 betrachteten die Vereinigten Staaten die Welt als politische und wirtschaftliche Verfügungsmasse, den eigenen Interessen untergeordnet oder noch unterzuordnen.“

Kersten Knipp, der Chomskys Vorlesungen beiwohnte, spürte einmal mehr dessen Grundannahme. Knipp wörtlich: „Die Außenpolitik der USA ist die Wurzel aller Übel weltweit. Ändert sich diese Politik, steht es auch um die Welt als Ganzes besser“ („Süddeutsche Zeitung“, 10 Juni 2011).

Auszug aus „abgebloggt“ , Heiner Labonde Verlag 2011, S. 368 ff.

Gemeinwohl-Ökonomie

Christian Felber: Gemeinwohl-Ökonomie – Das Wirtschaftsmodell der Zukunft, Deuticke im Paul Zsolnay Verlag Wien 2010, ISBN: 978-3-552-06137-8

http://www.amazon.de/Die-Gemeinwohl-%C3%96konomie-Das-Wirtschaftsmodell-Zukunft/dp/3552061371

Es gibt eine Alternative zu den realsozialistischen Irrwegen und zum Kapitalismus, der uns in die Krise geführt hat. So der nüchterne und dabei zutiefst spannende Epilog des vorliegenden Buches. Christian Felber komme – so der (leider anonyme) Ausrufer – mit einem fundamentalen Neuansatz. Und tatsächlich: Das, was der Autor in seinem Buch anbietet, unterscheidet sich von den landläufigen Betrachtungen zu Wirtschaft und Finanzwesen signifikant – weil es die traditionellen Triebfedern der „freien“ Marktwirtschaft – die Kombination aus Gewinnstreben und Konkurrenz – durch einen neuen „mehrheitsfähigen Leitstern“ mit den Grundwerten Vertrauensbildung, Kooperation, Solidarität und Teilen ablöst. Felber weiß, dass die Konkurrenz im derzeitigen Getriebe zu manch einer Leistung ansport, ist sich aber genauso sicher, dass eben diese Konkurrenz einen ungemein größeren Schaden an der Gesellschaft und an den Beziehungen zwischen den Menschen anrichtet. Der so genannte „freie Markt“ sei nur für diejenigen frei, die sich schadlos aus jedem Tauschgeschäft zurückziehen könnten. Das treffe nur auf die stärksten der Marktteilnehmer zu. Alle anderen blieben in den Schleppnetzen der Abhängigkeit. Felber beschreibt sehr anschaulich, wohin uns der Kapitalismus bisher geführt hat. Seine Analyse filtert die zehn Krisen des Kapitalismus, die sich mit kurzen Schlagworten umreißen lassen: Konzentration und Missbrauch von Macht; Ausschaltung des Wettbewerbs und Kartellbildung; Standortkonkurrenz zu lokalen Kleinbetrieben; ineffiziente Preisbildung infolge manipulierter Marktmacht; soziale Polarisierung und Angst in einer sich öffnenden Schere zwischen arm und reich; Nichtbefriedigung von Grundbedürfnissen und Hunger; Umweltzerstörung; Sinnverlust, Werteverfall und Ausschaltung der Demokratie. In einem System, das die Anhäufung materieller Werte zum nahezu einzigen Ziel habe, gerieten andere, weitaus wichtigere Werte (Beziehungs- und Umweltqualität, Zeitwohlstand, Kreativität, Autonomie u.a.) unter die Räder. Und es sei offensichtlich, dass globale Unternehmen, Banken und Investmentfonds über Lobbying, Medienbesitz, Public Private Partnerships und Parteienfinanzierung Parlamente und Regierungen erfolgreich dazu bringen, ihren Partikularinteressen und nicht dem Gemeinwohl zu dienen. Die Demokratie werde so zum letzten und prominentesten Opfer der „freien Marktwirtschaft“. Felber bringt Alternativen ins Spiel. Für ihn ist allein das Gemeinwohl Ziel allen Denkens und Handels. An ihm misst sich, was der Gesellschaft und dem Einzelnen nützt. Felber schafft neue Definitionen für unternehmerischen Erfolg, regt an, das Gemeinwohl als solches zu definieren, zu messen und eine Gemeinwohlbilanz aufzustellen. Sei dies geschehen, müsse jedes Bestreben, das Gemeinwohl zu mehren, belohnt werden. Das gelte gleichermaßen für Unternehmen, Organisationen, Einzelpersonen etc. Was den konkreten Wandel angeht, so formuliert der Autor durchaus strikt. U. a. beschränkt er die Gewinnverwendung von Unternehmen, sieht Aktiengesellschaften und folglich die Gewinnausschüttung an Aktionäre total im Aus, schreibt klar umrissene Mindestlöhne (etwa 1.250 €/Monat- S. 80) und Sozialhilfeleistungen ins Register, schlägt Veränderungen im Arbeitsleben – so z.B. vier Freijahre im Berufsleben – vor, „gründet“ die so genannte “ Demokratische Bank“ – deren fast ausschließliche Aufgabe es ist, eine dem Gemeinwohl und der Nachhaltigkeit verpflichtete Realwirtschaft mit Geld auszustatten und hofft, dass das Ganze im Wechselspiel von Subsidiarität, Demokratie, Kontrolle und Transparenz gar wird. Und mehr noch. Felber fordert darüber hinaus, bestehende Regeln für Vermögen, Eigentum und Unternehmensgrößen zu ändern. Auch das bestehende Erbrecht soll radikal verändert und zu Gunsten einer „demokratischen Mitgift“ für alle neu gestaltet werden. Große Bedeutung weist Felber der künftigen Erziehung und Bildung zu, wobei der Erwerb von sozialer und kommunikativer Kompetenz, Gefühlskunde, Wertekunde sowie Naturerfahrenskunde im Vordergrund stehen. Scharf kritisiert der Autor das Gerangel um die EU-Verfassung. Hier habe man den Souverein (die Völkern) zu Gunsten von Wirtschaft und Finanzwelt schlicht ausgeklinkt. So etwas sei mit seinen Vorstellung zu direkter Demokratie (dabei Teilhabe aller Gruppierungen der Bevölkerung) und Gemeinwohl-Ökonomie nicht vereinbar.

Auch dazu, wie die von Felber konstruierte Welt realisiert werden soll, gibt es Hinweise. Der Autor spricht von breiter Diskussion über das Konzept, über den notwendigen persönlichen Einsatz derer, die verändern wollen, beschwört die Ansetzung/Einberufung des Gemeinwohlkonvent, der Druck gegenüber Parlament und Regierung aufmachen müsse. Schließlich sei auch der Weg über die direkte Demokratie, also die Einberufung des Gemeinwohlkonvents auf Initiative und Druck allein der Bürgerbewegung – also ohne Dazutun von Regierung und Parlament – möglich, ja vielleicht sogar der bessere. Ziel sei in beiden Fällen eine Gesetzesänderung. Sie soll alle Unternehmen, die dem Gemeinwohl und der Nachhaltigkeit verpflichtet sind (z. B. steuerlich) besser stellen, sprich: deren Tätigkeit ausdrücklich gut heißen und fördern. Damit soll u. a. erreicht werden, dass diese Firmen Produkte und Dienstleistungen zu Preisen anbieten können, wie sie sonst nur bei traditionell wirtschaftenden Unternehmen üblich sind.

