Den Nachtrag vorne weg: Alles kommt jetzt etwas anders als von mir prognostiziert. NRW bekommt schwarz-gelb und damit weniger Sozialstaat, mehr Privatisierung und mehr Macht für die Märkte. Milton Friedman, sprich: die USA werden weiter überschwappen – ein Vorgeschmack auf die künftigen Kräfteverhältnisse im Bund. Das alles ohne Regulativ, denn die LINKE ist an der 5%-Schwelle gescheitert, und die Grünen sind sozialpolitisch zum Winzling ohne Durchgriff mutiert.
Viel Spaß dann mit Laschet!
Und so hatte ich am Morgen des 14. Mai gebloggt:
Knapp zwölf Stunden vor Schließen der Wahllokale ist klar, wer in NRW das Rennen macht: ein Bündnis konservative Kräfte. Denn Rot-Grün ist nach letzten Umfragen nicht mehr drin, und Tiefrot scheint bis zum Sankt-Nimmerleinstag ausgegrenzt. Alles läuft auf die GroKo hinaus, wobei völlig unerheblich scheint, wer die Richtlinienkompetenz erlangt. Denn das, was sich in den kommenden Monaten und Jahren abspielen wird, dürfte in jedem Fall zur Blaupause der Berliner Machtverhältnisse gerieren.
Nach zwei SPD-Wahlniederlagen muss Hannelore Kraft auch in NRW um ihren Stuhl fürchten. Zumal der auf dem Fast-Nichts fußende Schulz-Bonus bereits verspielt ist. Die Wahl im Saarland hat das am deutlichsten dokumentiert. Jede hastige Bewegung zu mehr Sozialstaat, jede Hinwendung zum benachteiligten Bürger ist bereits jetzt als Scheinheiligkeit, als zweckbestimmtes Fischen am linken Rand entlarvt. Die Steuersenkung, heißt es, werde zum probaten Mittel für Profilierung, und hier wolle man … Ja, was wolle man eigentlich? Vor allem doch wohl die Mitte der Gesellschaft entlasten und den Einkommensschwachen mal wieder den falschen Köder servieren. Denn obwohl Finanzchef Walter Borjans sehr klar für die Entlastung kleiner Einkommen votiert, will Schultz vor allem die sogenannten Leistungsträger, sprich: gesattelte Bürger aus der Mitte der Gesellschaft entlasten. Wieder geistert der Begriff der kalten Progression, nur niemand spricht ihn aus. Tatsächlich werden Gehaltszulagen bei Geringverdienern durch überproportional wachsende Steuern systematisch aufgefressen. Hier müsste nachgebessert werden, hier hinein gehören die künftigen Steuermehreinnahmen, von denen jetzt täglich die Rede ist. Kein glaubhaftes Wort von Seiten der SPD zur Vermögenssteuer. Und was die Erbschaftssteuer angeht – man deutet Korrekturen an. Von denen man nicht im Ernst glauben kann, dass sie Wirklichkeit werden.
Überhaupt steht die SPD – was die Rangfolge bei nicht eingehaltenen Wahlversprechen angeht – in vorderster Linie. Das hat nicht nur mit untauglichen Modellen für die Gegenfinanzierung zu tun. Es geht schlicht darum, diesen und jenen eher unkundigen Wähler ins Netz zu bekommen – ganz gleich, ob der später aufschreit/sich betrogen fühlt.
Praktisch ist eine rot-rot-grüne Koalition auch im Bund passé. Niemand, der die politischen Bewegungen der letzten Monate studiert hat, wird das in Frage stellen. Dabei wäre eine Richtungsänderung im politischen Alltag der Bundesrepublik dringend notwendig. Aber der vor der Jahrtausendwende immer mal praktizierte Rechts-Links-Wechsel scheint aus der Mode gekommen. Stattdessen schwelt das konservative Monster – gestützt auch von der Merkelschen Flüchtlingspolitik.
Die teils klare, teils unterschwellig durchscheinende Absage an die Linke (NRW bzw. Bund) ist ein Grundfehler der Sozialdemokratie . Gerhard Schröder hat sie mit der scharfen Auseinandersetzung um die Agenda 2010, mit der Trennung von Oskar Lafontaine, hoffähig gemacht. Aber gleichzeitig die Regierungsfähigkeit der SPD im Bund auf Dauer ausge-ixt. Er hat in fast allen wichtigen Fragen die Drecksarbeit der CDU geleistet, und deren Protagonisten schütteln sich bis heute vor Lachen aus.
Die abgespaltene Linke ist die einzige Partei, die straff auf mehr Leistungen für Menschen am unteren Ende der Einkommenskette setzt, einen vor Altersarmut schützenden Mindestlohn von 10 Euro verlangt, die kalte Progression beseitigen möchte und die immer mehr Reichen im Lande klar zur Kasse befiehlt. Doch davon wollen weder die CDU, noch die SPD, ja selbst ein Großteil der Grünen etwas wissen. Sie behaupten fast einhellig, dass solch Wunschdenken weder mehrheitsfähig, noch realisierbar sei – ohne je eine konkrete Gegen-Rechnung aufgemacht zu haben. Dabei wäre es angesichts der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse mehr als angesagt, die Löhne zu erhöhen und sehr viel mehr einträgliche Arbeit durch Investitionen in die marode Infrastruktur zu schaffen. Zehntausende, dringend sanierungsbedürftige Brücken, die katastrophale Situation im Güterverkehr und die hohe Arbeitslosigkeit in Teilen des Ruhrpotts lassen grüßen.
Wenn es also heute Abend zum GroKo-Sieg kommt, dann kann man nur hoffen, dass es durch Einzug der Linken in den Landtag zu einer gewissen Relativierung des Ergebnisses kommt. Das ist nicht nur formal wichtig, es sichert vor allem eine gewisse Kontrolle auf der politischen Ebene. Bliebe sie aus, dann wären den Regierenden in fast allen Fragen Tür und Tor kritiklos geöffnet. Von den Grünen ist so ein Korrektiv kaum zu erwarten. Nicht nur, dass sie von den Themen her ausgelaugt scheinen, sie können politisch nirgendwo punkten. Sie leiden an struktureller Zerrissenheit. Wer ständig zwischen Trittinschen Sozialstaatsträumen und Kretschmannschem Konservatismus (ich nenne das mal „SUV“-Politik) hin- und herstrampelt, wird sich auch künftig weiter verzwergen. Das ist bitter, aber offenbar ein Resultat falscher Versammlung.