Syrien: Frieden um fast jeden Preis

• Putins Vorschlag vor der UNO muss angenommen werden
• Der Aufbau einer mächtigen Drohkulisse gegen den IS ist unverzichtbar
• Vorrangige Option muss ein erzwungener Frieden sein – ohne dass es zu Kampfhandlungen kommt
• Für die Menschen in der Region müssen politische Lösungen sichtbar werden: So sind für das Territorium von Syrien und Irak lebensfähige Strukturen vorzuschlagen/zu schaffen, die den ethnischen und religiösen Verteilungen in der Gesamtbevölkerung entsprechen und die faire Beteiligung aller Gruppierungen an den jeweiligen Machtapparaten/Regierungen sicherstellen.
• Für alle o.a. Vorgänge gilt UN-Mandat

 

Syrien steht im Mittelpunkt zahlloser Diskussionen, weil dort seit Jahren ein furchtbarer Krieg tobt, weil durch diesen Krieg 250.000 Menschen ihr Leben verloren und jetzt vor allem syrische Flüchtlinge bei uns eintreffen. Es ist bezeichnend für die europäische, aber auch für die US-amerikanische und russische Politik, dass man die Syrer derart lange ausbluten ließ. Und erst jetzt, da die Flüchtlinge Europa zu überrennen beginnen, eine – wenn nötig militärische – Beendigung des Nahostkonflikts ins Auge fasst. Zu sehr fürchteten die Großmächte eine gegenseitige Konfrontation, zu undurchsichtig lauerten die Konspirationen hinter den Kulissen. Im Spannungsfeld zwischen dem Diktator Assad, dem geschwürartig gewachsenen IS, al Nusra und dem inzwischen hoffähig gewordenen Iran schienen Bewegungen, die zur Klärung der Machtverhältnisse, ja zum Frieden befähigen, unmöglich. Doch wie kam es überhaupt zu dieser Gemengelage? Wer verursachte das schreckliche Hauen und Stechen? Für mich ist der Zündfunke deutlich sichtbar: der sogenannte arabische Frühling, mit dem zuvor Ägypten und vor allem Libyen ins Chaos gestürzt wurden (lediglich in Tunesien scheint es einen Hauch von Demokratie zu geben. Wir wissen allerdings nicht, wie sich die Lage nach Rückkehr der ca. 3.000 tunesischen Kämpfer aus dem Lager des IS gestalten wird).  Freiheit und Demokratie waren und sind noch heute plakative Schlachtrufe, die im Namen des Frühlings Illusionen nährten – sowohl im Westen als auch (völlig anders verstanden) im arabischen Raum. Der Gedanke, dass man sich von den Lasten zurückgebliebener Gesellschaften befreien könnte, zog wie ein Feuer durch den südlichen Mittelmeerraum. Er war provoziert/ zu wesentlichen Teilen fremdbestimmt, dann aber von Leid und Elend zusätzlich angefacht. Er verstrickte die Hirne derer, die ihre Not im Kampf einklagen wollten, mit dem Grundgedanken Demokratie aber nichts anfangen konnten. Denn ein solches Konstrukt war unbekannt. Die entstehende Bewegung war folglich genauso spontan wie heterogen, gewann aber soviel Kraft, dass sie ganze Regime zum Einsturz brachte und ein Machtvakuum generierte. Vieles, was  Amerikanern und Europäern suspekt geworden war, brach zusammen. Über die Folgen des Crashs war man sich auch im Westen nicht völlig im Klaren. Immerhin drohte Chaos und eine Option, die niemand wollte: eine Reihe von Scharia-regierten Staaten/Konglomeraten. Andererseits sprach vielles dafür, dass der Aufruhr den Einfluss der Russen im Mittelmeerraum untergraben könnte.

 