Die meisten von Felbers Ideen geraten angesichts des laufenden Finanz- und Wirtschaftswahnsinns in eine Art heilsbringerische Aura. Ja, möchte man rufen: Lasst uns unser Handeln am Gemeinwohl messen, lasst uns kooperieren statt konkurrieren, übt die direkte Demokratie, gebt dem Souverän (dem Volk), was des Souveräns ist und lebt die wirklichen Werte! Doch es ist wie so oft in Zukunftsentwürfen: Obwohl der Zielzustand – zumindest in den Hauptachsen – gut definiert ist, ist der Weg dahin zu dünn ausgeleuchtet. Aber auch das Konstrukt an sich wirft Fragen auf. So möchte man doch wissen, wie die Zahlen zu Einkommen und Vermögen entstanden sind, ob Felber sein neues Wirtschaften tatsächlich ausreichend stimuliert hat, wo und wie die „demokratische Mitgift“ überhaupt verwaltet,und den Bürgern (allen oder doch nur den „vertrauenswürdigen“?) in die „Treuhand“ gedrückt werden soll. Der Autor geht in seinem „Maßnahmeplan“ relativ weit, lässt aber wichtige Fragen – davon manche, die der Bürger zuerst aufgreift – offen. Vor allem aber versucht er, den zweifellos zu erwartenden massiven Widerstand seiner Gegner kleinzureden. In Düsseldorf hieß es am 9. Mai 2011 sinngemäß: Wir fragen nicht, wo der mächtigste Gegner steckt, wir arbeiten dort, wo es den geringsten Widerstand und das höchste Maß an Unterstützung gibt. Dieser Slogan ist sicher richtig, solange man auf niedrigem Level agiert. Doch sobald größere Unternehmen Felberscher „Machart“ zu Konkurrenten werden, dürfte sich die Lage schlagartig ändern. Dann wird – man verzeihe mir die schändliche Sequenz – zurückgeschossen. Wie er die derzeitigen „Weltwagenlenker“ von ihren Zügeln, sprich: von Macht und Vermögen zu trennen gedenkt, sagt Felber nicht – zumindest nicht explizit. Scheut er das Spiel mit dem Feuer? Setzt er stattdessen auf physische Vergänglichkeit und die strikte Durchsetzung seiner Erbrechtsreform? Ja – genau diesen Eindruck vermittelte Felber am 9. Mai. Was sei schon dabei, wenn man Tote besteuere, fragte er lächelnd. Und machte dabei deutlich, dass nix vererbt werde (in seinem Buch schlägt Felber ein maximales Erbe an Finanz-und Immobilienvermögen von 500.000 € vor). Glaubt der Autor wirklich, dass ein solcher Mechanismus bei alten Machtverhältnissen einfach so – von einer zur anderen Generation – durchsetzbar ist? Bisher vermochten nur Revolutionen das Oberste nach unten und das Untere nach oben zu kehren. Warum sollte das künftig anders sein? Felber meidet auch manche Begrifflichkeit. Die Weltreligionen, der Rheinische Kapitalismus, die öko-soziale Marktwirtschaft, der Kommunismus, ja selbst der demokratische Sozialismus kommen nicht vor bei ihm – folglich auch keinerlei Abgrenzungsversuche in diese wie jene Richtung.

Bleibt die Frage, wo und wie diese Kraft entsteht, die den Paradigmenwechsel quasi zwingend, wenn nicht zum Selbstläufer macht. In dem derzeit dominierenden Mix aus Konsum, Lifestyle, Desinteresse und Phlegma – meine ich – findet sie kaum Wurzeln. Felber sieht das offenbar anders. Ja er wartet sogar mit überzeugenden Beispielen auf. Das sind Privatpersonen, Attac-Aktivisten und kleine Unternehmen, die Felbers Ideale z. T. um den Preis ihrer Existenz aufs Schild heben. Hut ab! sage ich da. Doch wie lange hält das im gnadenlosen Wettbewerb mit den alten Mächten? Dazu schweigt der Autor, glaubt aber dennoch, dass die Idee sich durchsetzen könnte. Sie lebe – sagt er – durch ihre Ausstrahlung, und sie zehre von drei Katalysatoren: von der Tatsache, dass es eine Vision gebe, von guten Instrumenten und Konzepten sowie einer wachsenden Community. Felber setzt auf die Kraft und Unfehlbarkeit der Demokratie, die sich (Gottseidank!) nicht abschaffen, wohl aber in der Substanz und nach demokratischen Regeln verändern könne. Aber macht es sich Felber nicht zu leicht, wenn er diese durchaus begrüßenswerte, offenbar aber nur sehr langsam wachsende Bewegung zur ersten Etappe des großen Umbruchs erklärt? Ist es mit der Mund-zu-Mund-Propaganda, mit Vorträgen und kleinen Netzwerken – engagiert und vernunftgesteuert – tatsächlich getan, und wenn ja: auf welcher Zeitachse? Wird es nicht zusätzlicher Notlagen, Spannungen, Zuspitzungen und Kontroversen bedürfen, um diesen Wende-Prozess wirklich loszutreten – vor allem, wenn er die ganze Welt betrifft, ja – wie Felber selbst sagt – betreffen muss?

Ein wirklich wichtiges Buch für all diejenigen, die sich für eine neue, zukunftsfähige Welt interessieren !

Ulrich Scharfenorth

 

Im Detail formuliert Christian Felber:

S. 12: Adam Schmith hoffte, dass eine „unsichtbare Hand“ die Egoismen der Einzelakteure zum größtmöglichen Wohl aller lenken würde …. Bis heute bildet diese Annahme den Legitimationskern der kapitalistischen Marktwirtschaft. Aus meiner Sicht ist diese Annahme jedoch ein Mythos und grundlegend falsch; Konkurrenz spornt zweifellos zu so mancher Leistung an, aber sie richtet einen ungemein größeren Schaden an dr Gesellschaft und an den Beziehungen zwischen den Menschen an. Wenn Menschen als oberstes Ziel ihren eigenen Vorteil anstreben und gegeneinander agieren, lernen sie, andere zu übervorteilen und dies als richtig und normal zu betrachten. Wenn wir jedoch andere übervorteilen, dann behandeln wir sie nicht als gleichwertige Menschen: Wir verletzen ihre Würde.

S. 17: Keiner der nobelpreisgekrönten Ökonomen hat jemals mit einer Studie bewiesen, dass „Wettbewerb“ die beste Methode ist, die wir kennen. Das Fundament der ökonomischen Wissenschaft ist eine pure Behauptung, die von der großen Mehrheit der Ökonomen geglaubt wird. Und auf diesem Glauben beruhen Kapitalismus und Marktwirtschaft, die seit 250 Jahren das weltweit dominante Wirtschaftsmodel sind.

S. 18: Das Ziel unseres Tuns sollte nicht sein, dass wir besser sind als jemand anderer, sondern dass wir unsere Sache gut machen, weil wir sie gerne machen und für sinnvoll halten. Daraus sollten wir unseren Selbstwert beziehen …. Sich besser zu fühlen, weil andere schlechter sind, ist krank.

S. 24: Die hier vorgestellte Alternative beruht auf der Korrektur der fundamentalen und katastrophalen kulturellen Fehlentwicklung, dass wir in der Wirtschaft die gegenteiligen Werte fördern, die unsere Beziehungen gelingen lassen: In Zukunft sollen auch in den Wirtschaftsbeziehungen die humanen Grundwerte, die das menschliche und gemeinschaftliche Leben gelingen lassen, gefördert und belohnt werden.

S. 28/35: Da das neue Ziel aller Unternehmen das Gemeinwohl ist, muss dieses konsequenterweise auch in der unternehmerischen Hauptbilanz gemessen werden: in der Gemeinwohlbilanz. Die bisherige Hauptbilanz, die Finanzbilanz, wird zur Nebenbilanz …. Die Gemeinwohlbilanz könnte … auch die gesetzlichen Mindeststandards beinhalten – zum Beispiel zu Umweltstandards, Regelarbeitszeit, Mitbestimmungsrechten, Mindest- und Höchsteinkommen. Vor allem aber müsste sie aus Kriterien bestehen, bei deren Erreichen ein Unternehmen Gemeinwohlpunkte erhält, die ihm das Leben erleichtern …. Je mehr Gemeinwohlpunkte ein Unternehmen hat, desto mehr rechtliche Vorteile kann es in Anspruch nehmen (niedriger Mehrwertsteuersatz, niedriger Zolltarif, günstigerer Kredit bei der Demokratischen Bank etc.) …. Die Finanzbilanz bleibt weiterhin bestehen, weil es in der Gemeinwohlökonomie nach wie vor Geld und Produktpreise gibt; sie wird aber zur Nebenbilanz. Der Gewinn wird vom Zweck zum Mittel …. Da Gewinne sowohl nützlich als auch schädlich sein können, werde sie differenziert auf bestimmte Verwendungen begrenzt, um das „Überschießen“ in den Kapitalismus – die Akkumulation um der Akkumulation willen – in eine sinnvollere Richtung umzulenken. Verwendungen von Überschüssen, die zu Fressübernahmen, Machtdemonstrationen, Ungleichheit, Umweltzerstörung und Krisen führen, müssen sogar unterbunden werden, während Überschüsse, die zur Schaffung von sozialem und ökologischen Mehrwert, für sinnvolle Investitionen und Kooperationen – kurz: zur Steuerung des Gemeinwohls – verwendet werden, weiterhin wünschenswert sind.

