Alle Beiträge von Ulrich Scharfenorth

abgebloggt

„abgebloggt“ stürzt sich mit Verve auf all jene Politik-, Kunst- und Unterhaltungsgetümmel, die uns 30 Monate lang begeistert oder genervt haben. Da geht es um die Finanzkrise, um Stuttgart 21, Wahldebakel und die Plagiate von Karl-Theodor, um China und Afghanistan, um Genmais, Schweinegrippe und Pandemie, um Obama und Sarkozy, um die arabische Protestbewegung und Bin Laden, um Militarismus und Waffenexporte ebenso wie um Schießübungen auf Biogemüse, verwilderte Prominente oder gute und schlechte Bücher. Die zurückliegende Zeit war reich an Missverständnissen und Verdunklungsversuchen, an Merkelschen Aussitzern, Ackermannschen Intrigen, grünen Opportunismen und fiesen Kulturschocks. Alles strotzte nur so von grotesken Verrenkungen. Da nahm sich Wallraff noch bescheiden aus – und Gysi echt bieder. Andere aber machten das Treiben verrückt. Schossen auf alles, was sich bewegte und blieben doch … ungeschoren.
Bei allem Trubel ─ irgendwo wird das Buch auch todernst, bei Fukushima etwa, bei langwierigen Diskussionen um Finanzkrise, künftiges Wirtschaften und Kernenergie. Hier wird Tacheles geredet und vertieft, was „Störfall Zukunft“ anstieß und … zeitnah zu Ende brachte.
Tatsächlich sind wir jetzt weiter, und so ist das Buch auch Einladung an den Leser, die Themen erneut aufzugreifen und gedanklich fortzusetzen.

Heiner Labonde Verlag 2011

ISBN 978-3-937507-31-6

397 S. , 24,80 €

Blick ins Buch: http://www.amazon.de/abgebloggt-Drei%C3%9Fig-Monate-zwischen-Fakten/dp/3937507310/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1441553689&sr=8-1&keywords=abgebloggt#reader_3937507310

 

Aus der Reihe getanzt

Gut zwei Jahre nach der Veröffentlichung von „Störfall Zukunft“ legt der Ratinger Schriftsteller Dr. Ulrich Scharfenorth seinen ersten Prosa-Band vor. Das sei – so der Autor – ein später Start. Er erklärt das mit seiner journalistischen Laufbahn in den 90er Jahren, aber auch mit dem brennenden Interesse an politischen Themen, die ihn zeitweilig in ein anderes Fahrwasser verschlugen. Erst 2008, als das, was ihn jahrelang wichtiger dünkte und auf der Seele brannte, in Buchform auf dem Tisch lag, habe er sich wieder seinen Erzählungen widmen können. Das aber schließe nicht aus, dass es auch künftig zweigleisig weiter gehe. Jetzt jedenfalls habe der Heiner Labonde Verlag den Abdruck seiner Geschichten möglich gemacht.
„Aus der Reihe getanzt“ umfasst Themen aus vierzig Jahren und füllt damit ein eher ungewöhnliches Panorama. Aus der Reihe getanzt weiterlesen

