Das Problem darf nicht mit schweren Waffen, es muss diplomatisch gelöst werden

Angesichts einer neuen russischen Offensive in der Ostukraine stellt sich neuerlich die Frage, ob man die Ukraine ihrem Schicksal überlassen dürfe oder ob es nicht unbedingt angezeigt sei, den Ukrainern so viel militärische Unterstützung zu geben, dass sie den russischen Vormarsch stoppen könne. Jeder, der die Sachlage kennt, wird in beiden Fällen auf NEIN plädieren. Zu nah ist uns Westeuropäern die freiheitlich-demokratische Grundordnung als dass wir Aggression und Verbrechen Putins einfach so hinnehmen könnten. Krieg ist im 21. Jahrhundert ein Unding, und doch findet er nicht nur in der Ukraine, sondern auch im Jemen, in Mali, in Libyen, in Armenien und in anderen uns eher unbekannten Gegenden der Welt statt.

Ich habe vor ein paar Tagen in Mails und öffentlichen Bekundungen erneut gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine protestiert. Und meinem Zorn darüber zum Ausdruck gebracht, dass sich gerade die Grünen – ja sogar ihr angeblich linker Hofreiter  – für eine sehr gefährliche Unterstützung Selenskijs ausgesprochen und damit von der traditionellen Friedenspolitik ihrer Gründermütter und -väter verabschiedet haben.

Jeder, der in den letzten Wochen nur flüchtig die Gesamtsituation im Osten verfolgt hat, jeder, der beim Lesen der Massenmedien eben nur auf diese eine quasi „gleichgeschaltete“ Weise unterrichtet wurde, muss zu einem fatalen Ergebnis gelangen. Nämlich dem, dass Putin allenfalls militärisch, sprich: durch eine rasante Unterstützung der Ukraine mit modernen Waffen des Westens zu stoppen sei. Ob eine solche ZielRichtung durch die europäischen und US-amerikanischen Rüstungskonzerne gesteuert ist, sei dahin gestellt. Immerhin sind sie die einzigen, die vom Krieg profitieren. Viel sinnfälliger scheint mir, nachzudenken. Wer nämlich glaubt, dass bloße Waffenlieferungen das Geschehen und die Verhandlungen in der Ukraine nennenswert beeinflussen können, liegt m. E. schief. Denn zum einen stehen schwere Waffen erst in Wochen oder Monaten und dann als total veraltetes, vielleicht auch als modernes, schwer oder gar nicht zu bedienendes Gerät zur Verfügung. Selbst wenn man Ukrainer trainieren und ausbilden würde, käme die Reaktion nicht nur zu spät, sie fiele auch „harmlos“ aus. Wenn man diesen Begriff in diesem Zusammenhang überhaupt wählen möchte.

Die Russen verfügen über ein schier endloses Potential an Waffen und Soldaten, und dieses Potential ist nicht an Devisen aus Gas-, Kohle oder ÖlLieferungen gebunden.  Die Russen können jederzeit jede denkbare Rakete aus dem Hinterland abschießen – ohne dass das zu stoppen wäre. Schließlich sind die Verbrecher am Auslöser, schließlich sind alle erforderlichen Ressourcen dafür in Russland selbst verfügbar.

Wer also glaubt, dass Russland in diesem Krieg militärisch zum Rückzug gezwungen werden könnte, ist schwer auf dem Holzweg. Es sei denn, er bringt einen Direkteinsatz der NATO ins Gespräch. Die Ukraine allein wird den Rückzug nie erzwingen können. Was allerdings passiert, ist die weiter anhaltende verheerende Zerstörung des Landes, sind der Tod unzähliger Soldaten und Zivilisten, sind Kriegsgräuel, wie sie fast allen Kriegen (siehe den Irak, siehe Syrien, siehe den Jemen, siehe Afghanistan und und und) eigen sind.