S. 41: Die von der „Gewinnbeschränkung“ hauptsächlich Betroffenen wären Aktiengesellschaften. Diese Unternehmensform soll es … in Zukunft nicht mehr geben …. Heute haften immer öfter die SteuerzahlerInnen für die Aktionäre, zum Beispiel wenn marode Banken oder Autofirmen gerettet werden. Anstatt von den EigentümerInnen einen Nachschuss einzufordern, werden diese von den SteuerzahlerInnen für ihre schlechte Performance und die mangelnde Verantwortung belohnt. Das fördert die Tendenz von Aktiengesellschaften zu besonderer Rücksichtslosigkeit, Verantwortungslosigkeit und Untergrabung der Demokratie.

S. 42: Unternehmen sollen ihr Einkommen ausschließlich aus dem Zweck gewinnen, dem sie gewidmet sind, und nicht aus Finanzgeschäften.

S. 50: „Globale Finanzmärkte“ sind bei näherer Betrachtung ein Widerspruch in sich: Im liberalisierten Markt tendieren Banken dazu, eine global wettbewerbsfähige Größe anzustreben. Dadurch werden sie aber zwingend „systemrelevant“, wodurch eine fundamentale Marktsregel, der Konkurs, nicht mehr auf sie angewendet werden kann. Sie sind zu ewigem Leben verdammt (too big to fail – zu groß, um stürzen zu dürfen). Damit ist der faire Wettbewerb vorbei.

S. 48: Im System der Gemeinwohl-Ökonomie dürfen sich alle Menschen pro Dekade ihres Berufslebens ein Jahr Auszeit nehmen und anderweitig verwirklichen. Bei vierzig Arbeitsjahren wären das vier Freijahre pro Person. Aus heutiger Sicht würde das den Arbeitsmarkt um rund zehn Prozent entlasten; die heutige EU-Arbeitslosigkeit wäre allein dadurch beseitigt.

S. 52: (Wichtiger Bestandteil der neuen Ökonomie ist die Demokratische Bank). Sie ist dem Gemeinwohl verpflichtet und nicht gewinnorientiert …. Insbesondere sollen regionale Wirtschaftskreisläufe und sozial wie ökologisch nachhaltige Investitionen gefördert werden. Sie erbringt u. a. folgende Kernleistungen u. a.: Kostenloses Girokonto für alle WohnsitzbürgerInnen, unbeschränkte Garantie der Spareinlagen, kostengünstige Kredite für Privathaushalte und Unternehmen bei ökonomischer Bonität und Schaffung von ökologischem und sozialem Mehrwert durch die Investition …. Die Demokratische Bank ist subsidiär aufgebaut. Die große Mehrheit aller Kredite wird auf kommunaler Ebene vergeben. Die Demokratischen Banken entscheiden autonom. Auf der kommunalen Ebene wird der Vorstand ebenso direktdemokratisch gewählt wie der Aufsichtsrat („Demokratischer Bankenrat“), von dem er kontrolliert wird. Der Demokratische Bankenrat besteht aus VertreterInnen der Beschäftigten, KonsumentInnen, SchuldnerInnen, regionalen Kleinbetrieben (KMU) sowie einer Gender-Beauftragten und einer ZukunftsanwältIn …. Alle Gremien der Demokratischen Bank tagen öffentlich.

S.62: Das Prinzip der Gewaltenteilung besagt im Kern: Die Macht im Staat muss aufgeteilt werden (zwischen Legislative, Exekutive und Judikative), damit keine Instanz im Verhältnis zur anderen zu mächtig werden kann. Heute ist es dringend nötig, dieses Prinzip auf die Wirtschaft zu übertragen, weil dort die Macht so stark konzentriert ist, dass die übermäßige (Eigentums-)Freiheit der einen die Freiheit aller massiv gefährdet. Zur Trennung der Gewalten schlage ich so genannte „negative Rückkopplungen“ vor …. Kapitalismus ist ein positiv rückgekoppeltes System, weil es mit fortschreitendem Reicherwerden und Größerwerden für Individuen und Unternehmen immer leichter wird, noch reicher und größer zu werden. Die erste Million ist die schwierigste. Die zweite Million geht schon viel einfacher. Bei der 101. Million weiß man oft schon gar nicht mehr, was man für diese noch geleistet hat, und wer tausend Millionen beisammen hat, muss bei durchschnittlicher Verzinsung täglich 220.000 Euro ausgeben, um nicht reicher zu werden. Negative Rückkopplung hieße, dass die erste Million die am leichtesten zu erwerbende ist und dadurch für die große Mehrheit erreichbar wird, während das zusätzliche Reicher – oder Größerwerden immer schwieriger wird, bis es schließlich gar nicht mehr weiter geht. Folgende „Rückkopplungen“ könnten das bewirken: die relative Begrenzung der Einkommensungleichheit, die Begrenzung des Rechts auf Aneignung von Privatvermögen, die Begrenzung der Größe von Unternehmen in Privatbesitz und die Begrenzung des Erbrechts.

S. 64: Da es in der Gemeinwohl-Ökonomie keine Kapitaleinkommen mehr gibt, stellt sich das Problem der Addition von Arbeits- und Kapitaleinkommen nicht. Mieteinkommen und Schenkungen werden dem Personeneinkommen hinzugerechnet und dieses in Summe mit dem Faktor 20 des Mindestlohnes begrenzt …. Das Verstecken von Einkommen und Vermögen vor dem Finanzamt ist nicht mehr möglich, da es im Wesentlichen nur noch die Demokratische Bank gibt und diese – wie alle anderen Banken auch – sämtliche Einkommen automatisch dem Finanzmarkt meldet …. Deshalb schlage ich vor, dass neben den Einkommensungleichheiten auch das Eigentumsrecht (Privatvermögen) mit zehn Millionen Euro begrenzt werden sollte.

S. 78: Im neoliberalen Kapitalismus wird Eigentumsfreiheit als eine der höchsten Freiheiten angesehen und deshalb absolut gestellt. Doch Gleichheit im Sinne des gleichen Rechts aller Menschen auf Leben, Chancen und Freiheiten ist ein höherer Wert als Freiheit, weil die zu große Freiheit der einen die Freiheit anderer gefährdet …. Gleichheit ist deshalb ein absolutes Prinzip, Freiheit ein relatives …. Für Eigentum bedeutet das, dass alle Menschen das gleiche Recht auf ein begrenztes (für ein gutes Leben nötiges) Eigentum erhalten sollten, aber niemand ein unbegrenztes Eigentumsrecht.

S. 66: Deshalb sollten große Unternehmen in dem Maße, in dem sie größer werden, demokratisiert und vergesellschaftet werden. Das könnte so aussehen: Ab 250 Beschäftigte erhalten die Belegschaft und die Gesellschaft 25% der Stimmrechte; ab 500 Beschäftigten erhalten sie 50% der Stimmrechte; ab 1.000 Beschäftigten zwei Drittel der Stimmrechte; ab 5.000 Beschäftigten gehen die Unternehmen zur Gänze in das Eigentum der Beschäftigten und der Allgemeinheit über.