Aus der Reihe getanzt

Sie würden sich immer für diese Reihe entscheiden, sagt er, dieses deutsche Geordnetsein, dieses unabgesprochene, aber unbedingte Nacheinander, dieses Ich-komme-vor-dir-dran, weil ich vor dir da war. Sie wollten diese demokratische, scheindemokratische Fügung und Teilbeschattung, sagt er, weil sie sich geborgen fühlten, so etwas wie Gerechtigkeit empfänden oder einfach nur gern der Norm entsprächen. Sie wollten diese Reihe, sagt er, weil sie sich verständigen, den Vordermann hoffieren und die Nachfolgenden abspeisen könnten. Sie brauchten diese Reihe, weil sie Hinnahme ermöglicht – den imageschonenden Verzicht auf nicht Erreichbares, die Schmerzlosigkeit verlorener Träume.
Sehr viel mehr aber lechzten die Ideengeber nach der Reihe, weil ihre Schafe – auf diese Weise sortiert – überschaubarer seien und in Brot gebracht, davon absähen, das Gewollte in Frage zu stellen. Immerhin spürten diese Schafe, dass ein Wille da sei und natürlich dieser Weg, der, so man ihn denn in Reihe durchmesse, Gefahren ausschlie-ße.
In der Reihe, sagt er, empfange man das Geld nach dem Umtausch. In der Reihe warte man Zeitung lesend auf Brötchen, die irgendwann aus dem Backofen stürzten, auf Restkarten zur Fußball-WM. Schlangesteher warteten, sagt er, meist friedlich, in Ergebenheit, fokussiert auf das Ziel, das nie anders als über den Fortschritt in der Reihe, sprich: über das Abarbeiten von Positionen erreicht werden könne. Schlangesteher er-geben sich der Kontinuität, der Evolution, dem allmählichen Vordringen in die Sphäre des Erfolgversprechenden. Über die Reihe, sagt er, habe jeder eine Chance, zu erreichen, zu erlangen, Wünsche zu erfüllen. Und es werde erträglich, sagt er, nachzudenken, Phantasien zu entwickeln, sich treiben zu lassen – denn dieser kleine Schritt vor-wärts, sagt er, dieses taktvolle Vorrücken in der Reihe sei ein Nichts, eine physische Lächerlichkeit, etwas, dass ein jeder mühe- und reibungslos absolviere. Die Aufnahme in die Schlange, sagt er, bringe Entspannung und Ruhe, lasse Strapazen schrumpfen, häusliche Pflichten und Schuldeneintreiber in milderem Licht erscheinen. So in Reihe, sagt er, könne man überstehen, sich hingeben, etwas aufdröseln – weil nach laufender Prozedur bereits die neue Folge gefügt werde, eine Linie, in die man wechseln müsse, sobald das Alte getan sei. Man könne überlegen, sagt er, was morgen anstehe, ja na-türlich: anstehe, weil auch das in Reihe, oder anders formuliert: der Reihe nach zu notieren, herauszustellen und zu lösen sei.
In Reih und Glied, sagte er, im Marschblock, in der Formation werde Verlässlichkeit erzeugt, die geballte Kraft, die gedröhnte Einstimmigkeit, die vervielfachte Salve, die zu- und auftreffe. In der Reihe, sagt er, gebe es weder Chaos noch Revolutionen und … kaum Kirchenaustritte.

Wehe dem, sagt er, der all das hinwerfe, in Frage stelle und aus der Reihe tanze. Wehe dem, der aus Zeitnot, Genervtheit oder bloßem Protest die Reihe verlasse, sie einfach aufkündige. Wehe dem, der Entsagung predige, ein Aussitzen, ein alternatives Zielfin-den oder gar das Chaos ins Auge fasse. Er werde, sagt er, in ein neues Raster gesteckt. Anders als die Schöpfer der Reihe, anders als die, die sich nur bedingt einreihen, um glaubwürdig zu erscheinen, werde er farbig und angreifbar. Und auch das, sagt er, folge der Reihe, einer Abfolge von Verschärfung. Zunächst sei es nur ein Auflachen, später das bemühte Erklären, das Daraufhinweisen, das Darauf-aufmerksam-machen. In der Folge dann schon: Das Überzeugenwollen, das auf Geschmack, Usus und Gebräuche Hinweisen-müssen, und wenn selbst das nicht fruchte, käme die Anklage. Ja, genau bis dahin, bis an diesen Punkt, reiche die Reihe der Stilmittel.

Anders aber, sagt er, wenn der Reihenverächter Talent habe, anders, wenn er mutig oder gar ein Genie sei. Anders aber, wenn er Rechtsmittel der Reihe nach ausschöpfe und geschickt über Wasser bleibe, wenn er Krusten aufbreche und Neues, Einleuchtendes, hoffähig mache. Dann plötzlich, sagt er, lichteten sich die Reihen, würden brüchig und verschwänden ganz einfach. Nicht aber, um sich als Form aufzukündigen. Nein! Nur, um sich neu zu stricken. Denn bald schon stehen sie wieder, sagt er, die üblichen Verdächtigen – in Reihe geschaltet und artig. Vergessen seien die alten Thesen, vergessen die Absonderlichkeiten, die sie auflösten.

So seien wir nun einmal, sagt er, … reihum.