Ein in chaotische Verhältnisse gebettetes Arabien, das in Stammesauseinandersetzungen, religiösen Konflikten und kleinliche Machtkämpfen verstrickt ist, stellt keine Gefahr für die um Vorherrschaft bemühten Kräfte auf dieser Welt dar, ermöglicht die preiswerte Ausbeutung von Öl- und Gasreserven durch neue, geneigtere Partner und sichert die Selbstzerfleischung von hochstilisierten Rivalen des Christentums.
Gaddafi, Mubarak und Assad, hatten große Teile der arabischen Welt befriedet. Sie regierten diktatorisch, aber bei weitem nicht so menschenfeindlich wie das westliche Medien weismachen wollen. Gaddafi hat sich sowohl um einen hohen Lebensstandard im Lande, als auch Bildung und Gesundheit bemüht. Er hat die eifernden Extremisten stets in Schach gehalten und viele afrikanische Länder materiell unterstützt. Er musste weg, weil sein wirkliches Image das ihm aufgesetzte zu überstarhlen drohte. Mubarak, der lange Jahre ein berechenbarer Partner des Westens im Nahen Osten gewesen war, wurde gestürmt, weil es keine sichtbare Vorwärtsentwicklung in Ägypten gab – statt dessen Korruption, Freiheitsentzug und eine massive materielle Not der Menschen. Assad schließlich sollte als Parteigänger der Russen kalt gemacht werden. Dass dieser Mann, ebenso wie zuvor sein Vater, auch für solide Verhältnisse im Lande gesorgt hatten, wird heute weitgehend verschwiegen oder unter den Teppich gekehrt. Wer weiß schon, dass es in Syrien nur 1% Analphabeten und seit 1963 eine strikte Trennung von Kirche und Staat gibt (eine im arabischen Raum einmalige Situation)? Praktiziert wurde ein moderater Islam, der die Betätigung aller im Bypass existierenden Religionen zuließ. Extremisten hatten in diesem Umfeld keinerlei Chancen. Wenn die meisten Menschen Assad heute einen Mörder nennen, dann haben sie zweifellos Recht damit. Allerdings sollten sie in Rechnung stellen, dass dieser Mann, der wie jeder andere Staatsmann auch, an der Macht festhalten wollte, Opfer gewaltiger Zwänge wurde. Zum einen bedrängten ihn plötzlich Menschen, die sein verharztes Regime wenn nicht abschütteln, so doch gründlich reformieren wollten. U.a. wurde gefordert, dass die Sunniten – stärker als bisher – an der Machtausübung beteiligt werden.  Hinzu kamen  Unruhen, die auf eine von 2006 bis 2010 währende schwere Dürre zurückgingen (der Freitag 43/15).  Schließlich drückten ihne die mannigfaltigen Versuche westlicher Geheimdienste,  denen die militärische syrisch-russische Zusammenarbeit ein Dorn im Auge war. Ganz sicher wurde Assad durch das Zusammenwirken all dieser Umstände in die Position des Schlächters hineingetrieben – eines Diktators, der das Infragestellen seiner Macht nicht gewohnt war und dann wild um sich schlug. Niemand wird Assads als Person frei sprechen, resp. seine Kriegshandlungen rechtfertigen können. Er hat das vertretbare Maß an Selbstverteidigung weit  überzogen. Sollte man ihn jetzt – da ein Frieden in Mittelost quasi erzwungen werden muss – noch brauchen, dann wird das nur für eine kurze Übergangszeit sein.

 

Es besteht keinerlei Zweifel daran, dass die in den Regimen von Gaddafi, Mubarak und Assad herrschenden, verharzten Strukturen eine erhebliche Angriffsfläche für Reformer, aber auch für Provokateure aus dem westlichen Ausland boten. Insofern erklären sich die Feuer und Brandbeschleuniger von selbst. In Syrien allerding sollten auch die Russen getroffen werden – als potente Gegner des US-Imperialismus, als Unterstützer eines Diktators, als Bösewichte überhaupt. Allein dieser Gedanke erklärt, warum der Krieg um Syrien solange andauert und warum es besonders schwer ist, ihn zu beenden. Es gibt keinen triftigen Grund für Assad, zurückzutreten und keine geeinte militärische Front, die ihn stürzen könnte. Dafür aber nach wie viele Menschen, die Assad auch heute noch unterstützen – fast alle Aleviten (die von Anfang an in Syrien das Zepter in der Hand hielten), viele Christen (ihr Anteil betrug vor dem Krieg 15%) und natürlich alle, die mit Assad kämpften/kollaborierten. Zur letzten Fraktion gehören auch der Iran und die Hisbollah.