S. 68: Wäre es nicht gerechter und leistungsfördernder, wenn alle unter gleichen Bedingungen starten könnten? Bis 2001 kamen in Deutschland nur fünfzehn Prozent der Erwachsenen in den Genuss einer Schenkung oder Hinterlassung. 85% sind also faktisch enterbt. In der Gemeinwohl-Ökonomie würde es gerechter zugehen: Das Erbrecht bei Finanz- und Immobilienvermögen wird zum Beispiel mit 500.000 Euro pro Person begrenzt (Startwert). Darüber hinausgehende Erbvermögen gehen in das Eigentum der Allgemeinheit über und werden zu gleichen Teilen an die Nachkommen der nächsten Generation verteilt („demokratische Mitgift“). Das vererbte Vermögen summiert sich in Deutschland jährlich auf 130-200 Milliarden Euro – ungefähr ein Fünfzigstel des Gesamtvermögens von 8,1 Billionen Euro. Würde dieses zu gleichen Teilen auf alle neu in das Erwerbsleben Eintretenden verteilt, wären das bis zu 200.000 Euro pro Person – kein schlechtes Startkapital!

S. 70: (Vererbung von Unternehmen). In der Gemeinwohl-Ökonomie ist das Ziel, dass Unternehmen von möglichst vielen, wenn nicht allen Personen besessen werden. Deshalb werden demokratische Unternehmen auch gefördert, und es ist anzunehmen, dass es einen wachsenden Anteil von GenossInnenschaften oder ähnlichen Unternehmensrechtsformen geben wird. In diesen Fällen entfällt die Erbschaftsproblematik: Genossenschaftsanteile sind in der Regel sehr klein. Mit Aktiengesellschaften gäbe es ebenfalls kein Problem …. Diese Rechtsform soll es in der Gemeinwohl-Ökonomie ohnehin nicht mehr geben …. Wirklich knifflig sind damit nur die Familienunternehmen. Als Kompromiss zwischen Chancengleichheit und Familientradition könnte das Erbrecht hier so gestaltet werden, dass Familienmitglieder Unternehmensanteile im Wert von maximal zehn Millionen Euro erben dürfen (Startwert). Die darüber hinausgehenden Anteile gehen in das kollektive Eigentum der Beschäftigten über, die das Unternehmen mittragen und zum Teil mit aufgebaut haben … oder an ausgewählte Nichtfamilienmitglieder, die Verantwortung im Unternehmen zu übernehmen bereit sind. Hier ist der Anteil wiederum mit einer halben Million Euro begrenzt und würde als „demokratische Mitgift“ gewertet.

S.82: Immer mehr Menschen hätten die Möglichkeit, Unternehmen zu gründen, weil sie mit einem ansehnlichen Startkapital ins Berufsleben starten: Sie können sich sofort an Unternehmen beteiligen oder selbst neue Unternehmen gründen. …. Die gerechtere Verteilung von Kapital bewirkt, dass sich die Risikobereitschaft gleichmäßiger über die Bevölkerung verteilt. Das Gemeinwesen ist dann weniger auf schillernde Persönlichkeiten angewiesen, die zu herausragenden LeistungsträgerInnen stilisiert werden, obwohl sie ihre Vermögen zum Teil bloß geerbt und nicht selbst erarbeitet oder durch positive Rückkopplungseffekte auf Kosten anderer erworben haben.

S.: 76: Neben einer Mehrheit von privaten Kleinunternehmern und einer kleinen Zahl von Großunternehmen im gemischten Eigentum soll es in der Gemeinwohl-Ökonomie – so wie in der sozialen Marktwirtschaft – eine dritte Kategorie von Eigentum geben: öffentliches Eigentum …. Mein Vorschlag ist nicht, dass wir zurückkehren zu staatlichen Versorgungsunternehmen, wie wir sie kannten, sondern dass essenzielle Wirtschaftszweige direkt von der Bevölkerung kontrolliert und gesteuert werden …. Davon inspiriert könnten „moderne“ oder „demokratische Almenden“ die Bahn oder die Post sein, Universitäten, Stadtwerke, Kindergärten oder eben die Banken …. Im kalifornischen Energieversorgungsunternehmen Smud, das in der Hauptstadt Sacramento und rundherum 1,5 Millionen Menschen mit Strom versorgt, wird das Leitungsgremium direktdemokratisch gewählt. Dieses muss sich deshalb nach den Prioritäten der Bevölkerung richten, was ihm exzellent gelingt. Smud ist bei den Präferenzen der Bevölkerung – Umweltschutz und hochwertiger Service – konstant an der Spitze der USA und weit über dem gesetzlichen Mindeststandard in Kalifornien. In den wichtigsten Fragen dürfen die EigentümerInnen selbst entscheiden. Diese unternehmensinterne direkte Demokratie wurde bisher einmal angewandt: 1989 stellte Smud den BürgerInnen-EigentümerInnen die Frage, ob das einzige betriebseigene Atomkraftwerk weiterlaufen oder ein neuer Weg in Richtung erneuerbare Energien eingeschlagen werden solle. Die Mehrheit der Versorgten entschied sich für die Einfriedung des Atomkraftwerkes und die massive Förderung grüner Energiequellen. Der Erfolg dieser „souveränen“ Entscheidung ist heute gut sichtbar.

S. 79: Der häufigste und einfachste Beweggrund, einem Unternehmen beizutreten oder es zu gründen, liegt darin, dass Menschen ein Einkommen benötigen. Der Erwerbszwang ist in der Gemeinwohl-Ökonomie nicht abgeschafft, zumal es neben der „demokratischen Mitgift“ und den vier Freijahren nur eine bescheidene Grundsicherung geben wird, die zwar für das Überleben ausreicht, aber nicht zu einem „guten Leben“. Wer ein gutes Leben haben möchte, muss dafür etwas tun. Der Rahmen wird aber ein ganz anderer und für das Finden einer Erwerbsarbeit viel günstiger sein als heute: Denn die Menschen werden in der Gemeinwohl-Ökonomie a) weniger gestresst und überfordert sein, b) mehr Sinn finden, c) mehr mitgestalten und mitentscheiden können, weil die Rollen von „UnternehmerInnen“ und „ArbeiterInnen“ zunehmend verschwimmen; und d) werden die Unternehmen nicht zueinander in Kontrakurrenz stehen und höhere Gewinne erzielen müssen als die anderen, weshalb sie nicht um die Wette Arbeitsplätze abbauen werden.

S. 84: (Wir wissen), warum die Konkurrenz gar so fest auf dem Thron unseres Wertesystems sitzt: Viele, wahrscheinlich die Mehrheit von uns, sind nicht oder schwach intrinsisch (aus ihrem eigenen Inneren heraus) motiviert, weil sie sich nicht kennen und in sich nichts Sinnvolles erfahren, das sie zu Höchstleistungen ohne jede Konkurrenz treiben könnte. Sie sind innerlich leer und können Sinn nur von außen beziehen. Und wenn die Außenwelt unentwegt schreit: Geld, Karriere, Erfolg und Macht sind die „Werte“, auf die es ankommt, dann „verinnerlichen“ viele von uns diese Werte, auch wenn sie noch keinen Menschen glücklich gemacht haben …. Es reicht schon aus, dass eine Kultur „falsche“ Werte wie Konkurrenz, Profitstreben oder Karrieredenken von Generation zu Generation tradiert und heute noch die Mehrheit glaubt, das Menschen von Natur aus so seien, bloß weil sich die Mehrheit der GenerationskollegInnen, die dazu erzogen wurden, tatsächlich so verhält …. Kinder, die nicht gelernt haben, ihre eigenen Gefühle, Bedürfnisse und Gedanken wahrzunehmen, sondern stattdessen für Gehorsam und Leistung mit „Liebe“ belohnt zu werden, werden ihr Leben lang weiterversuchen, durch Leistung die Liebe anderer zu erheischen. Sie werden nicht oder nur halbherzig hinterfragen, was sie da eigentlich leisten, und anstelle von elterlicher Liebe – bald Geld für ihre Leistungen annehmen, bis sie fast alles nur noch für materielle Entlohnung machen.