Mit Blick auf die aktuellen Ereignisse ist es fast müßig, die Schuldigen am Ausbruch des Krieges neuerlich zu benennen. Es ist Putin und es ist der Westen, angeführt von den USA. Ich habe dazu viele Dokumente aus allen politischen Richtungen studiert und in mehreren Blogs angeführt, u.a.

https://neue-entspannungspolitik.berlin/krieg-in-europa-expertengespraech-mit-andreas-zumach-28-2-2022/

https://apolut.net/tragoedie-in-der-ukraine-waere-leicht-vermeidbar-gewesen-von-rainer-rupp/

https://www.freitag.de/autoren/lutz-herden/donbass-woran-minsk-ii-gescheitert-ist

https://www.stoerfall-zukunft.de/4160-2/

https://www.stoerfall-zukunft.de/in-die-enge-getrieben/

Minsk war von Selenskij nie gewollt, sämtliche, auf eine friedliche Lösung abgestellten Versuche der Franzosen und der Deutschen (es gab eine konkrete Steinmeier-Initiative – auch für die muss unser Präsident jetzt bluten) sind am Widerstand der Ukrainer gescheitert. Dabei wären eine Autonomie der russlandfreundlichen Donezker und Luchansker innerhalb der Ukraine sowie ein Verzicht der Ukraine auf die Nato-Mitgliedschaft friedensbildend gewesen. Schließlich verbietet selbst die UNO, dass sich Länder eine zusätzliche Sicherheit auf Kosten von nachbarschaftlichen Sicherheitsinteressen verschaffen (was natürlich auch die NATO-Mitgliedschaft aller östlichen EU-Länder betrifft).

Eine Diskussion über die Schuld am Ausbruch des Krieges darf die Tatsache, dass einer den Krieg tatsächlich begonnen hat, in keiner Weise relativieren. Wer im Europa des 21. Jahrhunderts einen Krieg beginnt, ist auf Dauer stigmatisiert. Ganz gleich, wo die Ursachen für den Krieg konkret liegen.  In diesem Sinne habe ich Putins Krieg und sämtliche Gräueltaten – so sie denn den Russen zweifelsfrei nachgewiesen werden können – mehrfach aufs Schärfste verurteilt. Und ich bin der unbedingten Auffassung, dass Putin mit allen sinnvollen Mitteln aufgehalten werden muss. Welche dies sind, bliebe zu diskutieren. Allerdings befürchte ich, dass rein militärische Optionen zu nichts führen. Denn ein direktes Eingreifen der NATO, Flugverbotszonen über der Ukraine und dergleichen wird es nicht geben.

Was jetzt und in den nächsten vier bis sechs Wochen geschehen wird, wird vermutlich noch grausamer ausfallen als bisher Erlebtes. Folglich ist die gesamte Weltgemeinschaft aufgerufen, hier ein absolutes STOPzeichen zu setzen. Und zwar eines, dass Putin moralisch trifft – aber irgendwie „am Leben lässt“ (auch wenn das jeder von uns total ablehnt).

Die bisherigen Sanktionen dürften zumindest kurzfristig wenig oder gar keine Wirkung zeitigen. Wenn  sich der Westen aber endlich um die Unterstützung derer bemühte, die Putins Krieg einfach so hinnehmen und sich in der UNO ihrer Stimme enthalten, käme man sicher ein Stück weiter. Das große Indien, das zögerliche China, aber auch viele Staaten in Afrika und Südamerika wollen sich einer Verurteilung Putins nicht anschließen, weil Russland diese Länder viele Jahre und Jahrzehnte wirkungsvoll unterstützt hat. Diese Konfliktsituation muss zugunsten des Friedens aufgelöst werden.

Allerdings wird man Putin – so schwer das auch fällt – Zugeständnisse machen müssen. Zumindest für eine Übergangszeit müssten politische Lösungen greifen, die in bestimmten Regionen der Ukraine von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt werden. Ob es möglich wäre, die Souveränität eines neutral agierenden Donbass international festzulegen, steht in der Sternen. Derzeit und bei der Unnachgibigkeit beider Seiten, sieht es nicht danach aus. Aber es geht bei möglichen Friedensverhandlungen immer um Paketlösungen. Vor allem aber muss vermieden werden, dass die Ausgangs- und Handlungsoptionen so aussehen wie vor dem Krieg. Denn dann wären alle Opfer umsonst gewesen.

Ist die Ukraine – nebst ihren westlichen Unterstützern – nach wie vor nicht bereit, einen neutralen Status ihres Landes zu akzeptieren, ist sie nicht willens, irgendwelche Konzessionen zu machen, will sie weiter nur Druck auf Putin ausüben, dann wird es keinen Frieden geben. Selbst der grässlichste Diktator braucht Fakten, um sein Gesicht zu wahren.