Die MARSverblödung

Die einen machen permanent auf Demenz/Alzheimer, die anderen auf Marsflug ohne Rückkehr. Hauptsache, es bringt Auflage/Quote. Selbst Raumfahrer Alexander Gerst wird bemüht, um das absurde Mars-Märchen realistischer erscheinen zu lassen. Dass Menschen einen Forscherdrang besitzen ist gut, schön und wichtig. Sich allerdings auf Projekte zu fokussieren, die weder heute, noch in naher Zukunft Sinn machen, ist reine Geldverschwendung. Der von der RP zitierte Gerst hat aus der ISS den Run der Menschheit auf die Reichtümer unserer Erde beobachten und offen missbilligen können. Jetzt soll er zum Zugpferd für diejenigen werden, die lustlos sind oder es einfach nicht drauf haben, die Erde als lebenswerten Planeten zu erhalten. Da muss man, wenn‘s erdenmäßig nicht klappt, sowieso auf den Mars. Also Volldampf voraus zur nächsten PlanetenVersauung.
Dass sich jetzt über 20.000 Idioten finden, die auf dem Mars Suizid begehen wollen, grenzt an Irrsinn – so auch der dummsinnig kolportierte Bericht, dass ein Student aus Dachau (Robert Schröder) unbedingt als erster den Mars betreten möchte. Die fehlende Rückfahrt störe ihn nicht – so die zuständige Gazette http://www.rp-online.de/panorama/wissen/weltraum/mars-flug-ohne-wiederkehr-aid-1.4937147. Wofffff!
In der PRISMA reifen noch ganz andere Träume. Sie berichtet von der Engländerin Maggie Leu, die als erste Frau auf dem Mars gebären möchte (Prisma 11/15). Timing und Bespringer – so das Magazin – stünden noch nicht fest.
Sicher scheint allerdings das weit verbreitete Unwissen. Eiferer und Probanden dürften zu viele Science-Fiction-Filme gesehen haben. Von denen – das wissen wir mittlerweile – genügen allerdings nur 5% den geltenden physikalischen Gesetzen, inklusive Strahlenbelastung. Ich sag immer: Die Kometenabwehr ist zehnmal wichtiger als jeder Marsflug. Aber da glotzt die Wissenschaft lieber hinterher – wenn mal wieder so ein Brocken vorbei geflogen ist.

Der NachkriegsFaschismus – auf light getrimmt

Wie schrieb der bedeutende Publizist Sebastian Haffner 1963 im Spiegel: ⋙Das schlimmste Gespenst der deutschen Vergangenheit ist folglich wieder lebendig geworden. Nicht erst unter Hitler, schon in der Weimarer Republik gab es, was man damals „Vertrauenskrise der Justiz“ nannte, und schon damals gehörte die einseitige politische Parteinahme, deren sich die deutschen Gerichte regelhaft schuldig machten, zu den alarmierendsten Erscheinungen des deutschen öffentlichen Lebens. Dann kam Hitler und die Schauerlichkeiten der deutschen Justiz erreichten ein Maß, das jeder Nacherzählung spottet. Die deutschen Richter benahmen sich unter Hitler schlimmer als irgendein anderer Berufsstand – meines Erachtens viel schlimmer als die Militärs. Und doch sind sie die einzigen, die keinerlei „Denazifizierung“ unterworfen wurden. Die „Heiligkeit“ des Richteramtes rettete sie alle … ⋘ („DER  SPIEGEL“  14/63).

Ich bin überzeugt davon, dass die bundesdeutsche Justiz, der Verfassungsschutz, der BND etc.  nach wie vor vom Gedankengut des Dritten Reiches durchsetzt ist, dass Leute wie Böhnhardt, Mundlos und  Zschäpe  auf subtile Weise wenn nicht geschützt, so doch im allgemeinen Verwirrspiel von vielen ihrer Verbrechen und verbrecherischen Beziehungen frei gesprochen werden. Hinter dem angeblich  fahrlässigen Umgang mit Akten, hinter dem Verschwinden von Beweisdokumenten, hinter schlampiger Recherche an den Tatorten dürfte sich nur eines verbergen: der Versuch, die NSU-Morde als kriminellen Alleingang des Verbrecher-Trios festzunageln und den im Hintergrund schwelenden braunen Sumpf zu vernebeln/zu schützen. Viele derer, die montags den schönen Schein wahren müssen und lautstark gegen Pegida protestieren, sind für den Rest der Woche auf genau dem anderen Ufer. Faschismus light hat Konjunktur – nicht nur in Holland und Frankreich.