S. 87: Eine der wichtigsten Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für das Gedeihen der Gemeinwohl-Demokratie ist die Erziehung zu neuen Werten, die Sensibilisierung für das eigene Menschsein, die Einübung von sozialer und kommunikativer Kompetenz und die Vermittlung von Achtung vor der Natur. Deshalb schlage ich fünf Pflichtgegenstände für alle Schulstufen vor, die mir allesamt wichtiger erscheinen als die meisten der gegenwärtigen Unterrichtsfächer …: Gefühlskunde, Wertekunde, Kommunikationskunde, Demokratiekunde und Naturerfahrenskunde.

S. 91: Obwohl wir formal in Demokratien leben, empfinden immer weniger Menschen, dass sie das gesellschaftliche Leben tatsächlich mitbestimmen können. Immer häufiger treffen Regierungen Entscheidungen, welche den Bedürfnissen und Interessen der Mehrheit der Bevölkerung zuwiderlaufen: Die Deregulierung der Finanzmärkte, die Nichtzerschlagung systemrelevanter Banken, die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen wie Trinkwasser- und Energieversorger, Bahn, Post oder Banken; das Lostreten globaler Standortkonkurrenz durch „Freihandelsabkommen“, die Liberalisierung des Kapitalverkehrs bis in die letzte Steueroase; das Zulassen der Einkommensungleichheit bis zum 300.000fachen; die Durchsetzung von Gentechnik in der Landwirtschaft; die Legalisierung von Patenten auf Lebewesen; der Euratom-Vertrag; die Aufrüstungsverpflichtung im EU-Lissabonvertrag; die brutale Repression der DemonstrantInnen beim Klimagipfel in Kopenhagen oder der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen den Irak: Bei direktdemokratischen Verfahren wäre in den meisten Ländern vermutlich keine dieser Entscheidungen mehrheitsfähig.

S. 92: Das Problem der sozialen Intimität zwischen Politik und Wirtschaft wird umso brennender, je reicher und mächtiger die ökonomischen Eliten werden. Das zeigt, das ökonomische Eliten an sich das Problem sind – und erhärtet die Forderung nach Begrenzung der Ungleichheiten …. Diese Eliten haben auch einen überproportionalen Einfluss auf die maßgeblichen Medien: durch persönliche Kontakte mit leitenden JournalisInnen, die diesen Kontakt suchen und pflegen, um sich wertvolle Informationsquellen zu sichern; durch das Teilen von Werten mit den medialen Eliten (die Mächtigen sind, wenn es um den Machterhalt geht, hochgradig kooperativ); durch Werbeschaltungen, von denen die Medien ökonomisch abhänging sind; und in Form direkter Kontrolle über Eigentum: Viele Zeitungen gehören heute Banken, Finanzinvestoren und sogar Rüstungskonzernen: Das darf nicht sein. Auch der wissenschaftliche Mainstream folgt mitunter der Meinung der Mächtigen …, weil viele Intellektuelle aus gutem Hause kommen und Partei für die eigene „Klasse“ ergreifen und die Universitäten im Zuge der Liberalisierung immer mehr auf Drittmittel aus der Wirtschaft angewiesen sind …. Think-Tanks arbeiten für diejenigen, die sie bezahlen. Das sind in der Regel einflussreiche ökonomische Kreise …. Parteien werden von Unternehmen … finanziert – mit entsprechenden Ergebnissen …. Die Demokratie ist infolge dieser Bedingungen und Entwicklungen in einer schweren Krise. Wenn wir die ökonomischen Ungleichheiten unangetastet lassen und „Demokratie“ auf ein Wahlkreuz alle vier oder fünf Jahre reduzieren, dann schafft sie sich von selbst ab. Um lebendige Demokratie zu erreichen, muss es … zu einem historischen Ausbau demokratischer Beteiligungs- und Kontrollrechte kommen, und müssen möglichst viele Menschen auf möglichst vielen Ebenen mitdiskutieren, mitentscheiden und mitgestalten können – auch in der Zeit zwischen den Parlamantswahlen und in demokratisierten Bereichen des sozioökonomischen Lebens.

S.97/101: (Direkte Demokratie bedeutet), dass die souveräne Bevölkerung ein Gesetz, das ihr Missfallen erregt, mit Stimmenmehrheit ablehnen kann. Und zum anderen, dass sie selbst ein Gesetz, das nicht im „Angebot“ der Regierung enthalten ist, auf Schiene bringen und beschließen kann. Für beide Rechte kann dasselbe Verfahren angewendet werden: die von einer wachsenden Zahl von Organisationen geforderte dreistufige direkte Demokratie. Erste Stufe: Findet ein Gesetzesvorschlag aus der Mitte der Bevölkerung eine ausreichende Zahl von UnterstützerInnen, zum Beispiel ein halbes Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung, wird ein bundesweites Volksbegehren eingeleitet. Zweite Stufe: Überwindet dieses Volksbegehren – die Sammlung von Unterschriften im ganzen Land in den Wahllokalen – eine weitere und größere Hürde, wie zum Beispiel drei Prozent, kommt es zur verpflichtenden Volksabstimmung. Die dritte Stufe gibt es derzeit nur in der Schweiz. Dort sind die Bürgerinnen und Bürger der eigentliche Souverän. In Deutschland, Österreich, Italien und den meisten anderen Ländern hat das Parlament das letzte Wort. Und es kann auch gegen den Willen der Bevölkerung Atomkraftwerke bauen, dem Kapital den Fluchtweg in die Steueroasen öffnen, Patente auf Lebewesen legalisieren oder an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg teilnehmen …. In Deutschland wurde das Instrument des Volksentscheids in den letzten 15 Jahren in den meisten Bundesländern sowie auf kommunaler Ebene eingeführt, in Bayern gibt es seit 1995 die Bürgerentscheide …. Alle zeitgemäßen Initiativen für direkte Demokratie fordern …, dass weder die Demokratie selbst noch schon erstrittene Grund-, Menschen- und Minderheitenrechte durch direkte Demokratie infrage gestellt werden dürfen …. In Zeiten, in denen die Regierungen immer mehr von den ökonomischen Eliten vereinnahmt werden („Postdemokratie“) ist die direkte Demokratie ein Gebot der Stunde. Dass der Souverän dies will, sollte eigentlich Grund genug sein: 75% der CSU/CDU-Getreuen sind für direkte Demokratie und 81 % der SPD-Fans.

S.102/105: Der nächste Schritt ist die Trennung der Gewalt, welche die Verfassung schreibt, von derjenigen, die durch die Verfassung eingesetzt wird. In der Politikwissenschaft versucht man die „verfassungsgebende Gewalt“ (Souverän) von der „verfassten Gewalt“ (Parlament, Regierung) zu trennen. Der Gedanke dahinter leuchtet ein: Wenn die demokratischen Institutionen die Spielregeln des Regierens selbst machen dürfen, dann werden sie dem Volk möglichst wenig Rechte einräumen, um selbst die ganze Macht zu behalten. Schreibt hingegen das souveräne Volk die Verfassung, dann wird es sich sehr wahrscheinlich das letzte Wort sowie umfassende Mitbestimmungs- und Kontrollrechte reservieren …. Dieser Punkt ist besonders vor dem Hintergrund der Entwicklung der Europäischen Union relevant. Bisher wurden die Grundlagenverträge stets von den Regierungen geschrieben. Die Bevölkerung war vom Entwicklungsprozess der neuen Verträge ausgeschlossen und durfte auch über das Endergebnis nur selten abstimmen. Diese Praxis wird in dem Maße problematischer, in dem die EU immer mehr Kompetenzen übertragen bekommt und staatsähnlichen Charakter annimmt. Spätestens aber bei der sogenannten „EU-Verfassung“ hätten die Regierungen die Souveräne ans Ruder lassen müssen …. Der Vorschlag von Attac lautet: Aus der Mitte der Bevölkerung soll eine demokratische Versammlung gewählt werden, die sich aus VertreterInnen aller Mitgliedstaaten und mindestens 50% Frauen zusammensetzt und den neuen Grundlagenvertrag, heiße er nun Verfassung oder nicht, schreibt. Üblicherweise wird eine solche Versammlung Konvent genannt …. Ein demokratisch entstandener Grundlagenvertrag würde nicht nur das schmerzlich vermisste Vertrauen der BürgerInnen in die EU herstellen, er würde das Projekt der Europäischen Integration auch auf einen anderen inhaltlichen Kurs bringen …. Die BürgerInnen würden vieles von dem, was in den jetzigen Verträgen steht – Binnenmarktstrategie, Wettbewerbsimperativ, Ausschreibungszwang, blinder Freihandel oder schrankenloser Kapitalverkehr -, nie und nimmer hineinschreiben. Dafür würden die Grundrechte an höchster Stelle stehen und einen gedeihlichen Rahmen nicht zuletzt für die Gemeinwohl-Ökonomie bilden.

