Aus der Reihe getanzt

Gut zwei Jahre nach der Veröffentlichung von „Störfall Zukunft“ legt der Ratinger Schriftsteller Dr. Ulrich Scharfenorth seinen ersten Prosa-Band vor. Das sei – so der Autor – ein später Start. Er erklärt das mit seiner journalistischen Laufbahn in den 90er Jahren, aber auch mit dem brennenden Interesse an politischen Themen, die ihn zeitweilig in ein anderes Fahrwasser verschlugen. Erst 2008, als das, was ihn jahrelang wichtiger dünkte und auf der Seele brannte, in Buchform auf dem Tisch lag, habe er sich wieder seinen Erzählungen widmen können. Das aber schließe nicht aus, dass es auch künftig zweigleisig weiter gehe. Jetzt jedenfalls habe der Heiner Labonde Verlag den Abdruck seiner Geschichten möglich gemacht.
„Aus der Reihe getanzt“ umfasst Themen aus vierzig Jahren und füllt damit ein eher ungewöhnliches Panorama. Die siebzehn Erzählungen zielen nicht nur auf Personen und Ereignisse in der ehemaligen DDR – der alten Heimat des Autors. Sie reichen auch über Mauerfall und 90er Jahre hinweg bis in die jüngste Gegenwart. Da stößt man nördlich von Berlin auf einen Wintermorgen – mit Brikettheizung und Trabbi-„Beatmung“, erliegt einer düsteren Grenzverletzung in Eisenach, begleitet eine Mai-Demo mit „Eröffnungsbild“, findet sich in grotesken Handlungszwängen eines DDR-Häuslebauers und gibt sich den Nöten eines Schwarztaxi-Fahrers hin. Ein Spaziergang mit der dementen Mutter schließlich weist auf schlichte Einfühlsamkeit. Eng benachbart, aber diametral dazu lauern: Psychopathen, arrogante Niltouristen und Tango-Erotiker aus der Jetztzeit.
Scharfenorth begegnet menschlicher Gier und durchstreift Fresswüsten, testet die Spendenfreudigkeit seiner Mitbürger und versucht festzustellen, was Menschen für die Reihe begeistert oder aus ihr ausbrechen lässt.
Was auch immer man liest: Scharfenorth ist vorrangig scharfzüngig und provozierend, erst danach – sichtlich sparsam – auch tiefsinnig und mitfühlend. Er bemüht Themen, die vielen von uns auf den Nägeln brennen, anderen fremd sind oder der Vergessenheit anheim fielen. Er stößt auf Menschen von gegenüber, auf Leute, die normal anmuten und doch grotesk die Landschaft befeuern. Viele seiner Akteure und Begebenheiten sind autobiographisch gefärbt. Eben das aber drängt sich nicht auf. Hier lebt und geistert durcheinander, was wahr, geflunkert, aber auch repräsentativ sein könnte. Ich fügte Fantasie zur Wirklichkeit, sagt der Autor. Nur so könne die Ödnis der Begebenheit durchbrochen, das bloße Geschehnis vielschichtig werden.
Das von Barbara Ming verfasste Vorwort zum Buch ergänzt hier sinnfällig: „Wenn Scharfenorth karikiert, im Wechselspiel von Diktion und Verfremdung argumentiert, sich amüsiert oder seine Mitmenschen auf die Schippe nimmt, geht er keineswegs auf Distanz zum Umfeld. Im Gegenteil. Er selbst ist Bestandteil seiner bunten Collage, und freimütig gesteht er: Auch ich bin fehlbar, nur eben anderswo.“
„Am Sonntag, d. 20. Juni 2010, 16 Uhr, wird „Aus der Reihe getanzt“ zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt. Neben dem Autor treten zwei Musiker auf, die hier zu Lande bestens bekannt sind: Bernhard Schultz (Gesang & Gitarre) und Michael Bulcik (Gitarre). Lese- und Aktionsort ist die Ratinger KULTURkneipe im LUX, Turmstr. 5, 40878 Ratingen (Nähe Marktplatz).

Heiner Labonde Verlag, Grevenbroich 2010
ISBN: 978-3-937507-27-9
115 S. , 9,80 €

Blick ind Buch: http://www.amazon.de/Aus-Reihe-getanzt-Ulrich-Scharfenorth/dp/3937507272/ref=sr_1_3?ie=UTF8&qid=1441553960&sr=8-3&keywords=aus+der+reihe+getanzt#reader_3937507272