Eine geeinte Gegnerschaft ist dagegen nicht in Sicht. Denn die freie syrische Armee, die der Westen so gern befeiert hätte, ist ein weitgehend zahnloses synthetisches Konstrukt, dass weder von Saudi-Arabien/den Emiraten, noch von der Moslembruderschaft (die lange Zeit als Unterstützer galt), geschweige denn von den radikalen Islamisten (IS, Nusra-Front etc.) unterstützt wird. Man verfügt zwar über moderne Waffen, aber die Menschen, die sie bedienen könnten, sind Mangelware. Die verbleibenden Kräfte (IS, al Nusra) sind ebenfalls nicht stark genug, Assads aus dem Weg zu räumen, respektive eine dauerhafte Souveränität in derzeit angestammten Gebieten zu erlangen  (Peschmerga im Irak, YPG in Syrien) – bisher jedenfalls nicht.
Aus dieser Patt-Situation heraus wäre Frieden nur möglich, wenn sich alle an einen von der UN zu verordnenden Waffenstillstand hielten, um in einer Phase 2 wirkliche Friedensverhandlungen zu beginnen. In etwa so, wie das im Minsker Abkommen vorgesehen ist. Allerdings unterscheidet sich die Situation in Syrien und im Irak grundsätzlich von der in der Ukraine. Keine der beteiligten Parteien scheint gewillt, die Waffen niederzulegen. In einer solchen Lage ist guter Rat teuer.
Ich gehe davon aus, dass eine von den USA, Russland, Großbritannien und Frankreich aufgebaute Drohkulisse die Lage verändern könnte. In diesem Sinn ist der Vorschlag von Putin für ein UN-Mandat durchaus zu begrüßen. Eine massive Truppenkonzentration, die Ansage der Russen, auch Bodentruppen einzusetzen, würden das Kräfteverhältnis verändern. Zumal die aliierte Luftwaffe – gedeckt vom UN-Mandat – nachhaltiger unterstützen könnte als durch bloßes Bombenabwerfen. Ob es gelänge, Assads Truppen – wie von Putin vorgeschlagen – in eine gemeinsame Aktion einzubinden, ja sogar die Duldung respektive: die Unterstützung der freien syrischen Armee zu nutzen, bleibt vorerst offen. Von großem strategischen Vorteil wäre das natürlich. Allerdings setzt ein solches Zusammengehen massives Umdenken – vor allem bei Assads Gegnern – voraus.
Vorstellbar wäre, dass man Assad nach getaner Arbeit aus seinem Amt quasi herauskauft. Ein gesicherter Frieden in Syrien und im Irak wäre ein solches Opfer wert (Man bedenke: Keine Politik in dieser unvollkommenen Welt ist durchgängig sauber!) Die derzeit undenkbare Lösung, dem Schlächter (wider Willen?) ein gesichertes Exil anzubieten, müsste schon vor Beginn des Zusammengehens als konkrete Option gelten. Soweit zunächst zur Konstruktion einer bewaffneten Front gegen den IS.

 

Ob es nach geschlossener Vereinbarung und Absegnung der UNO tatsächlich zum Waffengang kommt, dürfte davon abhängen, wie realistisch der IS die Lage betrachtet – vor allem aber davon, welche politischen Lösungen in der Region als Alternative zum Krieg angeboten werden. Die Gegner des IS wären schlecht beraten, wenn sie unbedacht/besinnungslos gegen den IS trommeln/zu Felde ziehen würden – ohne dessen Entstehungsgeschichte, dessen Substanz und dessen Menschen zu beachten. Immerhin ist der IS als Folge des Irakkrieges, sprich: als Sammelbecken der im offiziellen Bagdad ausgegrenzten Sunniten, als „Auffanglager“ ehemaliger Mitglieder der Baath-Partei/ Saddam-Gefolgsleuten entstanden. Sein Herrschaftsgebiet ist groß und vor allem auf wichtige Städte in Syrien und im Irak konzentriert – umfasst also auch 6 Millionen Zivilisten. Wenn davon gesprochen wird, dass beim IS auch 30.000 Ausländer kämpfen, dann ist das zwar ernst zu nehmen. Aber auch diese Leute dürften erkennen, dass sie gegen eine massive UN-gestützte Intervention keine Chance hätten. Die wahrscheinliche Zuspitzung vor Ort dürfte dann auch die Macht der Kopfabschneider in Frage stellen, wenn nicht (über interne Revolten) beseitigen.

 

Krieg ist keine wirkliche Option, denn er würde lange dauern, erneut Tausende von Toten zur Folge haben und noch mehr Flüchtlinge generieren. Wobei nach Ende des Waffenganges dieselben politischen Lösungen greifen müssten – die man von vornherein ansteuern könnte: entweder man garantiert souveräne Staaten/Territorien für Kurden, Sunniten, Schiiten und Aleviten oder aber man schreibt die alten Staatsgrenzen fest und schafft Förderationen/autonome Bezirke für die jeweiligen Minderheiten. Deren Bestehen/Partizipation an der Macht müsste von der UNO garantiert und überwacht werden.

Zunächst einmal wäre es Aufgabe der UNO, alle unmittelbar und mittelbar am MittelOst-Konflikt beteiligten Parteien an einen Tisch zu holen: die USA, Russland, den Irak, den Iran, Saudi-Arabien, Assad, Vertreter der freie syrische Armee, der Nusra-Front und des IS. Möglich, dass auch Vertreter der Türkei und der Kurden gefragt wären.