S. 116: In der Gemeinwohl-Ökonomie würden fair gehandelte Produkte so lange gegenüber unfairen in Vorteil gestellt, bis nach einer mehrjährigen Übergangszeit nur noch faire Produkte in den Regalen stünden. Das ließe sich mit einem jährlichen Zollaufschlag von beispielsweise zehn Prozent auf unfaire Produkte erreichen.

S. 118: Bank ist nicht gleich Bank. Schon heute haben sich einige Banken dem Dienst am Gemeinwohl verschrieben. Die deutsche Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken (GLS), eine Genossenschaftsbank, wurde 1974 von Anthroposophen gegründet. Sie ist die erste Universalbank in Deutschland, die nach sozialökologischen Grundsätzen arbeitet …. Als Ausschlusskriterien gelten für das gesamte Bankgeschäft u. a. Alkohol, Atomenergie, Embryonenforschung, grüne Gentechnik, Rüstung, Tabak, Kinderarbeit und Tierversuche …. Kredite werden grundsätzlich nicht weiterverkauft, ebenso wenig gehören spekulative Geschäfte zu ihrem Geschäftsmodell.

S. 128/131: Das grundlegende Unbehagen mit der Wirtschaft, die strukturell auf Egoismus, Kontrakurrenz, Besitzorientierung, Wachstumszwang und Naturzerstörung beruht, kann nur durch einen völlig neuen Ansatz ersetzt werden. Und dieser muss langsam in die Gesellschaft und in das kollektive Bewusstsein einsickern – durch intensive öffentliche Diskussion und Wertebildung  …. Nichts ist mächtiger als die Idee, deren Zeit gekommen ist. Anstatt uns also von der behaupteten Unerreichbarkeit einer attraktiven Alternative entmutigen zu lassen, sollten wir selbst mithelfen, sie weiter auszuarbeiten, bekanntzumachen und schließlich durchzusetzen …. Es reicht aus, dass alle, die eine Änderung des Status quo wünschen, ihren kleinen Beitrag leisten – sofort würde eine mächtige soziale Bewegung entstehen. Deshalb ist es nur konsequent, dass alle, die die Gemeinwohl-Ökonomie befürworten, sie auch ins Gespräch bringen, bewerben und einfordern …. Sobald der Druck auf Parlament und Regierung groß genug geworden ist, könnten diese jederzeit die Wahl zum Gemeinwohlkonvent ansetzen. Dieser könnte sich aus 100 bis 200 Personen aus allen Gesellschaftsbereichen zusammensetzen, deren Auftrag es ist, jene Kriterien zu finden, mit denen der Beitrag von Unternehmen zum allgemeinen Wohl am besten gemessen werden kann …. Erreichen Gemeinwohlziele und –bilanz die Mehrheit, werden sie in der Verfassung verankert und können nur noch durch den Souverän selbst abgeändert werden …. Sobald die Ergebnisse per Volksabstimmung angenommen und damit Gesetz geworden sind, beginnt die Phase der Umsetzung. Hier ist es wichtig, niemanden zu überfallen und zu überfordern. Damit Unternehmen langfristig planen und ihre „Umwandlung“ vorbereiten können, könnte die Gemeinwohlbilanz zwei Jahre lang „trocken“ erstellt werden, das heißt noch ohne rechtliche Verbindlichkeit. Und auch nach dieser Einübungsphase geht es nicht ruckartig los. Die Mindeststandards könnten beispielsweise in Fünf- bis Zehn-Jahres-Schritten eingeführt und die Gemeinwohlpunkte anfangs in geringen Maße ausgegeben und später gesteigert werden …. Die Regelarbeitszeit sinkt nicht schlagartig von 38,5 auf 25 Wochenstunden, sondern in einem Übergangszeitraum von zehn bis fünfzehn Jahren …. Ein alternativer, vielleicht der konsequentere Weg führt über die direkte Demokratie. Sobald diese auch auf Bundesebene in Deutschland, Österreich, Italien und vielleicht auch auf der EU-Ebene erstritten ist, kann eine breite BürgerInnenbewegung für die Wahl des Gemeinwohlkonvents eintreten und diesen im Erfolgsfall erzwingen – ohne auf die Initiative der Regierung angewiesen zu sein.

S. 137: Mir ist keine Geistesschule oder Weltreligion bekannt, die uns zur Konkurrenz oder zum Egoismus erziehen wollte. Umso erstaunlicher ist es, dass das westliche Wirtschaftssystem auf Werten aufbaut, die von keiner Religion oder Ethik empfohlen werden.

S. 141: Würden wir es heute den Unternehmen freistellen, wie sie sich verhalten, würden sich zwar einige für Gemeinwohlorientierung entscheiden, andere aber nicht, weil viele von uns asoziale Werte wie Egoismus und Konkurrenzverhalten verinnerlicht haben und diese leben würden. Und sie würden sich durchsetzen, weil in der gegenwärtigen Systemdynamik das Unternehmen mit dem höchsten Finanzgewinn den Wettbewerb gewinnt! Das lässt sich nur durch „weiche“ Werte-Bildung, Anreizmechanismen und „harte“ Gesetze zusammen umsteuern.

S. 145: Unter den gegenwärtigen Bedingungen des Freihandels und des freien Kapitalverkehrs müsste die Gemeinwohl-Ökonomie weltweit eingeführt werden, weil andernfalls die Dumpingkonkurrenz die Gemeinwohlbetriebe vermutlich vernichten würde.

S. 146: Das Ziel der unternehmerischen Tätigkeit und der unternehmerische Erfolg werden nicht mehr in Geld gemessen, sondern in Gemeinwohlpunkten …. Folglich wird es – hoffentlich – ein dauerhaftes Wachstum an Gemeinwohl geben, aber nicht notwendigerweise eines an Geld …. Die Hauptursache des (heutigen) Wirtschaftswachstums … liegt meines Erachtens darin, dass die zentralen Erfolgsindikatoren auf makroökonomischer und mikroökonomischer Ebene in Geld gemessen werden. Geld bildet jedoch nicht den Nutzwert von Gütern und Leistungen ab, sondern lediglich ihren Tauschwert …. Weder ein Zuwachs des Bruttoinlansproduktes (BIP) noch ein höherer Unternehmensgewinn sagen etwas über die Entwicklung der Nutzwerte aus.

 

Die widerliche Aura des Militarismus (1)

Wieder einmal sind es die Hardliner der „Rheinischen Post“, die den Afghanistan-Feldzug beweihräuchern. Dass selbst Experten diesen Krieg für verloren und nur 30% der Deutschen an ihm fest halten, interessiert sie nicht. Im Gegenteil: Die Reise des eigens nach Kabul entsandten Helmut Michaelis muss sich lohnen – ganz gleich, ob das, was der dort recherchiert, repräsentativ ist oder embedded aus den Gefälligkeitsquellen der Brandstifter stammt. Diesmal drückt uns Michaelis ein Interview mit David Petraeus aufs Auge, und genau der ist es auch, der uns uniformiert und ordensgeschmückt aus dem Blatt heraus angrinst http://nachrichten.rp-online.de/politik/petraeus-druck-auf-taliban-wirkt-1.314206.