Was die Gefahr eines AtomKrieges betrifft, so sehe ich die bei weiterer Eskalation durchaus. Zu behaupten, dass Putin nur drohe, um immer so weiter machen zu können, ist mehr als gefährlich. Denn man verliert die roten Linien aus dem Augen. Wo und wie beginnt ein „sich einschleichender“ NATO-Einsatz – und welche Folgen hat er? Was tut ein immer mehr in die Enge getriebener Diktator, der über Kernwaffen verfügt?

Noch ein Wort zu den Sanktionen und zu Scholz‘ Zögern, was die Lieferung schwerer Waffen betrifft: Wenn wir ehrlich sind, dass müssen wir Deutschen uns endlos schämen. Denn was wir derzeit tun, ist haarsträubend. Wir saugen Putin das Gas ab und wollen gleichzeitig seinen Kriegsgegner mit schweren Waffen versorgen. Die schizophrene Haltung ist nur dadurch zu erklären, dass die deutsche Regierung Putin wohl scharf verurteilen, dem deutschen Volk/der deutschen Wirtschaft aber Prosperität und Wohlstand in unverändertem Umfang erhalten will. Das sichert zumindest bislang den Posten, ist aber mit Blick auf die andauernden europäischen/deutschen Solidaritätsbekundungen der reine Hohn. Wollte man wirklich solidarisch sein, dann müsste man die GasAbzocke sofort auf Null fahren. Das träfe Putin tatsächlich, denn selbst, wenn er die Devisen nicht für den Krieg braucht, er benötigt sie, um der einheimischen Bevölkerung einen ausreichenden Lebensstandard zu sichern.

Scholz weiß all das, und schämt sich insgeheim. Ebenso wie Mützenich, Schwesig und weitere Genossen. Dass sich Steinmeier von seiner einstigen Russlanddenke entfernen, ja sogar dafür entschuldigen muss, setzt einen bedauernswerten Schlusspunkt. Es ist die Aufkündigung sozialdemokratischer Substanz unter Brandt und Bahr – die Aufkündigung einer erfolgreichen Ostpolitik. Dabei hätte man sich mit Putin – nach seiner Rede vor dem deutschen Bundestag 2002 https://www.bundestag.de/parlament/geschichte/gastredner/putin/putin_wort-244966– durchaus verständigen und das friedliche Haus Europa per Gesetzestext schaffen können. Aber diese Vision scheiterte an den USA, die solch ein Zusammengehen – schon aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten heraus – abgelehnt haben. Es gebe nur eine Allianz – die mit den USA.

Wie auch immer die (internen) Zeichen stehen. Wir Deutsche müssen uns ehrlich machen – vor allem aber einen konkreten und wirkmächtigen Beitrag zum Frieden leisten. Dazu gehörte m. E.

  • mehr und gezieltere Hilfestellungen für ukrainische Flüchtlinge
  • Verzicht auf weitere Waffenlieferungen (auch, wenn uns das von Seiten der Ukraine um die Ohren fliegt)
  • Initiative bei der UNO – für eine internationale Konferenz ohne Vorbedingungen
  • Direkte Kontaktaufnahme zu China und Indien sowie zu ausgewählten afrikanischen und südamerikanischen Staaten zwecks Vermittlung
  • „Schock-Angebote“ Putin gegenüber (z.B. die sofortige Aufhebung sämtlicher Embargos bei bei verbindlicher und dauerghafter Einstellung der Kriegshandlungen)
  • Weitere Besuche bei Putin – durch alle Staatschefs Europas (statt Verhöhnung des österreichischen Präsidenten)
  • Mobilisierung von RusslandDeutschen für Friedens-Demos (gegen AutoKorsos für Putin)
  • Mehr Achtung für die Friedensbewegten in Deutschland/Förderung von Friedens-Demos
  • Fairere Berichterstattung über die innerukrainischen und innerrussischen Verhältnisse
  • Massive Unterstützung der russischen Kriegsgegner
  • Kurzfristiger Verzicht auf russische Gaslieferungen – für den Fall, dass nichts fruchtet