Die neue Partei – ein riskanter Versuch

Sahra Wagenknecht trägt sich mit dem Gedanken, eine neue Partei zu gründen. Noch geistert die Idee. Noch will sich Sahra W. zu Programm und Gründungszeitpunkt nicht äußern. Aber schon die Tatsache, dass sie rauswill aus dem alten Gefüge der LINKEN, wirbelt Staub auf. In der LINKEN selbst, deren Führung die Aktivitäten als spalterisch scharf verurteilt, aber auch bei AfD und Konservativen. Wobei erstere zweifellos so etwas wie Querfront begrüßen würden, während die Konservativen das ihrer Meinung nach zum Scheitern verurteilte Vorhaben scheinheilig anschieben. Denn sollte die Wagenknecht tatsächlich ihre Anhänger aus der Partei die LINKE herauslösen und in eine neue Partei einbringen, würde das die LINKE ihr Mandat im Bundestag kosten. Was allen Politikern und Parteien, die weiter rechts stehen, zupass käme. Letztere glauben ohnehin nicht, dass Wagenknechts neue Partei die 5%-Hürde übertreffen würde. Und auch mir scheint dieses Ziel – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – weltfremd. Sahra Wagenknecht hofft viele linke Wähler, die in den letzten Jahren zur AfD abgewandert sind, für alte Positionen zurückgewinnen zu können. Fragt sich allerdings, was sich mit diesen, zweifellos kontaminierten Ex-Genossen anfangen lässt. Und wie die Allgemeinheit auf den entstehenden neuen Mix reagiert. Zuspruch könnte die Wagenknecht auch von vielen enttäuschten Wählern bekommen, die traditionell Grüne, SPD oder CDU/CSU wählten, deren Programme aber nicht mehr unterstützten. Weil ihnen die Regierungspolitik, aber auch die Haltung der Konservativen z. T. ein Dorn im Auge sind. Hier dürfte es vor allem um die weiter anwachsende Migration, die damit verbundenen schlechteren Jobchancen und Sozialleistungen für die einheimische Bevölkerung sowie um konträre Haltungen zum Ukrainekonflikt gehen. Alles Themen, die vom Establishment wegdiskutiert und unter den Teppich gekehrt werden.

So interessant sich das anhört: Ob es allerdings den Kitt geben wird, der ein solches Konglomerat zusammenhält, ist fraglich. Auch, ob die Meckerer und Kritiker bei den LINKEN tatsächlich umschwenken. Denn nicht alles, was Wagenknecht postuliert, scheint koscher. So hat sie in Sachen Corona oft die Meinung der Querdenker unterstützt, sich abfällig über Fridays for future und die Errungenschaften der 68er geäußert und eine scharfe Verurteilung der russischen Aggression in der Ukraine vermieden. Das wiederum könnte Stimmen kosten. Wieviele? Weiß man nicht. Wagenknecht will das arrogante, intellektuelle Fachsimpeln in der LINKEN durch Taten, durch ein beherztes Handeln für die sozial Schwachen ersetzen („Die Selbstgerechten“).Sie fordert mehr Friedens- und Klassenpolitik, will die überbordenden Genderdebatten, FLINTA-Workshops und Awareness-Teams ausdünnen. Wäre das alles Politik der Führungsspitze, folgert sie sogar, wäre eine ParteiNeugründung überflüssig https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/was-tun-netzwerk-der-linken-hat-sich-formiert-roter-himmel-ueber-hannover. Das ist vom Ansatz her richtig. Aber wer in der Führung würde jetzt umschwenken? Und was die Neugründung betrifft: Welche Chancen gibt es, die hehren Ziele in die Praxis umzusetzen?, sprich: Gibt es Spielräume im parlamentarischen wie im  außerparlamentarischen Raum, und wenn JA: wie groß sind diese.

Besonders lästig dürfte sein, was die LINKE seit Jahrzehnten behindert – die Zersplitterung des linken Gedankengutes (die stressigen Auseinandersetzungen um die reine Lehre, um den richtigen Weg raus aus dem Kapitalismus etc.), die Abgrenzung zu den linken Extremisten und die politische Inaktivität vieler Armer und Ausgegrenzter (die bei Wahlen und Demos einfach nicht auftreten).

Die entscheidende Frage bleibt die, ob Wagenknecht über 5% punkten könnte. Gelänge ihr das, wäre viel gewonnen. Andererseits kann man davon ausgehen, dass zwei linke Parteien ohne Bundestagsmandat in dieser recht wohlständigen und politisch gedeckelten Gesellschaft nichts ausrichten werden.

Ich gehe davon aus, dass Sahra Wagenknecht ihre Chancen bei der nächsten Europawahl austesten wird. Die 5%-Hürde gibt es bei dieser Entscheidung nicht. Und das Ergebnis wäre ein wichtiges Signal. Käme die Wagenknecht über 5%, könnte sie die kommenden Wahlen in Deutschland mutig angehen. Bliebe sie unter 5%, dürfte ihr politisches Engagement dauerhaft beendet sein. Gleiches könnte für die LINKE gelten, die sich mit den Abtrünnigen rumschlagen müsste und sicher Jahre brauchte, um erneut politisch mitzuspielen.

Gregor Gysi, der nach wie vor als strikter Gegner der Spaltung, gleichzeitig aber auch als engagierter Schlichter/Mediator gilt, dürfte derzeit schlecht schlafen. Seine politische Haltung, seine Schlagfertigkeit und Geschmeidigkeit haben ihm und der Partei viel Auftrieb verliehen. Jetzt aber scheint all das an Kraft und Ausstrahlung verloren zu haben. Was zweifellos auch damit zu tun hat, dass sich Deutschland und Europa in einer nie dagewesenen misslichen Lage befindet. Die von einer beispiellosen Manipulation der Massen, bellezistischem Geist und der Abkehr von alten Werten (Willy Brandt und seine Politik!) begleitet wird. Und den Schulterschluss nicht links, sondern im bürgerlichen Lager erzeugt hat.