Damit nicht genug. Die RP hat die einzelnen brustbildenden Abzeichen und Insignien detailliert erklärt – sicher, um die Glaubwürdigkeit des Interviewpartners zu befestigen. Der umgebende Text aber sagt nichts, nichts über die wirkliche Lage am Hindukusch. Solch Wertung mag angesichts fehlender eigener Recherchen anmaßend wirken. Doch das Gegenteil ist der Fall. Denn wenn – wie hier – ausschließlich von Fortschritten bei der Intervention, vom erfolgreichen Aufbau afghanischer Sicherheitskräfte und realen Chancen für die Übergabe der Macht an Karsai & Co gesprochen wird, spiegelt das nicht nur Wunschdenken – es ist schlichtweg falsch. Und wenn Michaelis dümmlich anfragt, ob eine Pflanzenkrankheit bei der Bekämpfung des Drogenanbaus helfe, hat man die Leserei doppelt satt. Setzen sie Amis Mikroben ein, oder fault’s von selbst? fragt man sich. Petraeus klärt das nicht auf, meint nur, die ISAF habe kein Rauschgift-Mandat. Das andere aber, das zur Transition (der Machtübergabe an die afghanischen Galionsfiguren) nehme er verdammt ernst, und es reiche bis (mindestens) 2014.

Afghanistan wird auch in der „ZEIT“ zerkocht. Da gibt es in der letzten Dezemberausgabe eine Rezension zu „War“ – dem gerade übersetzten Buch von Sebastian Junger. Junger, sehe ich und denke: Jünger. Und tatsächlich: Der embedded US- reporter beschwört neue Stahlgewitter. Folgt man den Auslegungen des „ZEIT“-Journalisten (http://www.zeit.de/2011/01/L-B-Jungers) ,dann sträuben sich einem die Haare: „WAR (so heißt es im Text wörtlich) ist ein bedrückendes Buch über den Krieg oder über das Kämpfen im Krieg, und gleichzeitig ist das Buch – so sieht es für mich aus – Jungers ganz persönliches Heldenepos, was wahrscheinlich damit zusammenhängt, dass er in Afghanistan zwei überwältigende Erfahrungen gemacht hat, die sich schon in den Titeln der drei Teile andeuten, aus denen das Buch besteht: Angst – Töten – Liebe. Die Soldaten, wie Junger sie beschreibt, überwinden ihre Angst, und das Kämpfen wird für sie zu etwas, ohne das sie fast nicht mehr leben können. Das sollte einen nicht überraschen, schließlich sind sie Profis, aber es überrascht mich trotzdem. An einer zentralen Stelle schreibt Junger, es sei sinnlos, so zu tun, als sei der Krieg nicht auch aufregend, wahnsinnig aufregend sogar: »Krieg muss als schlecht gelten, denn im Krieg geschehen zweifellos schlechte Dinge, aber ein Neunzehnjähriger am Abzug eines .50 Kaliber Maschinengewehrs während eines Feuergefechts, das alle heil überstehen, erlebt den Krieg als einen so extremen Nervenkitzel, wie ihn sich niemand vorstellen kann. In mancher Hinsicht verschaffen zwanzig Minuten Kampfgeschehen mehr Lebensintensität, als man sie während eines Daseins zusammenkratzen kann, das mit anderem beschäftigt ist.« So ein militaristischer Unflat macht mich sprachlos. Die Bundeswehrreform steht an, und da muss sich niemand über politischen und Medien-Geleitschutz wundern. Tacheles reden will man dennoch nicht. Wer schon spricht von sanktioniertem Mord, wer schon stellt fest, dass deutsche Rekruten künftig kein Wahlrecht haben. Einmal in der Truppe, müssen sie mitziehen. Überall hin und ohne Abstriche. Ganz gleich, ob es sich um humanitäre Aktionen oder aber um schnöde Rangeleien um ausgehende Rohstoffe handelt. Noch freilich gibt es ein Verweigerungsrecht aus Gewissensgründen. Den Spielraum dafür dürfte man künftig einengen. Wer sich künfig für den Bund entscheide, müsse wissen … Dass zu Guttenberg bei dieser Sachlage auch weiterhin den Bürger in Uniform verkauft, ist hanebüchen.

Und dann – wiederum aus der „ZEIT“ – ganz frisch die Botschaft: Siegen lernen – Die Militäreinsätze in Afghanistan und im Irak werden nach dem Vorbild europäischer Kolonialkriege geführt („DIE ZEIT“, 5. Januar 2010). In einer Sprache zwischen betroffen und süffisant macht sich Stephan Malinowski über einen Strategietransfer her, der seinesgleichen sucht. Worum geht es. Es geht um den „Erfahrungsschatz“, den Raubritter aller Couleur (bei der Unterwerfung und Ausbeutung fremder Länder und Völker) gesammelt haben. Malinowski berichtet darüber, dass US-Geheimdienste bereits gegen Ende des Algerienkrieges französische Militärstrategen – darunter Fachleute für Folter – rekrutieren konnten, dass die Thesen der „großen Theoretiker für Aufstandsbekämpfung“ in die Standardwerke der US-Army und damit in die Eroberungskonzepte für Vietnam, Irak und Afghanistan eingingen und der Versuch, zumindest Teile der Zivilbevölkerung (der unterjochten Länder) zu „gewinnen“ weniger humanitär als strategisch motiviert sei. Malinowskis Recherche mündet schließlich in schierer Unerträglichkeit: “ … Die Zukunft der westlichen Kriegsführung im Zeughaus spätkolonialer Kriege zu suchen, mutet daher nur auf den ersten Blick als historische Ironie an. Von den für die Öffentlichkeit westlicher Staaten unerträglichen Elementen entschlackt (zivile Opferzahlen von mehreren Hunderttausend, Vertreibung ganzer Bevölkerungsteile, Lagersysteme), erscheint die Kopplung von vergleichsweise dosiertem Gewalteinsatz und „Entwicklungsarbeit“ eher zukunftsträchtig denn vorgestrig. Diese Politik als eine gegen „Terroristen“ gerichtete bewaffnete Aufbauhilfe darzustellen, macht den Krieg auch für postheroische Gesellschaften akzeptabel ...“ Zynischer, menschenverachtender geht’s nicht. Was der Autor hier an stinkender Masse seziert, ist beispiellos. Doch nicht minder verwerflich ist der Ton der Aufbereitung. Mich schaudert’s!

 

