Markus Orths: MAX – ein Buch, das mitreißt

Hommage an den Autor

Grundmotiv aus „Max“, Carl-Hanser Verlag 2017, S. 485:

Max Ernst am Bett seiner durch Flucht und Vertreibung geschwächten Ex-Geliebten Leonora Carrington in Erwartung ihrer Brust-OP (Lissabon 1941):

 

Versuch einer Entsprechung:

Ich sitze an ihrem Bett, so oft es möglich ist, und S. liegt vor mir. Ganz offenbar denkt sie …  Nein, anders!  Offenbar fühlt sie intensiv, richtet ihre Augen wie gleißende Spots auf mich, nimmt jedem Zentimeter meines Gesichts maß, taxiert Mund und Nase – als führe sie einen Stift ins Deutbare. Dann – ich bin sicher – bersten Gebirge in ihrem Kopf. Und die Perspektive dreht sich.

Ich, ich, ich, schlägt es zu ihr durch … ich bin eine, ich bin eine Frau. Ich bin eine Frau, die sich selber genug ist. Ich brauche niemanden außer mir.

Dieser Abstand, dieser Abstand zwischen dir und mir. Die da draußen, die anderen, die Lisi, die Britta und Co., sie alle denken doch: ich kleines, ich armes, ich Ding, ich. Aber halt: so ist es nicht. Ich wusste sofort, wusste von Anbeginn an, ich habe es gleich gewusst, gewusst, was ich wollte, was ich tun würde. Die Liebe kam nicht als träumerisch-verspielter Ballon, sie kam als Angebot, hier einzutreten. Ich wusste ja, wer du warst, wusste, wer W. war, W., der Wal, und ich spürte das Buch, wusste um die Versuchung, dich aufzuschlagen.

Okay, Du, ich weiß ja, wer du warst. Mit dir steht mir alles offen. Ich muss nur durch Öffnungen schlüpfen, Öffnungen, die du geläufig machst.

Sollen die denken, dass ich durchgedreht bin deiner Flucht wegen. Sollen die denken, dass ich dich suchen wollte. Die sind sicher, dass ich dich finden wollte, gerade dort, wo du selbst gern gewesen wärst: inmitten des Chaos. Die da, die da  vermuten sicher, dass ich getan habe, was du immer tun wolltest, aber nie hinbekamst.

Aber, nein, alles war anders. Doch ich frage mich: wie anders? Atemholen, der Seele ablauschen, was läuft, in mich, in dich gehen?

Wir sind. Wir sind Zwillinge. Nein, wir sind Sandwiches. Du bist das rechte blasse, ich das linke gebräunte, oder – wenn du denn willst, anders herum. Du bist mein Unten,  ich dein Oben. Und wenn es schneit, drehen wir uns, buchstabieren wir uns. Fassen das, was sich schnell entzieht, schnappen die Worte, die schnellen Worte. Ja, wir schöpfen nicht nur das Papier aus den Schubladen, wir kritzeln nicht nur. Wir greifen einander auch an die Seelen, an das, was ich das BEATMETE nenne. So etwas, meine ich, reicht schon.

Ja, damals, da spürte ich genau das: Ohne dich, verliert sich das Luftleichte. Es zieht sich zurück. Es macht, dass ich den Halt verliere. Es macht, dass ich strauchele. Und ja: Ich bin zwar schuldlos, aber ich strauchele, bleib bei Sinnen, aber eben nicht standfest.

Ja, Liebster. Nun weiß ich, wie gefährlich es ist, abnagen zu wollen, mich zu geben und dann zu nehmen, wo du die Weide betreibst. Da gibt es etwas, das ich loswerden kann, wohl aber nicht loswerden will. Da zieht es mich zu dir hin. Das liegt an der Seide, am Zusammen von Faden und Nadel, daran, dass Nabel mit Nabel verbunden. Das, mein  Gott,  muss jetzt durch. Das, mein Gott, muss ich schneiden und trennen. Wie klar, wie deutlich möchte ich alles. Dabei schwant Nebel, ein weißer, milchiger. Und ich weiß nicht, ob der niedergeht.

Nun doch nicht wissen, nun doch nicht ahnen können. Du, der andere von Café gegenüber, Du, das Schreiben, Paris, die Loire, die Kinder, mein kraftloses Hiersein.

Und letztlich dieses knapp geöffnete Tor, etwas, das nicht passt zu dem, was da rein will. Diese Notdurft des Geistes, dieser Wille, obsolet niederzuknien, nur um durch und hinweg. Nur um auszustechen, was ihr gehört, ihr, der Bienenkönigin. 

Mein Gott, ist das mein Wille?

JA!. Und tatsächlich: Ich werfe den Schleier ins Hafte, brüste mich der gelungenen Ankunft. Wie im Wahn trete ich durch. Soweit, bis das Gas entweicht, bis das Absurde umspült, was mir Schmerz bereitet. Eben so, dass jeder weiß: Ich bin noch,

ich bin hier,

Comandante!