20 Jahre deutsche Zwei-Heit

Es ist wahrlich kein Wunder, dass heute – zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung – das Gros der Westdeutschen dieses Ereignis befeiert, während Zehn-, ja vielleicht Hunderttausende im Ostteil unseres Landes hinter die Mauer zurück wollen. Der Rest mag realistischer denken und die deutsche Einheit als Mix von punktuellem Erfolg und massenhafter Bauchlandung empfinden – für die Ostdeutschen wohlgemerkt.
„War nicht besser möglich“, höre ich dann, „keine Erfahrungen mit der Transformation und … die sollten sich freuen … bei den Wahnsinns-Transferzahlungen. Nun, die reichlich 1 Billion Euro für den Aufbau Ost haben alle erbracht – auch die Ossis. In den Genuss des Geldsegens indes kamen vor allem Konzerne – eben die, die die neue Struktur östlich der Elbe gestalteten/verunstalteten. Für den Bürger selbst ist manche „Errungenschaft“ zweitrangig – ganz gleich, ob sie der öffentlichen Hand oder der Privatwirtschaft entsprang. Die extreme Radfahrweg-Dichte, überdimensionierte Erlebnisbäder und Kläranlagen, ja selbst die hochwertigsten Straßen der Welt werden mit Kopfschütteln quittiert, wenn man die Existenz- und Lebensbedingungen der Wendeverlierer dagegen hält. Und die Konsumpaläste geben nur denen etwas, die darin nicht traumtänzeln, sondern auch kaufen können. Hier aber klemmt es, seit der Osten den Großteil seiner Betriebe und Einrichtungen in der Landwirtschaft verloren hat. Auch nach zwanzig Jahren ist die Arbeitslosigkeit im Osten doppelt so hoch wie im Westen und zahllose Jobs werden noch immer schlechter bezahlt als im „Kernland“.
„Pech gehabt“, tönen die Gazetten. Die DDR-Mädels und -Jungs haben zwar 735 Milliarden Ostmark Reparationen an die Sowjets gezahlt (der BRD blieben solche Opfer – die Israelhilfe ausgenommen – erspart) und mäßig bis tapfer im Käfig geackert. Dass ihnen heute dennoch das Stigma des Mittelmäßigen, des Maroden oder kurz gesagt: der Verlierer anhaftet, sei hausgemacht. Wo alles nur knapp war, blieb wenig zum Wundern. Schließlich habe man dem Einigungsvertrag mit der „Anschluss-Klausel“ zugestimmt. Ob da ein Lothar de Maiziere um die Würde des Osten rang, ein Schäuble seine Mitspieler süffisant übertölpelte oder ein Krause alles zur Flotte gab („DIE ZEIT“, 30. September 2010), tue hier nichts zur Sache. Man habe sich in die westdeutsche Verfassung/in das westdeutsche Grundgesetz einzugewöhnen, und damit … basta!
Genau hier begannen die Desinformationskampagnen, die unliebsame Wahrheiten mit permanenten Debatten über Unrechtsstaat, Stasi, Mauer und Wirtschaftschaos zu löschen suchten. Natürlich war die DDR ein Unrechtsstaat – wenn man die Gesetze und das Rechtsverständnis der Bundesrepublik West zu Grunde legt. Und natürlich liegt es mir fern, die Machenschaften des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) durch Kritik an westlichen Geheimdiensten zu relativieren. Menschenverachtung und Menschenrechtsverletzungen bleiben was sie sind – ganz gleich, auf welchem Nährboden sie gedeihen.
Ganz sicher konnten die Wirtschafts-„Strategien“ des Ostens denen des Westens nicht Paroli bieten. Was nicht heißt, dass alles, was die Ex-DDR hervorbrachte, Murx war und dem Schlendrian anheimfiel. Wenn ich Bekannten hier im Westen erzähle, dass es z. B. für die ostdeutsche Stahlindustrie über dreißig so genannte Kompensationsvorhaben (Barter-Geschäfte) gab, sind sie erstaunt. Vor allem darüber, dass die im Westen gekaufte Technik höchstes Niveau hatte und mit Produkten aus den zugehörigen Anlagen bezahlt wurde. Aber nicht nur diese Stahlwerke, Walzwerke und Bandbehandlungsanlagen repräsentierten Hightech. Auch die aus dem Westen importierten Werkzeugmaschinen in Europas größtem (!) Fertigungsbetrieb „Fritz Heckert“, Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz), die Ausrüstungen in der Möbelindustrie (z. B. Zeulenroda), in der Lebensmittelbranche etc. mussten den Vergleich mit westeuropäischen Produktionsstätten nicht scheuen. Bei Computern freilich konnte die DDR (Robotron) nicht mithalten. Die wurden aus dem Westen importiert, entsprachen aber nicht dem neuesten 16-bit-Standard (Embargo). Ich erinnere mich noch: Im Frühjahr 1987 war das Entree des Ministeriums für Erzbergbau, Metallurgie und Kali bis zur Decke mit westlichen Commodore-PCs zugestellt. Der „embargo-gestörte Rest“ wurde irgendwann „privat“ dazu gekauft. So dauerte es nur ein paar Monate, bis ein über Ost-Berlin hinaus reichendes, komplexes Rechnernetz existierte, das die Zentrale mit wichtigen Fertigungsbetrieben verband. Wichtigstes Ergebnis: Ein EDV-Embargo des Westens – diese Netze betreffend – war durchbrochen. Auch, weil die Spionage funktionierte und „geschäftstüchtige“ westliche Verkäufer ihren Reibach machen wollten.
Nun, am Ende des Endes hatte die DDR 20 Milliarden DM Schulden – eine Summe, die groß scheint, aber heute und in anderen Ländern wie Peanuts anmutet. Gleichwie, die Machthaber knickten, knickten ein oder wurden geknickt. Für mich sah das – bei allem Protest, bei allen Montags-Demos, bei aller Neutralität der Sowjettruppen – wie eine Übergabe aus. Längst geplant und dann umgesetzt – ohne dass ein Schuss fiel (!!!). Westliche Politik und Medien sind diesem Phänomen nie wirklich nachgegangen – obwohl ihnen die Mittel dafür sicher zur Verfügung standen/stehen. Ganz so als gäbe es Absprachen, die bis irgendwann geheim bleiben müssten.
Umso intensiver bemühten sich die westlichen Medien, die dominierenden technischen Dinosaurier abzulichten und den DDR-Bürger als Wesen von gestern, als faul und dumm ins Bewusstsein der Westbürger einzupflanzen. Ein Vorgehen mit Kalkül – denn wo man etwas als unmodern und hinterwäldlerisch stigmatisieren konnte, war es leicht, einfach abzuräumen. Und so schliff man mit Bedacht vor allem das, was zum Wettbewerb fähig schien. Die betroffenen Ostdeutschen waren schockiert. Es tat ihnen weh, auch Hochwertiges in den Schrottpressen verschwinden zu sehen. Aber letztlich mussten sie akzeptieren und hinnehmen.
So die Botschaft an diejenigen, die den Osten bis heute nicht besucht haben, aber trefflich über ihn Bescheid wissen.
In den Köpfen der Vereinigungsgewinner, aber auch vor Ort gab es die wahren Bilder. Hier wurde kurz nach dem Mauerfall ein blutiges Spiel in Gang gesetzt, das nur einen Gedanken zuließ. Nämlich den, die zulaufende Substanz optimal, sprich: zum maximalen Nutzen des Westens auszubeuten. Zwar musste den Ossis zumindest der Schein einer künftigen würdevollen Existenz vermittelt werden, doch dafür sollte und musste der Staat, sprich: der Steuerbürger herhalten. Vorrang hatte zweifellos der Aufbau einer neuen Finanz- und Wirtschaftsstruktur – mit veränderten Besitz- und Machtverhältnissen. Ursprünglich – kurz nach dem Mauerfall – hatte alles noch ganz anders ausgesehen. Die Teilnehmer des Runden Tisches – allen voran Wolfgang Ullmann – hatten dem zerrissenen Land einen „Dritten Weg“ jenseits der Plan- und Marktwirtschaft in Aussicht gestellt. Dabei sollte den Bürgern der ehemaligen DDR ein möglichst großer Anteil am ehemaligen Volkseigentum übereignet werden (http://www.bundestag.de/dasparlament/2010/11/Beilage/006.html)
Zur Regelung aller sich verändernden Vermögensverhältnisse hatte Hans Modrow, vorletzter Ministerpräsident der DDR, die Order erteilt, eine Treuhandanstalt zu schaffen. Das Schicksal wollte es allerdings, dass Modrow die kommende Wahl verlor. Ihm folgte der CDU-Mann Lothar de Maizière, der auf Druck westdeutscher Politiker all das umwarf und eine neue Devise herausgab: privatisieren und sanieren – wo eben sinnvoll und liquidieren, wo aussichtslos. 20 Jahre deutsche Zwei-Heit weiterlesen

Erst schickt man sie in sinnlose Kriege, dann glaubt man PTSB heilen zu können

Man sollte annehmen, dass sich Militärpsychologen und Erfinder von Streubomben täglich in tiefste Verließe zurückziehen und dort die Schnauze halten. Doch das genaue Gegenteil ist der Fall. Spätestens seit sich westliche Demokratien als Vorkämpfer für Menschenrechte begreifen, tickern die Gewissen auf problemlos – und die Ratten kriechen ans Licht. Wir aber wissen, dass Kriege nicht „nur“ Tote, sondern auch Neurosen im Schleppnetz führen. Konnte man bei den Veteranen des amerikanischen Bürgerkriegs zunächst „nur“ häufige Herzattacken und bei den Überlebenden von Weltkrieg I heftige Schüttelfröste ausmachen, so wusste man spätens nach Vietnam von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTSB) im spätfolgenreichen Krankheitsbild. Hinzu kam nach dem ersten Irak-Abenteuer das Golfkriegs-Syndrom, das Böswillige auch heute noch der westlichen, „uranösen“ Munition zuordnen.

Erst schickt man sie in sinnlose Kriege, dann glaubt man PTSB heilen zu können weiterlesen